Die Verwaltung verrät nur ungern, warum an Stellen geblitzt wird, die nicht als Gefahrenstelle oder Unfallschwerpunkt bekannt sind. Die Autofahrer wittern Geldschneiderei und in Sachsen ärgert sich ein Amtsrichter so sehr, dass er die Bußgeldverfahren kurzerhand einstellt. Dabei könnten es sich die Behörden durchaus leisten, etwas offener zu sein, meint Dieter Müller.
Nicht nur Autofahrer vermuten hinter vielen Geschwindigkeitskontrollen eine Schikane zugunsten der Staatskasse. Zuweilen gibt es auch unbequeme Richter, die das Verwaltungshandeln hinterfragen und Bußgeldverfahren einstellen, wenn die Behörden nicht erklären können, warum gerade an dieser Stelle kontrolliert wurde. So geschehen seit Jahresbeginn am Amtsgericht (AG) in Marienberg, wo Richter Andreas Vogt in einem nachösterlichen Interview gegenüber der Chemnitzer Freien Presse bemängelt: "In fast keinem Bußgeldbescheid wird aufgeführt, aus welchem Grund die Behörden geblitzt haben."
Wenn der Amtsrichter eine inhaltliche Begründung für eine Maßnahme der Verkehrsüberwachung von der Bußgeldbehörde fordert, kann die Verwaltung diese zwar in einem Bescheid liefern. Muss sie aber nicht. Transparenz wird bei der Verkehrsüberwachung nicht gerade großgeschrieben: Nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten genügt neben den Daten zu Tatort, Tatzeit und Täter nur die gesetzliche Bezeichnung des Verstoßes, um ein Bußgeld zu verhängen. Der Gesetzgeber unterstellt damit, dass es immer einen sachlichen Grund für die Überwachung gibt, der allgemein bekannt ist.
Inhaltlich spricht der Jurist mit seiner Kritik allerdings ein Problem an, das die Legislative so nicht gesehen hat: den mündigen Bürger, der wissen will, aus welchem Grund er nach einem Geschwindigkeitsverstoß zur Kasse gebeten wird. Derzeit hat auch ein Autofahrer kein Recht darauf, dass ihm in seinem Bescheid mitgeteilt wird, welchen besonderen Grund die Überwachungsmaßnahme hatte. Im Sinne einer Steigerung der Transparenz behördlichen Handelns ist es den Behörden zwar nicht verboten, dem Verkehrssünder beispielsweise mitzuteilen, dass er zur Abwehr von Gefahren für Kinder im Umfeld eines Kindergartens geblitzt wurde. In den meisten Fällen schweigen die Ämter sich aber aus.
Es fehlen belastbare Daten
Wer wie der sächsische Amtsrichter trotzdem die Frage nach dem Sinn und Zweck des Blitzens stellt, erhält gleich mehrere Antworten. Doch nicht immer behagen dem Fragesteller deren Inhalte.
Die Geschwindigkeitsvorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) haben jedenfalls allein den Sinn, die Verkehrssicherheit auf den Straßen zu steigern. Die Verkehrsteilnehmer sollen vor Rasern geschützt werden, die aufgrund überhöhter Geschwindigkeiten ein erhebliches Sicherheitsrisiko auf der Straße darstellen. Maßnahmen von Polizei und Kommunen zur Geschwindigkeitsüberwachung müssen also – wie übrigens auch solche zur Abstands- und Rotlichtüberwachung – stets an dem Zweck gemessen werden, die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Aufgrund der drastisch angestiegenen Zahlen der geblitzten Autofahrer in Sachsen verdächtigt Richter Vogt in dem Interview die Kommunen, „keineswegs in erster Linie“ aus Gründen der Verkehrssicherheit, sondern vielmehr aus fiskalischen Gründen zu blitzen. Diese Vermutung ist wissenschaftlich nicht belegt, aber auch nicht ausgeräumt. Transparente und überprüfbare Konzepte und Bilanzen von Kommunen und Polizei zur Verkehrsüberwachung fehlen bundesweit nahezu völlig. Dabei wäre es so einfach, den Bürgern zu erklären, warum an welchen Orten geblitzt wird und aus welchen Gründen zum Beispiel stationäre Messanlagen beschafft und an welchen Orten sie aufgestellt werden.
Nachholbedarf in Sachen Transparenz
Die in jedem Bundesland vorhandenen Verwaltungsvorschriften zur Verkehrsüberwachung geben Auskunft darüber, warum und an welchen Orten vordringlich der Verkehr überwacht werden soll. Diese Vorschriften stimmen darin überein, dass bevorzugt an erkannten Unfallschwerpunkten und bekannten Gefahrenstellen geblitzt werden soll. Diese Orte dürfen und sollten von den Überwachungsbehörden publik gemacht werden.
Daneben darf aber auch an anderen, potenziell nicht so gefahrenträchtigen Orten geblitzt werden, um das Geschwindigkeitsniveau in der betreffenden Region im erlaubten Rahmen zu halten. Denn geblitzt werden – und das muss auch dem Amtsrichter aus Marienberg klar sein – ausschließlich Personen, die an den betreffenden Stellen zu schnell gefahren sind. Blitzen allein aus fiskalischen Gründen, um den Stadtsäckel zu füllen, ist dagegen immer rechtswidrig und würde dem erklärten Ziel der Geschwindigkeitsvorschriften, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, auch komplett zuwiderlaufen.
Alle Kommunen und Polizeidienststellen in Deutschland kennen diese Spielregeln und die meisten halten sich auch daran. In Sachen Transparenz gegenüber den Bürgern besteht jedoch hier und da ein deutliches Nachholbedürfnis – auch gegenüber Richtern, die unbequeme Fragen stellen.
Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.
Dieter Müller, Blitzen für den Fiskus: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6006 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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