Der BGH feilt weiter an einem mittlerweile sehr verlässlichen System zur Haftung von Plattformbetreibern im Internet. Die Inhaber von Holidaycheck müssen nicht vorab verhindern, dass ihre Nutzer darin Lügen über Hostels verbreiten können, entschied der Gerichtshof am Donnerstag. Warum das Urteil dennoch keine "Grundsatzentscheidung" war und warum das auch gut so ist, erklärt David Ziegelmayer.
Ist doch schön, wenn sich alle einig sind: Das Landgericht (LG) und das Kammergericht (KG) Berlin haben richtig geurteilt, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) gestern (Urt. v. 19.03.2015, Az. I ZR 94/13). Demnach haftet die Betreiberin eines Hotelbewertungsportals nicht wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) auf Unterlassung unwahrer Tatsachenbehauptungen, die ein Nutzers auf der Plattform verbreitet hat.
Noch bevor mehr als die Pressemitteilung des BGH bekannt ist, rauscht schon die Überschrift "Plattformbetreiber haften nicht für fremde Inhalte" durch die Gazetten. Das klingt nach einer wegweisenden Grundsatzentscheidung – ist es aber eigentlich nicht, wie eine kleine Analyse des Verfahrens zeigt.
Plattformbetreiber haften nicht. Oder doch?
Was war passiert? Die Betreiberin eines Berliner Hostels klagte gegen das Reisebüro und Bewertungsportal "Holidaycheck", in das jedermann Berichte über Hotels einstellen und die Betriebe hinsichtlich verschiedener Kriterien in eine Skala von einer bis sechs Sonnen einordnen kann.
In einer Bewertung zu dem Hostel ließ sich ein Gast unter der Überschrift "Für 37,50 € pro Nacht u. Kopf im DZ gabs Bettwanzen" unter anderem darüber aus, dass in der Herberge die Zimmer bzw. Betten mit Bettwanzen befallen und "verseuchte" Zimmer (erst) auf mehrmalige telefonische Nachfrage geschlossen worden seien. Auch sei das Fernsehgerät wohl absichtlich schlecht befestigt worden, da bei Beschädigung 50,- € gezahlt werden müssten.
Es kam, wie es kommen musste: Die Inhaber des Hostels mahnten Holidaycheck ab, die daraufhin die beanstandete Bewertung von ihrem Portal entfernte, jedoch die von der Klägerin verlangte strafbewehrte Unterwerfungserklärung nicht abgab. Nächster Halt: LG Berlin.
Dass diese Behauptungen nicht richtig waren, war nicht Gegenstand des Streits. Stein des Anstoßes war nämlich die Ansicht des Hostels, dass die Beklagte als Betreiberin eines solchen Bewertungsportals eine umfassende allgemeine Vorabprüfungspflicht treffe und sie jegliche Tatsachenangabe unterbinden müsse, dessen Richtigkeit sie nicht nachweisen könne. Und genau das ist nicht der Fall, wie die drei Instanzen unisono urteilten.
Portal muss nicht vorab umfassend prüfen
Das ändere sich auch nicht dadurch, dass nach Abgabe des vermeintlich auf Tatsachen basierenden Gast-Urteils die bei der Bewertung anzugebende E-Mail-Adresse überprüft wird und der Inhaber der Adresse eine E-Mail bekommt mit der Aufforderung, einen Link anzuklicken und seine Identität zu bestätigen.
Auch der Umstand, dass jede Bewertung vor ihrer Veröffentlichung bei Holidaycheck ein automatisiertes Prüfungsverfahren durchläuft, das gegebenenfalls zu einer "manuellen Tiefenrecherche" - was dies auch immer bedeuten mag - durch Mitarbeiter der Plattformbetreiberin führt, ist nicht von Belang.
Denn all dies, so der BGH in seiner bestätigenden Entscheidung, führe nicht dazu, dass die Nutzerbewertung zu einer eigenen "Behauptung" des Bewertungsportals werde, weil sie sich diese weder durch die Prüfung der Bewertungen noch durch deren statistische Auswertung inhaltlich zu eigen gemacht hat. Oder, wie es das Kammergericht noch ausgedrückt hatte: "Darüber, ob eine Hotelbewertung ins Netz gestellt wird, entscheidet nicht die Beklagte, sondern allein der Verfasser der Bewertung."
Wer macht sich was wann "zu eigen"?
Holidaycheck hat die Behauptung auch nicht "verbreitet", meint der BGH. Die Haftung eines Diensteanbieters im Sinne des § 2 Nr. 1 Telemediengesetz (TMG) wird nach § 7 TMG nämlich wieder eingeschränkt. Er haftet nur dann für die unwahren Tatsachenbehauptungen des Dritten, wenn er spezifische Prüfungspflichten verletzt hat, deren Intensität sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet.
Und an dieser Stelle liegt der Hase im Pfeffer: Denn weder war es in der Vergangenheit so, noch wird es in Zukunft so sein, dass der Plattformbetreiber sich einfach nur auf seine Rolle zurückziehen und fragen kann: "Wieso soll ich haften? Ich bin doch nur Plattformbetreiber." Das hatten die Karlsruher Richter vor einigen Jahren deutlich gemacht, als sie die Betreiber der Rezepteplattform "Marions Kochbuch" in die Pflicht nahmen (Urt. v. 12.11.2009, Az. I ZR 166/07).
Demnach besteht zum Beispiel dann eine Verantwortlichkeit, wenn der Plattformbetreiber die eingestellten Inhalte vor ihrer Freischaltung auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft und sie sich damit zu eigen macht. Ein Hinweis darauf liegt demnach darin, dass er sich umfassende Nutzungsrechte an den fremden Inhalten einräumen lässt und Dritten anbietet, diese Inhalte kommerziell zu nutzen.
Zu weit entfernt, um zu haften
Mit dem gestrigen Urteil hat der BGH also einen weiteren "Musterfall" skizziert, mit dem der Plattformbetreiber gerade noch weit genug vom eigentlichen Geschehen entfernt ist, um nicht selbst zu haften.
Wohlgemerkt heißt dies nicht, dass derartige Falschbewertungen weiterhin dort zu lesen sein dürfen, wie nach solchen Urteilen auch immer wieder spekuliert wird. Denn spätestens wenn der Plattformbetreiber vom Betroffenen in Kenntnis gesetzt wird und die Vorwürfe nicht selbst belegen kann, müssen die Inhalte "raus". Da hilft auch die Feststellung des Kammergerichts nicht: "Beleidigenden Charakter, wie etwa häufig die Begriffe "Schmeißfliege" oder "Zecke", haben die Begriffe "Bettwanze" und "verseucht" jedenfalls nicht."
Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Köln. Er ist als Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert auf Äußerungsrecht und Reputationsschutz für Unternehmen.
David Ziegelmayer, BGH zur Verantwortlichkeit von Bewertungsportalen: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15010 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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