2/2: VGe: Verfolgung unabhängig von individuellen Gründen
Am VG Trier haben sich die Richter schon eine Meinung bilden können: "Wer illegal ausgereist ist und einen Asylantrag im Ausland gestellt hat, ist potenziell, aber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, bei einer Rückkehr auch unter Folter befragt zu werden", sagt etwa der Präsident des VG Trier, Georg Schmidt. "Das ist unsere Linie, die von einer Vielzahl von anderen Verwaltungsgerichten in erster Instanz geteilt wird."
Auch die Richter am VG Schleswig hatten bundesweit recherchiert, wie die anderen Kammern im Land die Fälle handhaben. Und kamen zu dem Schluss: "Die Kammer geht mit Blick auf die Erkenntnismittel und die aktuelle Situation in Syrien im Einklang mit der mittlerweile ganz überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung droht."
Es sei anzunehmen, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung ansehe. Und damit als Kritik am herrschenden System interpretiere, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzte. Schon im Juli 2012 hatte das OVG von Sachsen-Anhalt entschieden, dass syrischen Asylsuchenden die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (Urt. v. 18.07.2012, Az. 3 L 147/12).
Das VG bezieht sich auf das Bundesverwaltungsgericht, das entschieden hatte: Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liege vor, "wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatland zu bleiben oder dorthin zurückzukehren" (BVerwG, Urt. v. 07.02.2008, Az. 10 C 33.07).
BAMF und OVG NRW gegen den Rest des Landes?
Dennoch: Das BAMF steht mit seiner Sicht auf die Lage in Syrien nicht alleine da. Auch das OVG Münster will die Syrer zwar nicht in ihr Land zurück schicken, billigt ihnen aber nicht den Status eines Flüchtlings zu. In diversen Fällen hat es inzwischen die Zulassung der Berufung abgelehnt.
Schon 2013 hatte sich das OVG Münster sehr klar ausgedrückt: "Der beschließende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass unverfolgt illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien, die sich im Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt haben, auch angesichts der Repression des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden. Rückkehrer unterliegen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung." Dies begründe aber lediglich einen Anspruch auf Abschiebungsschutz, nicht den Anspruch, als politisch Verfolgter anerkannt zu werden (Beschl. v. 21.08.2013, Az. 14 A 1863/13.A).
Ähnliche Anträge auf Zulassung der Berufung gegen erstinstanzliche Entscheidungen, die im ErgebnisSyrer nicht als Flüchtlinge anerkennen, hat das OVG NRW seitdem abgelehnt. Begründung: Diese Frage sei in NRW geklärt und der Sache komme keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylverfahrensgesetz zu (zuletzt OVG NRW, Beschl. v. 05.09.2016, Az, 14 A 1802/16.A, ebenso Urt. v. 13.02.2014, Az. 4 A 198/14.A).
An dieser Einschätzung, so das OVG Münster, könne auch der Umstand nichts ändern, dass die tatsächliche Situation in Syrien in Deutschland unterschiedlich gewürdigt werde. Die Fälle ließen sich nicht verallgemeinern und könnten daher auch keine allgemeingültigen Aussagen bewirken, die wiederum zu einer einheitlichen Rechtsprechung führen würden (OVG Münster, 14 A 2663/13.A).
Auch in anderen Bundesländern werden OVG entscheiden
Das OVG in Koblenz sieht das offenbar anders. Gegenwärtig seien dort bereits rund 120 Berufungen des BAMF gegen Urteile des Verwaltungsgerichts Trier zugelassen, teilte der Pressesprecher des Gerichts, Dr. Thomas Stahnecker, auf LTO-Nachfrage mit.
Der Senat will in dem nun zugelassenen Berufungsverfahren klären, "ob Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung droht oder – wofür insbesondere angesichts der massenhaften Ausreise seit Beginn des Bürgerkrieges einiges spricht – individuelle Gründe hinzutreten müssen". Mit einer Entscheidung ist erst in einigen Monaten zu rechnen.
Daneben hat das BAMF auch in Bayern, Schleswig-Holstein und Thüringen Anträge auf Zulassung der Berufung gestellt*, teilte Andrea Brinkmann, Pressesprecherin am BAMF, auf LTO-Anfrage mit. "Ebenso wie in Rheinland-Pfalz hatten diese auch in Bayern bereits Erfolg."* In den übrigen Ländern stehe eine Entscheidung noch aus.
Mit Materialien von dpa
*An beiden Stellen war zunächst die Rede davon, dass auch in Niedersachsen Verfahren anhängig seien. Geändert am 07.10.2016, 14.42 Uhr.
Tanja Podolski, OVG sollen über BAMF-Praxis entscheiden: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20701 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag