BGH zu Kündigungsrecht wegen Eigenbedarfs: Schutz vor dem Mieterschutz - für den Mieter

von Dominik Schüller

10.07.2013

Mietrecht paradox: Eigentlich soll der § 575 BGB dem Schutz des Mieters dienen. Der BGH hatte heute jedoch über einen Fall zu entscheiden, in dem die konsequente Anwendung der Vorschrift das genaue Gegenteil bewirkt hätte. Wie die Richter mit der rechtlichen Zwickmühle umgegangen sind, erläutert RA Dominik Schüller.

Mieter in Deutschland genießen einen guten Schutz vor Kündigungen. So lange sie nicht gegen ihre Pflichten verstoßen, ist es zum Ärger vieler Vermieter kaum möglich, einen Wohnraummietvertrag ordentlich oder fristlos auf Vermieterseite zu beenden. Die in der Praxis häufigste Ausnahme hiervon stellt die Eigenbedarfskündigung dar. Nach § 573 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann der Vermieter ein Wohnraummietverhältnis ausnahmsweise fristgerecht kündigen, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

Diese Möglichkeit wird vom Bundesgerichtshof (BGH) inzwischen sehr weit und vermieterfreundlich ausgelegt. So zählt beispielsweise eine Nichte noch zum Kreis der Familienangehörigen (BGH, Urt. v. 27.01.2010, Az.: VIII ZR 159/09), und auch der rein beruflich bedingte Eigenbedarf kann als Kündigungsgrund ausreichen (BGH, Urt. v. 26.09.2012, Az.: VIII ZR 330/11).

Schutz durch Ausschluss der Eigenbedarfskündigung

Mieter hingegen reagieren auf Eigenbedarfskündigungen zumeist mit Unverständnis, vor allem dann, wenn sie sich im Rahmen des Mietverhältnisses nichts zu Schulden haben kommen lassen. Praktisch laufen solche Fälle auf einen Rechtstreit über die Kündigungsberechtigung hinaus, der häufig mit einer vergleichsweisen Lösung endet.

Wer dem als Mieter vorbeugen will, der kann bereits bei Vertragsschluss eine Eigenbedarfskündigung des Vermieters ausschließen. Solche Klauseln sind zulässig, lassen sich allerdings häufig nicht durchsetzen. Sie sind zudem für den Vermieter ungünstig, da sie auch bei einem Eigentumswechsel ihre Gültigkeit behalten und den Verkaufswert der Immobilie daher spürbar senken. Als Alternative bietet sich ein beidseitiger Kündigungsverzicht an, der für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren zulässig ist (BGH, Urt. vom 06.04.2005, Az.: VIII ZR 27/04).

Alternative Zeitmietvertrag

Über eine andere Gestaltungsvariante hatte heute der BGH zu entscheiden (Az. VIII ZR 388/12). Der Mieter im dortigen Fall war anscheinend an einer langen Mietdauer bei Ausschluss der Eigennutzung des Vermieters interessiert. Daraufhin nahmen die Parteien folgende Klausel in den Mietvertrag auf:

"Das Mietverhältnis wird auf Verlangen des Mieters auf bestimmte Zeit geschlossen. Es beginnt am 1. November 2004 und endet am 31. Oktober 2011, wenn es nicht verlängert wird. Mit 2 x 3-jähriger Verlängerungsoption."

Im Ergebnis sollte dies einen Ausschluss der Eigenbedarfskündigung für bis zu 13 Jahre bewirken. Nachdem die Vermieterin das Mietverhältnis dennoch im Befristungszeitraum zunächst wegen Eigenbedarfs und später auch fristlos gekündigt hatte, stritt man sich über den Räumungsanspruch bis zum BGH. Der Mieter war der Auffassung, dass für die Dauer der Befristung des Mietvertrages eine ordentliche Kündigung insbesondere wegen Eigenbedarfs ausgeschlossen, die Kündigung also unwirksam sei.

Goldene Brücke für den Mieter

Die Rechtslage war jedoch keineswegs so eindeutig. Wohnraummietverträge können nur dann befristet werden, wenn einer der in § 575 Abs. 1 BGB genannten Gründe vorliegt. Das war hier jedoch nicht der Fall, weshalb der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat die Befristung für unwirksam erklärte. Das Mietverhältnis galt daher als auf unbestimmte Zeit geschlossen, was grundsätzlich auch ein Wiederaufleben der Möglichkeit zur Eigenbedarfskündigung bedeutet hätte.

Dieses Ergebnis wäre jedoch paradox gewesen, denn der § 575 BGB dient an sich dem Schutz des Mieters, hätte sich in diesem Fall jedoch zu seinem Nachteil ausgewirkt. Der BGH löste sich mit einer ergänzenden Vertragsauslegung aus der Bredouille: Wenn die Parteien gewusst hätten, dass die Befristung unwirksam war, so hätten sie einen beiderseitigen Kündigungsausschluss für die gleiche Dauer vereinbart, so die obersten Bundesrichter. Eine Eigenbedarfskündigung sei daher bis zum Ende der beabsichtigten Befristung ausgeschlossen. Da das Berufungsgericht nicht über die fristlose Kündigung entschieden habe, hat der BGH die Sache insoweit zurück verwiesen.

Die heutige Entscheidung steht im Widerspruch zum oben zitierten Urteil des BGH vom 29.06.2012. Dort hatte der VIII. Senat entschieden, dass ein beidseitiger, formularmäßiger Kündigungsverzicht von mehr als vier Jahren wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters in der Regel unwirksam ist. Durch die nun vom BGH eingeführte ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Zeitmietvertragsklauseln lässt sich faktisch jedoch eine deutlich längere beidseitige Bindungsfrist erreichen.

Der Autor Dominik Schüller ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in der Immobilienrechtskanzlei SAWAL Rechtsanwälte & Notar in Berlin.

Zitiervorschlag

Dominik Schüller, BGH zu Kündigungsrecht wegen Eigenbedarfs: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9113 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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