Ein LKA-Beamter zerstückelt einen Geschäftsmann mit Säge und Messer. Dass der das so wollte, ändert nichts daran, dass der Mörder lebenslang in Haft muss, entschied der BGH am Mittwoch. Wenn er denn sein Mörder war.
Das Landgericht (LG) Dresden muss noch einmal über den Fall von Detlev G. verhandeln. Eine andere Kammer wird darüber zu befinden haben, ob und wie der ehemalige Beamte des Landeskriminalamtes Sachsen zu bestrafen ist, weil er die Leiche des Geschäftsmannes Wojciech S. aus Hannover im November 2013 mit Säge und Messer zerstückelte. Der als 'Stückelmörder' bekannt Gewordene filmte das Geschehen, das Video löschte er danach, die Ermittler mussten es rekonstruieren.
Die 1. Kammer des LG Dresden war im vergangenen Jahr nach 21 Verhandlungstagen zu dem Ergebnis gekommen, dass Detlev G. den damals 59-jährigen tötete, um diesen anschließend zu zerstückeln. Und zwar, weil er sich davon sexuellen Lustgewinn versprochen habe. Der ehemalige Beamte hatte das stets bestritten und erklärt, der Mann aus Hannover, den er online in einem "Kannibalen-Forum" kennengelernt hatte, habe sich selbst stranguliert.
Auch der Bundesgerichtshof (BGH) zeigte sich am Mittwoch nicht davon überzeugt, dass der Geschäftsmann sich nicht selbst getötet habe. Die diesbezügliche Beweiswürdigung sei lückenhaft und teilweise widersprüchlich. Der 5. Strafsenat hat das Urteil des LG Dresden daher aufgehoben und die Sache an eine andere Schwurgerichtskammer des sächsischen Gerichts zurückverwiesen (BGH, Urt. v. 06.04.2016, Az. 5 StR 504/15).
Die Karten sind völlig neu gemischt
"Die Karten sind jetzt vollkommen neu gemischt", sagte der Vorsitzende des Senats, Günther Sander, nach Verkündung der Entscheidung. In einem neuen Prozess ist der Ausgang nach seinen Worten völlig offen.
Nicht nur der Angeklagte hatte nämlich mit seiner Revision Erfolg. Auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat zu der Zurückverweisung geführt. Die Ankläger hatten beanstandet, dass das LG die sog. Rechtsfolgenlösung zugunsten des Ex-LKA-Beamten angewandt hatte, um die zwingend lebenslange Freiheitsstrafe bei einer Verurteilung wegen Mordes nicht anwenden zu müssen. Und die obersten Strafrichter in Leipzig gaben ihnen Recht.
Diese Rechtsfolgenlösung ist ein Instrument, das die Rechtsprechung aufgrund der Struktur des Mordparagraphen entwickelt hat. § 211 StGB lässt es derzeit nicht zu, als Strafmaß eine andere als die lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen, wenn die Tatbestandsmerkmale des Mordes erfüllt sind – auch, wenn dies im Einzelfall als zu drastisch erscheint. Das ist der Hauptgrund für die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) angestoßene Reform der Vorschrift, welche in einen Entwurf gemündet ist, der vor zwei Wochen an die Medien durchsickerte.
Nicht einmal die Anklage wollte lebenslänglich
Noch aber ist § 211 StGB in Kraft, das Bundesverfassungsgericht hält die Norm für verfassungsgemäß, wenn sie hinreichend restriktiv ausgelegt wird und die Möglichkeit der Haftprüfung besteht. Daher könnte der ehemalige Beamte nun zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden. Diese hielt erstinstanzlich indes nicht einmal die Staatsanwaltschaft vor für angemessen, die ihrerseits nur zehneinhalb Jahre Haft gefordert hatte. Das Opfer habe getötet werden wollen, hieß es in der Begründung – die Verteidigung hatte daher auf Freispruch plädiert.
Das LG war aber davon ausgegangen, dass der voll schuldfähige Beamte den Geschäftsmann getötet und dabei gleich zwei Mordmerkmale erfüllt habe. Einerseits habe er gehandelt, um eine andere Straftat zu ermöglichen, nämlich die Totenruhe von Wojciech S. zu stören, indem er dessen Leiche mit Messer und Elektrosäge zerstückelte und das Geschehen filmte.
Andererseits habe Detlev G. die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs begangen. Das nahm das LKA an, obgleich der Ex-LKA-Beamte das Video von der Zerstückelung der Leiche nicht behalten, sondern bereits gelöscht hatte.
2/2: BGH: keine Rechtsfolgenlösung für andere Mordmerkmale
Und so sah die Schwurgerichtskammer sich gezwungen, die sogenannte Rechtsfolgenlösung anzuwenden, um nicht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe für den Beamten zu kommen. Dass Wojciech S. mit der Tötung durch den Mann, den er im Chat als "Caligula31" kennengelernt hatte, nicht nur einverstanden war, sondern seit mehreren Jahren unbedingt so sterben wollte, wertete sie als außergewöhnlichen Umstand i.S.v. § 49 StGB und milderte die Strafe ab.
Das war rechtsfehlerhaft. Auf diese Information beschränkt sich die bislang allein vorliegende Pressemitteilung des BGH vom Mittwoch. Man darf annehmen, dass die höchsten deutschen Strafrichter bei ihrer bisherigen Linie bleiben und die Rechtsfolgenlösung nicht auf andere Mordmerkmale als die heimtückische Tötung ausdehnen wollen.
Etabliert hatte der BGH die Rechtsfolgenlösung im sogenannten Haustyrannenfall. Auch bei der Tötung eines Erpressers, bei schweren vorangegangenen Provokationen durch das spätere Opfer oder in Situationen, die der Täter für ausweglos hielt, haben die Bundesrichter die ihres Erachtens erforderlichen konkreten "Entlastungsfaktoren" gesehen, welche die lebenslange Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen. All diese Fälle betrafen aber das Mordmerkmal der Heimtücke, bei dem der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers ausnutzt.
Alles ist möglich: auch ein Freispruch
Einmal mehr stellt der BGH also klar, dass er die Reduktion der lebenslangen Freiheitsstrafe auf Fälle wie den des LKA-Beamten, aber auch den des sogenannten Kannibalen von Rothenburg nicht ausdehnen will. Es mag dahinstehen, wie vergleichbar diese im Umfeld dunkler Triebe angesiedelten Verbrechen mit den Verzweiflungstaten sind, für welche die Rechtsfolgenlösung geschaffen wurde.
Aber auch diese Fälle sind besonders. Und zwar unabhängig von den Umständen, die sich wie das Drehbuch für einen Horrorfilm lesen. Es ist nicht der Kannibalismus, der sie besonders macht, sondern es ist die Entscheidung des Getöteten, sterben zu wollen.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des BGH mehr als nur die Ablehnung, eine aus der Not geborene Ausnahme-Rechtsprechung noch weiter auszudehnen. Vielleicht sehen die höchsten deutschen Strafrichter auch schlicht kein Bedürfnis dafür, den ehemaligen LKA-Beamten auf Rechtsfolgenseite zu privilegieren. Vielleicht kommt es zu der Frage im zweiten Anlauf gar nicht. Schließlich hat der Senat auch dem Ex-LKA-Beamten Recht gegeben und die Beweiswürdigung des LG zu den Umständen des Todes von Wojciech S. kritisiert und aufgehoben.
Womöglich wird Detlev G. dann nur nach § 216 StGB bestraft. Auch wenn nach geltendem Recht niemand in seine eigene Tötung durch fremde Hand einwilligen kann, so dass der andere straffrei bleibt, sieht die Vorschrift doch für eine Tötung auf Verlangen mit sechs Monaten bis zu fünf Jahren ein völlig anderes Strafmaß vor.
Vielleicht wird eine andere Kammer des LG sogar zu dem Ergebnis kommen, dass Wojciech S. sich stranguliert hat, wie der Angeklagte stets behauptete. Die Pressemitteilung des BGH ist insoweit ergiebiger, als sie auf den ersten Blick scheint: "Das Landgericht hat die Möglichkeit einer Selbsttötung nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen", heißt es dort. Selbst wenn Detlev G. ihm dabei geholfen hätte, wäre diese Beihilfe zur Selbsttötung nach deutschem Recht nicht strafbar. Der Vorsitzende des Leipziger Strafsenats brachte es nach der Urteilsverkündung so auf den Punkt: "Von einem Freispruch bis hin zu lebenslänglich ist alles möglich."
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, BGH hebt Urteil wegen Mordes auf: Keine Rechtsfolgenlösung für den 'Stückelmörder' . In: Legal Tribune Online, 07.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18998/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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