BGH zur Panoramafreiheit für "nicht ortsfeste Objekte": Der Kuss des Kreuz­fahrt­riesen

von David Ziegelmayer

28.04.2017

Die Panoramafreiheit ist ein Reizwort im Urheberrecht. Mit einem Urteil vom Donnerstag hat der BGH diese Freiheit weiter gestärkt und auf Fahrzeuge im öffentlichen Raum ausgedehnt. Zu Recht, meint David Ziegelmayer.

Zu schön war der Fall, um vom Bundesgerichtshof (BGH) einfach ignoriert zu werden: Darf man den "AIDA-Kussmund", aufgemalt auf dem Bug eines Schiffes, fotografieren und ins Internet stellen? Anders gefragt: Gilt die sogenannte "Panoramafreiheit" auch für "mit Fahrzeugen verbundene Werke"? Nach dem Urteil von Donnerstag steht fest: Sie gilt und man darf (BGH, Urt. v. 27.04.2017, Az. I ZR 247/15). Ein anderes Ergebnis wäre allerdings auch eine echte Überraschung gewesen.

Was war geschehen? Der "Kussmund" war von einem bildenden Künstler zur Verwendung auf den Schiffen der AIDA Cruises kreiert worden. Durch einen Lizenzvertrag hatte der Künstler im Jahr 2007 der Gesellschaft das zeitlich und örtlich uneingeschränkte, ausschließliche Recht eingeräumt, "die Bemalung an den Bordwänden zu erhalten, zu restaurieren, zu entfernen und erneut, unverändert auf jeweilige Bordwand zu reproduzieren und die Entwürfe und Reinzeichnungen beliebig zu vervielfältigen".

Veranstalter sah exklusives Nutzungsrecht verletzt

Genau diese Exklusivität bei der Vervielfältigung des Motivs sah die Kreuzfahrtgesellschaft verletzt, als ein Veranstalter von Ausflügen bei Landgängen auf Kreuzfahrtreisen in Ägypten ein Bild ins Netz stellte. Der musste sich daraufhin wegen des Vorwurfs einer Urheberrechtsverletzung vor dem Landgericht Köln verantworten (Az. 28 O 554/12). Man kann sich als Unbeteiligter allerdings fragen, ob es der Klägerin dabei wirklich vorrangig um das Urheberrecht ging oder vielleicht eher darum, den Veranstalter – freundlich formuliert – auf Distanz zu halten (nebenbei hatte man den Beklagten auch noch wegen einiger "Impressumsverstöße" auf der Internetseite verklagt). Üblicherweise bieten Kreuzfahrtunternehmen schließlich auch eigene Ausflüge während der Landgänge an.

Der Streit wird allerdings noch erheblich bizarrer, wenn man sich in seine Details vertieft. Gleich zu Beginn des Verfahrens stand nämlich die Frage, ob der Klageantrag überhaupt bestimmt genug sei. Denn weder zeigte das umstrittene Foto eine Landschaft in Ägypten, noch war darauf – zumindest auf den ersten Blick –überhaupt ein Kussmund zu sehen. Vielmehr handelte es sich wohl um den Hafen der Atlantikinsel Madeira, in der ein AIDA-Schiff angelegt hatte, das der Beklagte dort abgelichtet haben wollte. Mit viel Fantasie (oder Vorwissen) auf der Backbordseite des Kreuzfahrtriesen noch zu erahnen: Die Ausläufer einer roten Lippe. Das Oberlandesgericht Köln stellte dazu in der zweiten Instanz lapidar fest: "Das Landgericht hat zwar in der mündlichen Verhandlung erörtert, dass der "'Kussmund"' (…) nicht erkennbar sei. Nachdem aber klargestellt worden ist, dass auch die geschlängelten "'Augenbrauen"' zu dem Werk gehören, wird (…)  der Umfang eines etwaigen Verbots hinreichend konkretisiert" (Az. 6 U 34/15).

Kein Zweifel an der Urheberrechtsfähigkeit des "Kussmunds"

Ob Kussmund oder Augenbrauen: Zweifel an der Urheberrechtsfähigkeit des Kunstwerkes hatte keines der Instanzgerichte. Die Gestaltung von Mund, Augen und Augenbrauen weise vielmehr eine "hinreichende schöpferische Eigenart" auf. Damit ist das Motiv urheberrechtlich geschützt und darf grundsätzlich nicht – durch Einstellen auf eine Internetseite – vervielfältigt bzw. öffentlich zugänglich gemacht werden. Denn das verbietet Paragraf  97 Absatz 1 in Verbindung  mit Paragraf 19 a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG).

Im Urheberrecht gilt jedoch nicht alles ausnahmslos: Hier kommt nun die so genannte "Panoramafreiheit" nach Paragraf 59 Abs. 1 UhrG ins Spiel, wo es heißt: "Zulässig ist, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Graphik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben." Der Gedanke dahinter: Kunstwerke an öffentlichen Orten sind Gemeingut.

Zitiervorschlag

David Ziegelmayer, BGH zur Panoramafreiheit für "nicht ortsfeste Objekte": . In: Legal Tribune Online, 28.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22775 (abgerufen am: 02.11.2024 )

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