Fachkundige Autoren wenden sich ab, Anwälte und Richter üben massive Kritik: Trotz seiner umstrittenen politischen Ansichten will der C.H.Beck-Verlag auf CDU-Rechtsaußen und Ex-Verfassungsschützer Maaßen als GG-Kommentator nicht verzichten.
Schon wieder steht der renommierte juristische Fachverlag C.H.Beck wegen umstrittener Autoren unter Druck: Stein des Anstoßes ist diesmal die Mitarbeit des erzkonservativen CDU-Politikers Hans-Georg Maaßen (59) im Grundgesetz (GG)-Kommentar "Epping/Hillgruber". Maaßen, der seit dem Erscheinen des Werkes im Jahr 2009 an diesem mitwirkt, soll in der anstehenden Auflage die Art 16 und 16a GG kommentieren. Es hieß, Abgabetermin sei am Montag.
In der vergangenen Woche erklärten deshalb Anwältinnen und Hochschullehrer, dass sie unter diesen Bedingungen künftig auf Veröffentlichungen im Beck-Verlag verzichten werden. Ausführlich erläuterte der Staatsrechtler Prof. Dr. Stefan Huster in einem Gastbeitrag für die FAZ, warum er als Kommentator des "Epping/Hillgruber" nicht mehr zur Verfügung steht. Huster, der den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum bekleidet, warf Maaßen vor, mit juristisch unhaltbaren Auffassungen "die Axt an die Wurzel von Demokratie und Rechtsstaat" zu legen. "Derartige Positionen möchte ich nicht hoffähig machen, indem ich gemeinsam mit ihren Vertretern unsere Verfassung kommentiere", so Huster.
Auch die auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisierte Dresdner Rechtsanwältin Kati Lang, Mitherausgeberin des "Reports gegen Rechts", hat ein Angebot des Verlages, an einer Formularsammlung zum Migrationsrecht mitzuarbeiten, wegen Maaßen ausgeschlagen. "Jemand der u.a. die Unabhängigkeit der Presse bezweifelt und rassistische Argumentationsmuster nutzt, neben dem will ich nicht veröffentlichen", schrieb die Anwältin auf Twitter. Ihr gleich tat es auch die die Berliner Migrationsanwältin Myrsini Laaser. Sie weigert sich, im Beck-Verlag zu veröffentlichen, solange Maaßen dort das GG kommentiert.
"Ins Verschwörungslager abgedriftet"
Die Autor:innen stoßen sich an diversen politischen Äußerungen Maaßens, die immer wieder in der Öffentlichkeit und in der eigenen Partei für Aufregung sorgen. In der Tat ist die Liste umstrittener Aussagen des 2018 vom Bundespräsidenten in den sofortigen einstweiligen Ruhestand versetzen Ex-Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz lang. Im Wikipedia-Eintrag zu seiner Person sind unter "Kontroversen" viele von ihnen dokumentiert. Nachzulesen ist, was der promovierte Jurist von der Flüchtlingspolitik der letzten Bundesregierung, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den sog. Mainstreammedien oder auch von Corona-Maßnahmen hält.
Erst kürzlich kritisierte Maaßen auf der von Trump-Gefolgsleuten gegründeten und bei Rechtsextremen und Querdenkern beliebten Social-Media Plattform "Gettr" Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: "Nein, der Ukrainekrieg ist SEIN Krieg. Ich friere nicht für seinen Krieg! Wenn es kein Gas gibt, ist ER als zuständiger Minister persönlich für alle Auswirkungen haftbar. Auch strafrechtlich. Wenn Menschen in Deutschland durch einen Mangel an Gas zu Schaden kommen, ist er derjenige, der dafür persönlich gerade stehen wird."
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat die Entwicklung Maaßens kürzlich in einem Podcast nachgezeichnet. Maaßen sei, so der Spiegel, inzwischen auch wegen seiner Ansichten zu Corona und Klimaschützern "ins Verschwörungslager abgedriftet".
In einem Interview mit dem Publizisten Alexander Wallasch gab Maaßen vergangenen Montag nun auch (erneut) seine Position zum Thema Migration zum Besten: Deutschland sei aktuell von Massenzuwanderung betroffen. Doch anders als 2015 würde davon jedoch kaum noch gesprochen, so der Jurist. "Das Volk hat andere Probleme und die Nachrichten blenden die Massenzuwanderung nach Deutschland weitgehend aus". Im Übrigen, so Maaßen, würden die "aggressiven Linken" jegliche Diskussion über Asylmissbrauch verhindern und Personen, die das aussprechen, diffamieren.
Beck-Verlag: "Wir stehen für eine pluralistische und freie wissenschaftliche Diskussionskultur"
Dem Beck-Verlag wird Maaßen solche Vorwürfe sicher nicht machen. Schließlich darf er – wie in den drei Auflagen zuvor – jetzt auch an der anstehenden 4. Auflage des "Epping/Hillgruber" mitwirken und neben Art. 16 ausgerechnet das Asylgrundrecht Art. 16a kommentieren. Rechtsanwender und Jurastudierende dürfen sich dann auf das Verfassungsverständnis eines Autors "freuen", der 2019 bei Twitter zu flüchtenden Menschen z.B. folgendes erklärte: "Diese Migranten sind keine Schiffbrüchigen und keine Flüchtlinge. Sie haben als einwanderungswillige Ausländer die Schlepperboote bestiegen, um von einem Shuttle-Service nach Europa gebracht zu werden."
Für den Beck-Verlag sind derartige Äußerungen offenbar unproblematisch. Anders als der abgesprungene Autor Huster, für den Maaßen "allenfalls noch auf den Fransen des Verfassungsteppichs" zu stehen scheint, hat der Verlag an Maaßens Verfassungstreue offenbar keine Zweifel: "Als juristischer Fachverlag stehen wir für eine pluralistische und freie wissenschaftliche Diskussionskultur, solange sich diese im verfassungsrechtlichen Rahmen bewegt", heißt es in einem Statement. Bei Maaßen sind für den Beck-Verlag diese Voraussetzungen erfüllt: "Der Verlag C.H. BECK arbeitet ausschließlich mit Personen zusammen, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen."
Bundesverband der Jura-Fachschaften: "Zusammenarbeit mit Maaßen für die Studierenden beschämend"
Heftigen Widerspruch löst die Position des Beck-Verlags bei juristischen Organisationen und Studierenden-Vertretern aus. Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF), der die hochschulpolitischen Interessen von über 110.000 Studierenden bundesweit vertritt, reagiert gegenüber LTO entrüstet:
"Herr Maaßen hat in der Gesamtschau seiner öffentlichen Auftritte im politischen Diskurs unzweifelhaft zu erkennen gegeben, dass er mit rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Ansichten sympathisiert. Damit unterstützt er die antidemokratischen Bestrebungen verschiedener Gruppierungen. Dass er nun mit seinen Kommentierungen zu den Artikeln 16 und 16a GG das Verständnis unserer freiheitlichen Verfassung maßgeblich prägen kann, ist äußerst beschämend", so ein Sprecher.
Die Studierendenvertretung fordert den Beck-Verlag zum Handeln auf, er solle das Arbeitsverhältnis zu Herrn Maaßen kündigen: "Ein Verlag, der sich nach der Umbenennung von Palandt, Maunz und Schönfelder groß auf die Fahnen geschrieben hat, kritisch mit der Vergangenheit umzugehen, sollte die Augen vor heutigen Problemen nicht verschließen." Der Verlag untergrabe mit seiner Kooperation mit Herrn Maaßen die freiheitlichen Werte, für die er angeblich einsteht und verliert jegliche Glaubwürdigkeit in den Willen einer kritischen Beschäftigung mit der eigenen Geschichte". Die unreflektierte Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Herrn Maaßen sei für die Studierendenschaft beschämend.
Neue Richtervereinigung: "Maaßen hat sich zunehmend radikalisiert"
In eine ähnliche Kerbe hauen auch Anwaltsverbände wie der Deutsche Anwaltverein (DAV), der republikanische Anwaltverein (RAV) und die Neue Richtervereinigung NRV. Deren Co-Bundessprecher Dr. Malte Engeler, sieht den Beck-Verlag in der Pflicht, sich als wichtigster Verlag in der Rechtswissenschaft seiner Verantwortung zu stellen und die Zusammenarbeit mit Maaßen zu beenden. "Die juristische Profession hat eine besondere gesellschaftliche Verantwortung und Pflicht, sich für eine gleichberechtigte, menschenwürdige und freie Gesellschaft einzusetzen, einerseits aufgrund der Verflechtung mit Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung, andererseits weil deutsche Jurist:innen ein schweres Erbe tragen und viel zu oft Unrecht und Gewalt rechtlich eingekleidet und legitimiert haben."
Autor:innen eine Plattform zu bieten, "die offen mit verfassungsfeindlichen Kräften sympathisieren, rechtsradikale Hetze relativieren und immer wieder rechtspopulistische Narrative bedienen", sei mit der dieser Verantwortung des Verlages unvereinbar, kritisierte Engeler. "Hans-Georg Maaßen hat sich seit der Versetzung in den Ruhestand als Reaktion auf seinen Umgang mit den rassistischen Übergriffen in Chemnitz zunehmend radikalisiert. Dass er zunächst als Autor für den Beck Verlag das so wichtige Asylgrundrechte kommentierte, kann man dem Verlag kaum vorwerfen. Dass man aber noch heute an ihm als Autor festhält, ihn mit seinen Positionen auf dem Boden der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung sieht und seine Mitwirkung unter 'Pluralismus' und 'freie Diskussionskultur' zählt, ist erschreckend. Der Beck Verlag zeigt damit abermals mangelnde Reflexion über die Verantwortung, die gerade der deutschen Rechtswissenschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus und Faschismus zukommt."
Der republikanische Anwaltsverein RAV kommentierte auf Twitter den Vorgang ähnlich: "Maaßen hat sich mit seinen rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Äußerungen vom demokratischen Diskurs verabschiedet." Seine Auffassungen hätten in einem seriösen Standardkommentar nichts verloren, C.H.Beck sollte die Zusammenarbeit mit Maaßen sofort beenden.
DAV: Verlag sollte nochmals prüfen
Diese zumindest überdenken sollte der Verlag auch nach Auffassung des DAV: "Autoren eines GG-Kommentars sollten ohne jeden Zweifel sämtliche Werte der Verfassung teilen. Bei Herrn Maaßen gibt es berechtigte Zweifel, ob dies der Fall ist", heißt es in einer Stellungnahme des DAV gegenüber LTO. Wer so prominent und regelmäßig wie Maaßen mindestens fragwürdige Ansichten verbreite, büße, so der DAV, seine Glaubwürdigkeit als neutraler Interpret des Verfassungsrechts ein. Man sei jedoch zuversichtlich, dass der Verlag seine Entscheidung, von Herrn Maaßen die Art. 16/16a GG kommentieren zu lassen, nochmals prüfe.
Sollte der Beck-Verlag an Maaßen als GG-Kommentator festhalten, scheint es nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Autor:innen dem Münchner Fachverlag den Rücken zukehren. Wie LTO erfuhr, bemüht sich derzeit ein renommierter Staatsrechtler um ein Gespräch mit dem Verlag.
Was Hans-Georg Maaßen selbst von den Vorbehalten gegenüber seiner Person hält, brachte er kürzlich auf Twitter zum Ausdruck, wo er sich auf den Gastbeitrag seines bisherigen Kommentar-Kollegen Huster in der FAZ bezog: "Die FAZ hat wieder einen Hass- und Hetzeartikel gegen mich veröffentlicht."
Auf eine LTO-Anfrage zu den Vorwürfen gegen ihn antwortete Maaßen nicht.
Juristische Berufsverbände und Jura-Fachschaften appellieren: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49385 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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