Als der BGH ankündigte, sich erstmals zum Dieselskandal zu äußern, war die Aufregung groß. Der Hinweisbeschluss liegt nun vor. Für die meisten Diesel-Verfahren wird er aber nicht viel ändern, erläutern Alexandra Watzlawek und Levin Fischer.
Dass dem Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8. Januar (Az. VIII ZR 225/17) große mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde, überraschte nur wenig. Zu lange warteten Verbraucher, Autohäuser, Rechtsanwälte und Gerichte auf eine höchstrichterliche Stellungnahme zu den vielen offenen Rechtsfragen im sog. Dieselskandal. Verständlicherweise ist mit der erstmaligen inhaltlichen Äußerung des BGH die Hoffnung verbunden, Klarheit in die von Uneinheitlichkeit geprägte unterinstanzliche Rechtsprechung zu bringen. Dieser Hoffnung wird der am Mittwoch veröffentlichte Hinweisbeschluss des BGH jedoch nicht gerecht.
Wenn etwa Heribert Prantl in seinem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 22. Februar den Hinweisbeschluss zum Anlass nimmt, den Verbrauchern zur Klage zu raten ("Klagt, klagt, klagt!"), geht dies aus gleich mehreren Gründen an der Sache vorbei.
Aussagegehalt beschränkt sich auf Händler
Das ergibt sich zunächst daraus, dass sich der Hinweisbeschluss und sein Aussagegehalt allein auf Klagen gegen den Verkäufer des Fahrzeuges beschränken. Dies dürfte in der Regel der Fahrzeughändler sein. Der BGH weist lediglich auf seine vorläufige Rechtsauffassung zu zwei Rechtsfragen zum vertraglichen Nacherfüllungsanspruch gegen den Händler hin.
Zum einen sei bei Vorliegen einer sog. Abschalteinrichtung von einem Mangel auszugehen, zum anderen sei der Anspruch gegen den Händler auf Lieferung eines Ersatzfahrzeuges nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Fahrzeug in der gekauften Generation nicht mehr hergestellt werde. Zur Frage, inwiefern den Herstellern des Fahrzeugs eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorgeworfen werden kann, äußert sich der VIII. Zivilsenat dagegen nicht. Die von den Karlsruher Richtern behandelten Rechtsfragen lassen auch keinen Schluss auf die Verfahren gegen die Hersteller zu. Die gegen diese geltend gemachten Anspruchsgrundlagen weichen von denen gegen die Händler nach ihrem Wesen, ihren Voraussetzungen und den Rechtsfolgen ganz erheblich ab. Auf Hersteller-Verfahren dürfte sich der Hinweisbeschluss daher gar nicht auswirken.
Hinweisbeschluss betrifft nur Anspruch auf Ersatzlieferung
Aber auch für die Händlerklagen dürfte der Hinweisbeschluss keine allzu große Bedeutung gewinnen.
Dem Hinweis liegt eine Klage auf Ersatzlieferung eines neuen Fahrzeugs zugrunde. Der BGH äußert sich folglich auch nur zu Fragen, die für den Anspruch auf Ersatzlieferung maßgeblich sind.
Die ganz überwiegende Zahl der bisherigen Klagen gegen Kfz-Händler hatte jedoch Ansprüche auf Rückabwicklung der Kaufverträge zum Gegenstand, die neben der Frage des Sachmangels noch weitere, deutlich streitigere Rechtsfragen aufwerfen. Konkret geht es etwa um das Fristsetzungserfordernis und die Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Insbesondere die beiden genannten Voraussetzungen für einen wirksamen Rücktritt führen in der unterinstanzlichen Rechtsprechung häufig zur Abweisung der Händlerklagen. Die Durchsetzung von Rückabwicklungsansprüchen bleibt von dem Hinweisbeschluss damit in wesentlichen Teilen unberührt.
Nicht mit vielen neuen Klagen auf Ersatzlieferung zu rechnen
Dem ließe sich nun freilich entgegenhalten, dass der Hinweisbeschluss dazu führen könnte, dass alle künftigen Händlerklagen nicht mehr auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, sondern auf Ersatzlieferung eines Neufahrzeuges gerichtet würden.
Fraglos stellt die Aussage des BGH zur Unmöglichkeit der Ersatzlieferung den beachtenswerteren Teil des Hinweisbeschlusses dar. Bislang war in der obergerichtlichen Rechtsprechung die klare Tendenz zu erkennen, die Lieferung eines Neufahrzeuges für unmöglich zu halten, wenn das ursprüngliche Fahrzeugmodell nicht mehr hergestellt wird. Dass der BGH nun davon ausgeht, dass auch bei einem Modellwechsel die Nachlieferung möglich bleiben kann, überrascht. Die Nachlieferung zielt grundsätzlich lediglich auf die Lieferung einer mangelfreien, im Übrigen aber gleichartigen und gleichwertigen Sache. Nach Auslegung des Parteiwillens führte der BGH nun aber aus, dass beim Kauf eines Neufahrzeugs das Nachfolgemodell als gleichartig und gleichwertig zu beurteilen sei, auch wenn die Werte des Nachfolgemodells wesentlich von denen des Ausgangsmodells abweichen.
Trotzdem bleiben Händlerklagen auf Ersatzlieferung auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des BGH mit ganz erheblichen Prozessrisiken verbunden. Gerade für Gebrauchtwagen-Geschäfte wird eine Ersatzlieferung auch weiterhin als unmöglich zu werten sein. Ferner dürften die Händler bei Neufahrzeugen auch künftig einwenden, dass das Software-Update des Herstellers geeignet sei, den Mangel zu beseitigen und die Kosten der Ersatzlieferung zu den Kosten für die Softwarelösung außer Verhältnis stünden. Damit müsste im Ergebnis wohl wieder geklärt werden, ob das Software-Update zur Mangelbeseitigung geeignet ist.
Eine weitere, ganz erhebliche Hürde für neue Händlerklagen stellt ferner die Einrede der Verjährung dar. In den meisten Fällen dürfte die zweijährige Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 BGB bereits abgelaufen sein. Anders könnte es nur dann sein, wenn man dem Händlern nachweisen könnte, dass er den Mangel arglistig verschwiegen hat.Ob sich die Autohäuser dabei das Verhalten des Herstellers zurechnen lassen müssen, ist jedenfalls fraglich. Bislang scheint die Mehrheit der unterinstanzlichen Gerichte eine solche Zurechnung abzulehnen.
Auch wenn der Hinweisbeschluss des BGH durchaus beachtliche Aussagen zur Ersatzlieferung eines neuen Fahrzeuges enthält, eignet er sich keinesfalls, um Verbrauchern pauschal zur Klageerhebung zu raten. Für die Rückabwicklungsfälle sind die wesentlichen Rechtsfragen weiterhin nicht höchstrichterlich geklärt. Auch die Klage auf Ersatzlieferung eines neuen Fahrzeuges ist trotz des Hinweises aus Karlsruhe weiterhin mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Der Ablauf der Diesel-Verfahren wird sich daher wohl nicht fundamental verändern.
Die Autorin Alexandra Watzlawek ist Partnerin bei Eversheds Sutherland (Germany) LLP mit Beratungsschwerpunkt in der Automobilbranche. Sie berät dabei regelmäßig auch eine Tochtergesellschaft des VW-Konzerns (Transparenzhinweis auf Leserhinweis nachträglich eingefügt am Tag der Veröffentlichung, 20:05 Uhr). Levin Fischer ist Associate bei Eversheds Sutherland (Germany) LLP. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind das nationale und internationale Handels- und Vertriebsrecht einschließlich vertraglicher Gestaltung.
Hinweisbeschluss des BGH veröffentlicht: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34123 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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