BGH zu Tankstellen-Oligopol: Kar­tell­wächter erringen Teil­sieg gegen Total

von Dr. Nicolas Kredel und Sarwenaz Kiani

07.12.2011

Der BGH bezweifelt, dass Benzinpreise unter normalen Wettbewerbsbedingungen zustande kommen. Danach bilden die fünf großen Tankstellenbetreiber möglicherweise auf bestimmten Regionalmärkten ein Oligopol. Im Lichte der Sektoruntersuchung des BKartA ist das Urteil nicht überraschend und hat Einfluss auf Übernahmen im Tankstellenmarkt, sagen Nicolas Kredel und Sarwenaz Kiani.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Ein Tankstellen-Oligopol, also die Herrschaft weniger Anbieter gegenüber Wettbewerbern und Nachfragern auf dem Markt, ist in Deutschland nicht auszuschließen. Ausgangspunkt des Karlsruher Urteils vom 6. Dezember 2011 (Az. KVR 95/10 – Total/OMV) war, dass  der französische Mineralölkonzern Total den Erwerb von 59 Tankstellen auf den Märkten Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig plante. Das Bundeskartellamt (BKartA) hatte das Vorhaben im April 2009 untersagt. Es begründete sein Veto damit, dass zwischen den fünf größten Wettbewerbern auf den regionalen Tankstellenmärkten ein marktbeherrschendes Oligopol bestünde, welches durch einen weiteren Zukauf durch Total weiter verstärkt würde.

Die Bonner Wettbewerbshüter sind der Auffassung, dass sich die Tankstellenbetreiber Total, Shell, Esso, Aral/BP und ConocoPhillips (der Muttergesellschaft von Jet) gegenseitig keinen Wettbewerb liefern. Auch andere Tankstellenbetreiber hätten auf dem Markt keine Chance, weil die Großen aufgrund ihrer überragenden Marktstellung keinen wirksamen Wettbewerb zulassen. Diese marktbeherrschende Stellung der fünf Unternehmen erlaube ihnen, auch ohne explizite Abstimmung untereinander die Preispolitik auf dem Markt allein zu bestimmen.

Gegen die Untersagung zogen Total und die Verkäuferin, der österreichische Konzern OMV, vor das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG). Ihrer Meinung nach hatte das Bundeskartellamt bei der Beurteilung der geplanten Transaktion die Wettbewerbsbedingungen auf den Tankstellenmärkten falsch eingeschätzt.

Düsseldorf kassiert, doch Sektoruntersuchung bringt die Wende

Das OLG teilte diese Auffassung. Es hob die Entscheidung des BKartA im August 2010 mit der Begründung auf, dass die Behörde die Existenz eines marktbeherrschenden Oligopols zwischen den genannten Tankstellenbetreibern nicht nachgewiesen habe (Az. VI-2 Kart 6/09 (V)). Denn zum einen lägen die Preise von Jet regelmäßig unter den Preisen der anderen Tankstellenbetreiber, was zeige, dass die anderen offensichtlich keine Sanktionsmechanismen gegen den Preisbrecher hätten. Zum anderen zeigten die geringe Gewinnmarge der Tankstellenbetreiber und die Schwankungen der Benzinpreise, dass die Beteiligten unter erheblichem Wettbewerbsdruck stünden.

Für das BKartA war die Entscheidung aus Düsseldorf äußerst relevant: Bereits seit Mai 2008 beschäftigte es sich im Rahmen der so genannten Sektoruntersuchung Kraftstoffe mit den Marktstrukturen und Wettbewerbsbedingungen im Mineralölbereich. Die Studie wurde im Mai 2011 abgeschlossen, während das Verfahren vor dem BGH bereits lief. Das Ergebnis der Untersuchung war eindeutig: Das Oligopol auf regionalen Tankstellenmärkten besteht nach Meinung des BKartA tatsächlich.

Es überrascht daher wenig, dass sich die Karlsruher Richter nun auf die Seite der Bonner Behörde stellen und sich dabei auf die Sektoruntersuchung stützen. Nach ihrer Ansicht lässt das Auf und Ab der Benzinpreise keinen eindeutigen Schluss auf einen wirklich bestehenden Wettbewerb zu. Ein Oligopol lasse sich daher auch nicht ausschließen. Der Fall muss nun zurück nach Düsseldorf. Der BGH erteilt dem OLG damit den Auftrag, die tatsächlichen Wettbewerbsbedingungen auf dem Tankstellenmarkt noch eingehender zu untersuchen.

Das letzte Wort in diesem Streit ist also noch nicht gesprochen. Doch das Verfahren zeigt einmal mehr, dass Fusionskontrollverfahren oftmals im Sachverhalt gewonnen werden. Es zählen in erster Linie die Fakten. Dem BGH war es unmöglich, die umfassend wettbewerbsökonomisch begründeten Ergebnisse der Sektoruntersuchung außer Acht zu lassen. Jetzt wird es jedoch schwer für die Mineralölriesen. Sie sind bei der Ermittlung des Sachverhalts dem BKartA gegenüber strukturell im Nachteil: Zwar verfügen sie oftmals über die größeren finanziellen Ressourcen als die Bonner Behörde. Doch gehen die Ermittlungsmöglichkeiten der staatlichen Hüter des Marktes erheblich weiter als die der privaten Beteiligten, die zum Beispiel nicht über die Möglichkeit verfügen, von anderen Marktteilnehmern Auskünfte zu verlangen.

Wer im vorliegenden Fall die Oberhand behalten wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, dass das Urteil aus Karlsruhe weitere Übernahmen auf dem Tankstellenmarkt erheblich erschweren wird, sollte das BKartA Recht behalten.

Dr. Nicolas Kredel, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner, Sarwenaz Kiani, Master of European Law (Sorbonne) ist Rechtsanwältin bei Baker & McKenzie. Die Autoren beraten im deutschen und europäischen Kartellrecht, unter anderem in Fusionskontrollverfahren vor dem Bundeskartellamt und der EU-Kommission.

 

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Zitiervorschlag

BGH zu Tankstellen-Oligopol: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4990 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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