Das BVerfG hat noch nicht entschieden, ob die Wahl des letzten Bundespräsidenten verfassungsgemäß war, da tritt schon die nächste Bundesversammlung zusammen. Dabei gibt es prominente Bedenken, ob die Wahlmänner-Aufstellung nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Joachim Wieland erklärt, warum Demokratie nicht immer gleich Auswahl ist und am Sonntag alles mit rechten Dingen zugeht.
Die Bundesversammlung hat nur eine Aufgabe: Sie wählt den Bundespräsidenten. Sie repräsentiert das Volk im Bund und in den Ländern und besteht deshalb je zur Hälfte aus den Mitgliedern des Bundestages und aus von den Landtagen gewählten Mitgliedern. Die Vertreter aus den Ländern müssen dabei nicht notwendig Landtagsabgeordnete sein. Gern nehmen die Parteien das zum Anlass, sich bei der Wahl des Bundespräsidenten mit Prominenten zu schmücken.
Schon vor der Wiederwahl von Horst Köhler wurde von prominenter Seite in Frage gestellt, ob die Bundesversammlung überhaupt rechtmäßig zusammengesetzt ist. Vor allem die Wahlmänner-Aufstellung in vielen Bundesländern bietet Anlass zur Kritik. In den Landesparlamenten wird nämlich über einen gemeinsamen Wahlvorschlag abgestimmt, weshalb einige Staatsrechtler eine verbotene Blockwahl vermuten.
Die Landesparlamente wählen die Mitglieder der Bundesversammlung nach den Grundsätzen der Verhältniswahl (Art. 54 Abs. 3 Grundgesetz, GG). Das ist konsequent, weil so gewährleistet wird, dass die Vertreter jedes Landes das Landesvolk so repräsentieren, wie es dem Ergebnis der letzten Landtagswahl entspricht. Wie viele Vertreter jede Partei in die Bundesversammlung schickt, steht damit schon vor der Wahl durch die Verteilung der Mandate auf die im Landtag vertretenen Fraktionen fest.
Prominente Bedenken und bedenkliche Trittbrettfahrer
Verschiedene Landtage haben dieses System zum Anlass genommen, eine nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts zusammengesetzte Einheitsliste zu bilden, die von allen Landtagsabgeordneten gewählt wird. Eine Wahl im eigentlichen Sinne besteht dann für die Abgeordneten nicht. Sie können die Einheitsliste nur bestätigen oder ablehnen – oder sie können einen eigenen Wahlvorschlag machen, der aber im Regelfall kaum Chancen haben wird.
In dieser Form der Wahl wird ein verfassungsrechtliches Problem gesehen: Professor Morlok aus Düsseldorf etwa vertritt die Auffassung, in Wirklichkeit werde nicht über eine einzige Vorschlagsliste abgestimmt. Es handele sich vielmehr um getrennte Listen der einzelnen Fraktionen, die nur formal in einer Liste zusammengeführt seien und über die dann in einer unzulässigen Blockwahl entschieden werde.
Das zeige sich besonders im Falle des Nachrückens, wenn ein Vertreter des Landtages an der Teilnahme der Bundesversammlung gehindert ist. Nachrücken würde nämlich nicht der nächste Bewerber auf der Liste, sondern immer derjenige mit der gleichen Parteizugehörigkeit wie der Verhinderte. In Rheinland-Pfalz habe deshalb jede Fraktion ihre eigene Unterliste für ihre Nachrücker vorgelegt. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein sieht einen zentralen verfassungsrechtlichen Wahlgrundsatz dadurch verletzt, dass der einzelne Landtagsabgeordnete keine freie Wahl zwischen verschiedenen Listen habe.
Auch die NPD möchte die prominenten Zweifel an der rechtmäßigen Zusammensetzung der Bundesversammlung für ihre Zwecke missbrauchen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, Udo Pastörs, saß in den Bundesversammlungen, die Horst Köhler wiedergewählt und Christian Wulff ins Amt verholfen hatten. Er hat ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angestrengt, um feststellen zu lassen, dass die beiden Wahlen in fehlerhafter Zusammensetzung durchgeführt wurden. Das BVerfG hat angekündigt, noch in diesem Jahr über seine Klage entscheiden zu wollen.
Die Richtigen wählen den Richtigen
Der Organstreit wird allerdings erfolglos bleiben. § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung regelt, dass die Sitze eines Landes in der Bundesversammlung nur dann den Listen nach der Zahl der ihnen zugefallenen Stimmen im Höchstzahlverfahren d’Hondt zugeteilt werden, "wenn mehrere Vorschlagslisten vorliegen". Das Gesetz geht damit ganz offensichtlich davon aus, dass auch nur eine Vorschlagsliste Gegenstand der Wahl sein kann.
Die Abgeordneten sind dann nicht etwa in ihrem Wahlverhalten darauf reduziert, der Liste zuzustimmen oder sie abzulehnen. Sie können auch versuchen, eine eigene Vorschlagsliste vorzulegen. Wenn sie die dafür benötigten Stimmen nicht erhalten, vertreten sie offenkundig eine Minderheitsposition, die in der Demokratie der Mehrheit unterliegt. Dadurch werden aber keine Verfassungsrechte des Unterlegenen verletzt. Das Grundgesetz lässt eine Einigung der in einem Landtag vertretenen Fraktionen auf eine Einheitsliste durchaus zu.
Es kennt keine Verfassungspflicht, konkurrierende Listen aufzustellen. Auch eine Einheitsliste stellt sicher, dass die Grundsätze der Verhältniswahl – sogar ohne ein weiteres Zuteilungsverfahren – eingehalten werden. Wahl bedeutet in der Demokratie nicht immer Auswahl, sondern kann sich auch einmal in der Zustimmung zu einem Vorschlag oder eben der Ablehnung eines Angebots erschöpfen. Am 18. März 2012 werden also die Richtigen den Richtigen wählen.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, Die Bundesversammlung als Gesamtkunstwerk: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5803 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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