Asylsuchende, die per Flugzeug nach Deutschland kommen, werden am Flughafen zunächst einmal festgesetzt, bis die Behörden entscheiden, wie es weitergeht. Das sei keine Freiheitsentziehung, meint der BGH in einem aktuellen Urteil.
Seit Horst Seehofers Ankerzentrums-Plänen sind sie weit bekannt: die sogenannten Flughafenverfahren. Flüchtlinge, die auf dem Luftwege nach Deutschland gelangen, werden zunächst im Transitbereich des Flughafens festgesetzt, bis entschieden ist, wie weiter mit ihnen verfahren werden soll. Das ist kein Akt der Freiheitsentziehung, bestätigte nun der Bundesgerichtshof (BGH). Auch dann nicht, wenn sie mangels gültigen Passes keine reale Chance haben, den Bereich zu verlassen (Urt. v. 12.07.2018, Az. V ZB 98/16).
Flughafenverfahren dienen dazu, Personen, die auf dem Luftweg ins Land gelangen und offensichtlich kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, schon die Einreise zu verweigern, um sie schnellstmöglich wieder zurück schicken zu können. Möglich macht dies der rechtliche Status der Transitzonen als faktisches "Niemandsland", das nicht zum Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates gehört. Rechtlich gesehen reist man also erst beim Verlassen der Zone in ein Land ein.
Nötig für eine Einreise ist in Deutschland neben einem gültigen Pass auch ein Aufenthaltstitel, zudem darf natürlich kein Einreiseverbot vorliegen. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, hat die Person die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, der dann an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergeleitet wird. Dieses entscheidet in einem Schnellverfahren, ob Aussicht auf ein Bleiberecht besteht. Dazu darf die Person dann ohne richterliche Anordnung 30 Tage lang im Transitbereich festgehalten werden.
11 Tage am Flughafen: Beschwerde nicht statthaft
Im Fall vor dem BGH ging es um eine Iranerin, die am 18. April 2016 mit einem Flug aus Athen in Frankfurt am Main angekommen war und dort am Flughafen um Schutz ersucht hatte. Sie wurde daraufhin in Gewahrsam genommen, ein Asylverfahren wurde eingeleitet. Am 29. April wurde die Frau schließlich entlassen und in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen verbracht. Ihr Asylantrag wartete zu diesem Zeitpunkt noch auf Bescheidung.
Noch aus dem Gewahrsam im Transitbereich des Frankfurter Flughafen heraus hatte die Iranerin bereits gegen ihre Festsetzung geklagt, war damit aber vor dem Amtsgericht nicht erfolgreich. Ihr Beschwerde zum Landgericht wurde ebenfalls abgelehnt. Hiergegen wandte sie sich dann mit der Rechtsbeschwerde zum BGH.
Wieder ohne Erfolg, die V, Zivilsenat wies sie als nicht statthaft ab. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde richtet sich nach § 70 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Mangels Zulassung der Beschwerde stützte die Frau diese auf Abs. 3 der Vorschrift. Danach ist die Beschwerde ohne Zulassung statthaft, wenn es um eine Freiheitsentziehung geht.
Im Zentrum der Entscheidung des BGH stand somit die Frage, ob es sich bei Flughafenverfahren um eine Freiheitsentziehung handelte. Zwar konnte die Frau zum relevanten Zeitpunkt weder nach Deutschland einreisen noch ein anderes Flugzeug besteigen, da sie keinen gültigen Pass besaß. Die Karlsruher Richter sehen in dem unfreiwilligen Aufenthalt aber dennoch keine Freiheitsentziehung, wenngleich sie eine "faktische Nähe" zu einer solchen zugestehen.
Auch BVerfG: faktische Unfreiheit ist noch kein Freiheitsentzug
Der Gesetzgeber habe sich bei der Schaffung von § 15 Abs. 6 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), der das Flughafenverfahren regelt, auf die Linie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) begeben, argumentiert der Senat. Danach berührten rechtliche oder tatsächliche Hindernisse für das Überschreiten der Staatsgrenzen nicht den Gewährleistungsgehalt der von Art. 2 Abs. 2 S. 2 und Art. 104 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) geschützten körperlichen Bewegungsfreiheit.
Der BGH bezieht sich dabei auf die Entscheidung des BVerfG über den Fall eines Togolesen, der 1993 an einem deutschen Flughafen versucht hatte, ohne Pass ins Land zu gelangen. "Die Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens (...) auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich eines Flughafens stellt keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung (...) dar" stellte das BVerfG darin fest (Urt. v. 14.05.1996, Az. 2 BvR 1516/93). Grund dafür sei, so die Richter damals, dass das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik kein einem Asylsuchenden "rechtlich zugänglicher Raum" sei.
Dahinter steht also ein formales Verständnis von Freiheit als vom Staat zugestandener Raum. Könne jemand indes den Transitbereich, etwa mangels Geld oder Pass, nicht mehr in Richtung eines anderen Landes verlassen, so sei das dem deutschen Staat nicht zurechenbar, befand das BVerfG.
Auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zieht der BGH heran. Der sehe in der Ingewahrsamnahme im Transitbereich zwar eine Freiheitsbeschränkung, jedoch keinen Freiheitsentzug. Nach dessen Rechtsprechung sei die Beschränkung der Freiheit zulässig, wenn die Betroffenen ihre Rechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention wahrnehmen könnten, die Maßnahme dem Staat die Bekämpfung der heimlichen Einwanderung ermögliche und sie sich nicht "übermäßig verlängert".
Erst die Asylverweigerung führt zur Freiheitsentziehung
Gemessen auch an diesen Kriterien seien die nationalen Vorschriften zum Flughafenverfahren nicht zu beanstanden, resümiert der BGH. Die internationalen Rechtsgarantien seien gewahrt und der Nähe zur Freiheitsentziehung werde durch die festgelegte Höchstdauer der Festsetzung von 30 Tagen Rechnung getragen.
Zudem werde bei Stellung eines Asylantrags darauf geachtet, den Aufenthalt im Transitbereich so kurz wie möglich zu halten, etwa dadurch, dass die Einreise zu gestatten sei, wenn die Behörden nicht kurzfristig über den Antrag entscheiden könnten.
Von einer Freiheitsentziehung gehen die Karlsruher Richter aber ausdrücklich für den Fall aus, dass in der Phase des Flughafenverfahrens noch negativ über den Asylantrag entscheiden werde. In diesem Fall stehe die Ingewahrsamnahme einer Zurückweisungshaft gleich und sei auch als solche zu bewerten.
BGH zum "Flughafenverfahren" für Asylsuchende: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30441 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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