Am Montag wird der Rechtsausschuss unter anderem über das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz beraten. Trotz heftiger Kritik sollte er an dem Entwurf festhalten, findet Michael Kubiciel, der einige Kompromisse anregt.
Soziale Netzwerke sind zur Löschung rechtswidriger Inhalte verpflichtet, kommen dieser Pflicht aber teilweise nur unzureichend nach. Die Initiative des Bundesjustizministers, die Unternehmen am Runden Tisch von einer Umsetzung ihrer Verpflichtungen zu überzeugen, hat nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Angesichts dieser Sachlage sind sich Politiker von der CSU über die SPD bis hin zu Bündnis 90/Grüne einig, dass es einer Fortschreibung des bestehenden Regelrahmens bedarf. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung im April 2017 den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) vorgelegt, der jedoch sofort nach Publizierung auf den Widerstand von Interessenvertretern und einzelner Wissenschaftler gestoßen ist.
In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat mein Kollege Prof. Dr. Daniel Zimmer (Uni Bonn) am vergangenen Freitag noch einmal die bekannten Einwände gegen den Entwurf zusammengestellt. Mich haben diese ebenso wenig überzeugt wie die von Zimmer angedeutete Lösung. Stattdessen sollen im Folgenden zwei andere Kompromissvorschläge für das dem Ende entgegengehende Ringen um das NetzDG skizziert werden.
Overblocking läuft wirtschaftlichen Interessen der Netzwerke zuwider
Die rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik am NetzDG gründet auf der Prämisse, das Gesetz gäbe Facebook und Co einen finanziellen Anreiz zu breitflächigen Löschungen (weil nur so Bußgelder sicher zu vermeiden seien). Daraus wird u.a. vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages abgeleitet, das NetzDG greife in die Meinungsfreiheit ein, da es Unternehmen auch zur Löschung von Äußerungen motiviere, die nicht strafbar sind und deshalb den Schutz von Art. 5 Abs. 1 GG genießen.
Jedoch trifft die Prämisse nicht zu. Richtig ist vielmehr, dass soziale Netzwerke gegenwärtig faktisch überhaupt keine Nachteile drohen, wenn sie strafbare Inhalte nicht löschen. Im Gegenteil: Weil für Netzwerke wie Facebook jeder Traffic guter Traffic ist, haben sie einen Anreiz, gerade kontrovers diskutierte, ja sogar strafbare Posts und Tweets online zu halten. Insofern gibt es aktuell einen Incentive, bei Beschwerden schlicht gar nichts zu tun. Diesen Status quo wollen manche Kritiker des NetzDG offenbar beibehalten, wenn sie die im NetzDG vorgesehenen Bußgelder für die sozialen Netzwerke kritisieren.
Präzisierung des NetzDG: Löschung nur rechtswidriger Inhalte
Dies wirft eine grundsätzliche Frage auf: Warum sollen die Unternehmen weiterhin mit Samthandschuhen angefasst werden? Zimmer und andere machen geltend, nicht die Unternehmen selbst schützen zu wollen, sondern die Meinungsfreiheit vor breitflächiger Löschung nicht-strafbarer Inhalte. Aber zu einem solchen Overblocking wird es nicht kommen, denn erstens werden soziale Netzwerke wie Facebook schon wegen ihrer auf Trafficmaximierung fußenden Geschäftsmodelle auch weiterhin nicht mehr löschen als nötig. Zweitens knüpft das NetzDG die Sanktionen nicht an das fehlerhafte Unterlassen einzelner Löschungen, sondern an das Versagen eines Aufsichtssystems.
Zugegebenermaßen enthält das NetzDG kein zur Löschpflicht komplementäres Gebot, rechtmäßige Inhalte in jedem Fall stehen zu lassen. Wenn man dies, trotz der dargestellten wirtschaftlichen Anreize, im Interesse der Meinungsfreiheit für geboten hält, bietet das Gesetzgebungsverfahren dafür allemal Raum: Entweder in der Gesetzesbegründung oder in einem Halbsatz des Gesetzestexts ließe sich klarstellen, dass auch dasjenige soziale Netzwerk nicht über ein angemessenes Beschwerde-Management-System verfügt, das ohne eine nähere Prüfung durch ausreichend geschultes Personal rechtmäßige Inhalte löscht. Diese Präzisierung schützt die Meinungsfreiheit, läge auf der Linie des NetzDG und nähme – politisch gesprochen – den Kritikern ihr wichtigstes Argument. Auf das Gesetz vollständig zu verzichten hieße hingegen, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Vor der Anhörung im Rechtsausschuss: . In: Legal Tribune Online, 17.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23206 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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