Am Dienstag sorgte die Meldung für Aufsehen, dass die Polizei mithilfe verdeckter Ermittlungen den "Raub" eines Münchner Fanbanners durch Nürnberger Ultras aufklären möchte. Die Ermittler bauschen dabei den Tatverdacht bewusst auf, obwohl der Fahnenklau oft bloß ein Bagatelldelikt ist, meint Sebastian Sobota. Und erklärt auch gleich, warum.
Unvergessen nicht nur unter den Fans von Borussia Dortmund ist, wie Unbekannte im November 2006 in das Westfalenstadion eindrangen und das ca. 60 Meter breite Banner "Gelbe Wand Südtribüne Dortmund" entwendeten. Die schwarz-gelbe Fangemeinde war ob des Verlusts ihres Heiligtums erschüttert und verdächtigte – wohl nicht zu Unrecht – die Rivalen vom FC Schalke 04.
Dies ist nur das prominenteste Beispiel für einen Brauch, der sich etabliert hat unter den "Ultras", einem Zusammenschluss besonders eingefleischter Fußballfans, den es mittlerweile bei nahezu jedem Profiverein gibt. Dort ist es üblich, gegnerische Fanutensilien zu erbeuten. Mal geschieht der "Diebstahl" geschickt und unbemerkt, mitunter aber auch durch überfallartige und gewaltsame Wegnahme.
Besondere Bedeutung kommt dabei dem Banner einer Gruppe zu, mit dem diese im Stadion ihre Präsenz unterstreicht. Kommt diese Fahne irgendwie abhanden, verlangt es das Selbstverständnis der "Ultras", dass sich die Gruppe anschließend auflöst. Wie in einschlägigen Internetforen gut dokumentiert ist, präsentieren die erfolgreichen Entwender das Beutestück in der Regel als Trophäe im eigenen Fanblock und zerstören es dann. Eine Rückgabe erfolgt nur im absoluten Ausnahmefall.
Verdeckte Ermittler sollen Fahnenraub aufklären
Ein aktueller Fall spielt in Bayern, wo Nürnberger Fans offenbar verdächtigt werden, den bayerischen Rivalen aus München gewaltsam ihr "Südkurve"-Banner abgenommen zu haben. Dies führte dazu, dass die Polizei mithilfe von Spezialkräften (!) Hausdurchsuchungen bei verdächtigen Fußballfans vornahm, um das "geraubte" Banner aufzufinden. Am Dienstag berichtete dann Spiegel Online, dass die Polizei inzwischen sogar dazu übergegangen sei, den Münchener "Fahnenraub" mit verdeckten Ermittlungen in der Fanszene aufzuklären.
Spätestens an dieser Stelle ist die Frage angebracht, welche Art von Straftat ein typischer Bannerklau überhaupt ist. Schließlich werden Ermittlungsmethoden angewendet, von denen man sonst nur im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität, Terrorismus und anderen schweren Straftaten liest.
Nach der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof dürfen nichtpolizeiliche Vertrauenspersonen oder Informanten, deren Einsatz bis heute nicht gesetzlich geregelt ist, nur bei besonders gefährlichen und schwer aufklärbaren Straftaten eingesetzt werden (BVerfG, Beschl. v. 11.01. 2005, Az. 2 BvR 1389/04 und BGH, Urt. v. 21.07.1994, Az. 1 StR 83/94). Bei verdeckten Ermittlern der Polizei stellt der Katalog in § 110a Strafprozessordnung hohe rechtliche Hürden auf. Die Gesetzeshüter müssen mindestens den Verdacht haben, dass ein Verbrechen begangen worden ist.
Weder Diebstahl noch Raub, sondern nur Sachbeschädigung
So bezeichnen Polizeimitteilungen und Presseberichte den Bannerklau regelmäßig als Diebstahl, im Münchener Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft gar wegen Raubes. Immerhin dürfte der objektive Tatbestand der §§ 242, 249 Strafgesetzbuch (StGB) meist unproblematisch erfüllt sein. Banner, Fahnen und Schals sind fremde, bewegliche Sachen, die von den Tätern offensichtlich gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers (gegebenenfalls auch mit Gewalt oder durch Drohung, was den Diebstahl zum Raub machen könnte) entwendet werden.
Beide Eigentumsdelikte verlangen aber, dass sich der Täter die Sache oder den in ihr verkörperten Sachwert auch zueignen will. Dazu gehört die dauernde Enteignung der gegnerischen Fans, die zumindest in Kauf genommen werden muss und im Falle der beschriebenen Vorgehensweise auch kaum jemals zu bestreiten sein dürfte (anders als beispielsweise beim Maibaumdiebstahl, wo die Beute gegen Zahlung von Bier oder ähnlichem ausgelöst werden kann).
Allerdings haben die "Ultras" nicht die Absicht, sich die Banner anzueignen, wenn sie diese gleich nach der Wegnahme zerstören wollen. Wer eine fremde Sache verbrennt, um den Eigentümer zu ärgern, eignet sie sich nicht an, sondern begeht lediglich eine Sachbeschädigung. Etwas anderes gilt nur, wenn gerade im Verfeuern der wirtschaftliche Wert liegt, wie zum Beispiel bei Holzkohle.
Überkriminalisierung von Fußballfans
Ein wirtschaftlich sinnvoller Gebrauch wäre allenfalls der Verkauf der Fanutensilien. Bei Bannern mit der Aufschrift einer "Ultra"-Gruppierung ist im Übrigen kaum denkbar, dass die gegnerischen Fans die Fahne selbst verwenden werden.
Allenfalls die dauerhafte Verwahrung in einer eigenen Trophäensammlung könnte noch eine taugliche Aneignung sein. Um einen Verdacht für eine solche unter den "Ultras" untypische Verwendung zu begründen, müssten aber konkrete Hinweise existieren.
Damit bleibt es in der überwiegenden Anzahl der Fälle bei einer bloßen Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung, ausnahmsweise kann auch ein Hausfriedensbruch vorliegen sowie Nötigung und einfache Körperverletzung. Im Regelfall handelt es sich also aus juristischer Sicht um Bagatelldelikte. Oft würden sie sogar nur auf Antrag des Verletzten hin verfolgt und erst recht rechtfertigen sie keine verdeckten Ermittlungsmethoden. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass die Ermittler den Tatverdacht bewusst aufbauschen, um entsprechende Befugnisse gezielt gegenüber Fußballfans zu generieren. Die Empörung der Fans ist deshalb durchaus begründet.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Professor Dr. Volker Erb an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und freier Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Strafrecht von Professor Dr. Dr. Michael Bock, ebenfalls Mainz.
"Bannerklau" im Stadion: . In: Legal Tribune Online, 16.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6846 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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