Bitcoins sind der Öffentlichkeit inzwischen ein Begriff – und damit auch die Blockchain. Sie verspricht absolut sichere Transaktionsdokumentation. Das ist interessant für das Grundstücksrecht, aber nicht komplex genug, meint Maximilian Zimmer.
Die Blockchain-Technologie verspricht die absolute Nachvollziehbarkeit und Verifizierbarkeit abgespeicherter Informationen. Sie können weder verfälscht noch Transaktionen manipuliert werden, weil der jeweilige Datensatz ("Block") kryptographisch mit dem jeweils nächsten verkettet ("chained") ist. Dies könnte auf den ersten Blick für das Grundstücksrecht eine verlockende Perspektive hin zu schnellen und rechtssicheren Immobilientransaktionen sein.
Das Besondere an der Blockchain besteht dabei in der weitgehenden Neutralisierung von Mittelsmännern ("Gatekeepern"), also herkömmlichen Institutionen wie staatlichen Einrichtungen, Banken, aber auch Vermittlungsportalen. Das spart Geld und Zeit. Warum zukünftig noch "umständliche" Überweisungen unter Inanspruchnahme von Banken nutzen, wenn es über die Blockchain schneller, günstiger und ebenso sicher geht?
Geht es also bei der vielfach prophezeiten Blockchain-Revolution um die Beseitigung von Gatekeepern, werden damit Institutionen wie auch das Grundbuchamt und damit untrennbar verbunden die Notare in Frage gestellt. Würde sich die Technologie in diesem Bereich durchsetzen, hätte dies für das deutsche Immobiliarsachenrecht dramatische Auswirkungen. Entsprechend werden bereits jetzt die ersten Eckpfeiler eingeschlagen, um das deutsche Grundbuchrecht zu verfestigen.
Dabei wird es zukünftig sicher nicht ausreichen, auf die hohen Energiekosten hinzuweisen, die eine Blockchain verursacht. Vielmehr ist es vor dem Hintergrund ohnehin stattfindender harmonisierender Überlegungen zum Registerrecht in Europa erforderlich, Klarheit über Funktion und Wirkungsweise des Grundbuchs zu schaffen. Erst dann lässt sich die Frage beantworten, ob und wie die Blockchain die herkömmlichen Verfahren ersetzen kann, so wie es angeblich in Schweden und Costa Rica für Grundbucheintragungen bereits der Fall sein soll.
Der Fall "419" – Warum wir ein Grundbuch brauchen
Jede Rechtsordnung bedarf der Regelung der Rechte an Grundstücken. Kernbestandteil ist dabei das Eigentum am Grundstück selbst, es ist jedoch nur eines von vielen Rechten, hinzu kommen eine Vielzahl beschränkter Rechte, wie etwa Grundpfandrechte oder Dienstbarkeiten. Anderseits kennen wohl alle Rechtsordnungen nur bestimmte Rechte an Grundstücken, die Beteiligten können sich also nicht beliebige Teilhaberechte an Grundstücken ausdenken und wirksam auch für Nachfolger vereinbaren.
Alle diese Rechte bedürfen aber auch einer Dokumentierung, da sie für Außenstehende nicht sichtbar sind. Die Rechtsordnung hat daher die Aufgabe, die möglichen Rechte zu definieren, aber auch die Frage nach dem Entstehen und Erlöschen und dem Verhältnis verschiedener derartiger Grundstücksrechte zueinander zu klären. Dieses Verhältnis der Rechte ist im Falle der Zwangsvollstreckung von überragender Bedeutung, genau wie die Möglichkeit, sich über diese Rechte zu informieren.
Welche Folgen ein fehlendes oder nicht verlässliches Register haben kann, beschreibt der kanadische Schriftsteller Will Ferguson in seinem 2012 erschienen Roman "419" für Nigeria. Verreist die Familie dort aufs Land, etwa zu einer Beerdigung oder Hochzeit, kann es geschehen, dass das zurückgelassene Haus zwischenzeitlich durch Betrüger gegen Barzahlung an einen ahnungslosen Käufer veräußert wurde, der "sein" neues Haus bereits bezogen hat, wenn die Eigentümer zurückkommen.
Wer am Ende den Schaden davon trägt, wird in der Regel erst nach Jahren geklärt, auch der Ausgang des Rechtsstreits ist keineswegs sicher. In Lagos zum Beispiel sollen sich daher an zahlreichen Häusern große Hinweise mit der Aufschrift "THIS HOUSE IS NOT FOR SALE BEWARE OF 419!" finden, wobei "419" für die entsprechende Vorschrift für Betrug im nigerianischen Criminal Code steht.
In Kontinaleuropa wird diese dringend benötigte Rechtssicherheit per Register geschaffen. Die an einem Grundstück bestehenden Rechte werden etwa in Deutschland in das Grundbuch eingetragen. Auch in Common-Law Rechtsordnungen, die ein solches Register traditionell nicht vorsehen, bestehen derartige Register, etwa in Großbritannien. Demgegenüber sind in vielen US-Bundesstaaten Register nicht vorhanden. Die Rechte an Grundstücken müssen dort meist in einem sogenannten "due diligence"-Verfahren festgestellt werden. Mittlerweile wird dort das Fehlen eines regulierenden öffentlichen Registers – insbesondere nach der Finanzkrise – kritisiert.
Wie das Grundbuch in Europa funktioniert
In Europa stehen sich für das Register zwei unterschiedliche Systeme gegenüber. Bei dem sogenannten germanischen Modell (Deutschland, Österreich und Schweiz), auch "Realfoliensystem" genannt, werden die Rechte an Grundstücken registriert, während in Frankreich, Italien und anderen Ländern die Rechtsgeschäfte, aus denen sich diese Rechte ergeben, registriert werden. Das germanische Modell bietet den Vorteil, dass es den aktuellen Rechtszustand widerspiegelt, also den Eigentümer und die Rechte Dritter am Grundstück exakt benennt. Im romanischen System dagegen werden etwa der Kaufvertrag und die Kaufvertragsparteien registriert. Dieses Register macht damit oft eine Prüfung von Erwerbsketten, die an unterschiedlicher Stelle aufbewahrt werden, erforderlich. Durch die elektronische Führung der Register und der damit geschaffenen Suchfunktionen nähern sich beide Systeme allerdings in einer Weise an, dass etwa auch in Frankreich die bestehenden Rechtsverhältnisse erkennbar sind.
Daneben bestehen aber Unterschiede im Hinblick auf die Registerführung. Während etwa in Deutschland Eintragungen grundsätzlich konstitutiv sind, also erst die Eintragung zur Rechtsänderung etwa zum Eigentumswechsel führt, sind Eintragungen in Grundbüchern im romanischen Rechtskreis meist deklaratorisch, das heißt, die Eintragung spiegelt nur die bereits außerhalb des Grundbuchs eingetretenen Rechtsänderung wider.
Die dem romanischen Grundbuchsystem zuzuordnenden Rechtsordnungen kennen aber vielfach einen Zwang zur Eintragung. Auch sind in beiden Systemen zahlreiche Durchbrechungen der Wirkung der Eintragung vorgesehen. Damit sind jedenfalls die kontinentalen Grundbücher nicht bloße Aufbewahrungsstellen für grundstücksbezogene Dokumente, sondern Einrichtungen, die Recht schaffen. Die europäischen Registerbehörden beschränken sich damit nicht etwa auf eine bloße Entgegennahme der Dokumente, sondern nehmen stets eine wie auch immer geartete Prüfung der vorgelegten Rechtsgeschäfte vor. Ein Notar hat die Eintragungsfähigkeit sodann in einem separaten Verfahren zu prüfen, wenn er die Urkunde nicht selbst errichtet hat.
Wie man die Blockchain im Grundstücksrecht nutzen könnte
Nun zurück zur Blockchain: Betrachtet man die Vorteile der Blockchain (schnell, zuverlässig, nicht zu manipulieren) wird deutlich, dass sie für solche Registrierungsverfahren interessant ist, bei dem lediglich Dokumente aufzubewahren sind. Demgegenüber ist die Technologie dort ungeeignet, wo erst die Registrierung selbst die Änderung herbeiführt. Nun könnte die Begründung eines Rechts von der Verfügung in der Blockchain abhängig gemacht werden. Damit wäre aber nicht gewährleistet, dass das begründete Recht von der Rechtsordnung überhaupt vorgesehen ist, es zum Beispiel überhaupt zum Kreis der dinglichen Rechte gehört oder wie es sich zu anderen auf diese Weise begründeten Rechten verhalten soll.
Auch könnte in der Blockchain selbst nicht überprüft werden, ob eine Partei an der Verfügung gehindert sein könnte. Der in der Blockchain geschaffene Erwerbsakt würde für die Schaffung des Rechts in der Realität dann nicht genügen. Spätere Streitigkeiten sind damit vorprogrammiert: Eine ungeprüfte Schaffung von Rechten an Grundstücken über die Blockchain wäre damit ein erheblicher Verlust an Rechtssicherheit. Vor allem könnte der Staat nicht die Verlässlichkeit der vorgenommenen Eintragungen garantieren, spielt er in diesem Verfahren doch überhaupt keine Rolle. Einen Schutz vor unrichtigen Verlautbarungen kann Blockchain damit nicht bieten, weil es ja nur die Dokumente aufnimmt, aber nicht ihre Rechtmäßigkeit prüft.
Die Beteiligten eines solchen Verfahrens würden damit nur auf den ersten Blick Zeit und Kosten sparen, denn sie wären gut beraten, die Dokumente, auf die sich zum Beispiel der Eigentümer bei einer Auflassung beruft, genauestens einer due-diligence-Prüfung zu unterziehen, die die eingesparten Ressourcen schnell wieder aufbrauchen oder gar übersteigen könnte.
Eine Kombination aus alt und neu
Effizienter und sicherer ist die vorherige Prüfung der Dokumente (und damit der späteren Datensätze auf der Blockchain) auf die Wirksamkeit durch damit beauftragte Personen, etwa Notare und Grundbuchämter, da diese die vielfältigen, ständig zunehmenden Anforderungen an Verbraucherschutz und den Schutz anderer strukturell unterlegener Beteiligter sicherstellen.
Die bloße Beglaubigung der Echtheit einer Unterschrift unter einer Urkunde, die möglicherweise ohne Notar ebenso durch die Blockchain erfolgen kann, spielt in der notariellen Praxis kaum eine praktische Rolle. Grundstücksrechte werden nicht durch bloße Unterschriften geschaffen, sondern durch ein komplexes Verfahren, das nicht durch die Blockchain ersetzt werden kann, ohne dass wesentliche Schutzmechanismen außer Kraft gesetzt werden. Für das kontinentaleuropäische Grundbuchrecht ist die Blockchain damit ungeeignet.
Vorteile kann die Technologie zukünftig allerdings dort bieten, wo bei umfangreichen Immobilientransaktionen Dokumente zu Beweiszwecken gesichert werden sollen. Derartige Mieter- und Kautionslisten sind oft sehr umfangreich und werden nicht selten zu Beweiszwecken zum Bestandteil des Kaufvertrages. Hier könnte die Blockchain für eine Vereinfachung sorgen, ohne dass Sicherheitsstandards aufgegeben werden müssten.
Der Autor Prof. Dr. Maximilian Zimmer ist Notar und Honorarprofessor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Harz (FH) in Wernigerode.
Maximilian Zimmer, Die Blockchain im deutschen Immobiliarsachenrecht: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26469 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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