BGH zu mangelhaften Brustimplantaten: Der TÜV muss weiter bangen

2011 wurde bekannt, dass die weltweit hunderttausendfach verwendeten Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP minderwertig und gefährlich sind. Schadensersatz war vom insolventen Hersteller jedoch nicht zu erlangen. Eine Betroffene klagte stattdessen gegen den TÜV, der die Produktion geprüft hatte. Der BGH hat das Verfahren am Donnerstag ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt.

Auch knappe vier Jahre nach Bekanntwerden des Skandals um die mit Industriesilikon gefüllten Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) ist eine endgültige Klärung der Rechtslage noch nicht erreicht. Die gefährlichen Implantate müssen in der Regel in einer weiteren OP entfernt und ersetzt werden. Allein in Deutschland sind mehrere tausend Frauen betroffen.

Eine von ihnen versucht seit Jahren, Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro sowie den Ersatz etwaiger zukünftiger Schäden zu erstreiten. Geklagt hat sie nicht etwa gegen das französische Unternehmen PIP, sondern gegen den TÜV Rheinland, der das sogenannte "Konformitätsbewertungsverfahren" für die Silikonkissen durchgeführt hat. Dieses Verfahren ist verpflichtend durchzuführen, bevor neue Medizinprodukte in Deutschland in den Verkehr gebracht werden dürfen (§ 6 Abs. 2 Satz 1, § 37 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG), § 7 Abs. 1 Nummer 1 Medizinprodukte-Verordnung (MPV) in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte).

Obwohl die Mängel bei der Überprüfung durch den TÜV nicht offenbar wurden, wiesen  die Vorinstanzen die Klage ab. Der Begutachtungsvertrag zwischen dem TÜV und PIP erfülle nicht die Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter; eine derartige Haftungserstreckung sei von den Parteien nicht beabsichtigt gewesen. Im Übrigen – und insoweit auch mit Blick auf deliktische Ansprüche – treffe den TÜV kein Verschulden, da die von ihm durchgeführten Prüfmaßnahmen ausreichend gewesen seien.

Vorinstanzen: TÜV weder haftbar noch zu mehr Prüfung verpflichtet

"Ich finde das Urteil, mit dem das OLG Zweibrücken die Klage abgewiesen hat, nach wie vor überzeugend", sagt Dr. Boris Handorn, Leiter der Healthcare-Group bei Noerr. "Die Richtlinie ordnet  lediglich an, dass der Hersteller ein Konformitätsbewertungsverfahren durchführen muss. Dies ist ausdrücklich seine Aufgabe – und welche Prüfstelle er dazu beauftragt, ist seine Entscheidung." Der TÜV sei lediglich auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages mit PIP tätig geworden und gerade nicht als "beliehene" Stelle, die Aufgaben der Gefahrenabwehr im Namen der öffentlichen Hand wahrnehme.

Im Übrigen sei auch fraglich, ob die vom TÜV durchgeführten Qualitätskontrollen überhaupt unzureichend gewesen seien. PIP hatte den TÜV jahrelang gezielt bei seinen Kontrollen getäuscht. Unangekündigte Produktprüfungen bei PIP hätten den Schwindel wohl offenbar werden lassen. "Aber zu solchen Prüfungen war der TÜV nicht verpflichtet", sagt Handorn. "Die Richtlinie spricht ausdrücklich davon, dass die benannte Stelle unangemeldete Prüfungen durchführen kann. Seit November 2013 gibt es freilich eine Empfehlung der Kommission (2013/473/EU, Anm. d. Red.), dies zu tun. Eine verbindliche Auslegung des Richtlinienrechts liegt darin aber nicht, und auf die Vergangenheit kann sie ohnehin nicht zurückwirken."

EuGH soll Haftung und Pflichten der Prüfstelle klären

Ein Gericht in Frankreich hatte dies indes noch anders gesehen: Ende 2013 stellte das Tribunal de Commerce in Toulon eine Haftung des TÜV Rheinland fest. Eine Berufung gegen die Entscheidung ist jedoch noch beim Court d'appel in Aix-en-Provence rechtshängig.

Anders als das französische Gericht und die Vorinstanzen in Deutschland wollte der BGH die Sache nicht im Alleingang entscheiden, sondern hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen zur Klärung vorgelegt (Beschl. v. 09.04.2015, Az. VII ZR 36/14). Dieser wird entscheiden müssen, ob eine unmittelbare Haftung der Prüfstelle überhaupt in Frage kommt, und wie weit deren Prüfpflichten im Einzelnen reichen.

"Die Vorinstanzen haben die Lage offenbar als so klar empfunden, dass sie eine Befragung des EuGH nicht für nötig hielten", sagt Handorn. "Angesichts der europaweiten Relevanz ist eine Klärung in Brüssel aber sicher sinnvoll. Auch wenn sie am Ergebnis der bisherigen Entscheidungen meiner Meinung nach nichts ändern sollte."

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, BGH zu mangelhaften Brustimplantaten: . In: Legal Tribune Online, 09.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15190 (abgerufen am: 03.11.2024 )

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