Immer mehr Syrer klagen, weil sie vom BAMF keinen Flüchtlingsstatus, sondern nur subsidiären Schutz bekommen. Viele Gerichte erster Instanz geben ihnen Recht. Nun sind einige Berufungen zugelassen.
Bald wird sich erstmals ein Oberverwaltungsgericht (OVG) mit der aktuellen Entscheidungspraxis über Asylanträge syrischer Flüchtlinge befassen. Etwa das OVG Koblenz hat einem Antrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache stattgegeben (Beschl. v. 15.09.2016, Az. 1 A 10655/16). Die Koblenzer Richter sollen darüber entscheiden, ob das Verwaltungsgericht (VG) Trier zu Recht der Klage eines Syrers stattgegeben hat, dem das BAMF lediglich subsidiären Schutz nach § 4 Asylgesetz (AsylG), nicht aber den vollen Flüchtlingsstatus iSd Flüchtlingseigenschaft im Sinne der §§ 3 bis 3e AsylG gewährt hatte.
Der Kläger in diesem Verfahren ist einer von vielen. Die Anerkennung nur subsidiären Schutzes bedeutet unter anderem, dass seine Aufenthaltserlaubnis statt für drei Jahre lediglich für eines erteilt wird – mit der Möglichkeit zur Verlängerung um jeweils zwei weitere, wenn der Grund für den subsidiären Schutz fortbesteht. Außerdem ist für zwei Jahre die Möglichkeit des Familiennachzugs ausgesetzt - diese Regelung wurde mit dem Asylpaket II im März dieses Jahres eingeführt.
Nach Angaben von ProAsyl stieg bereits seit April 2016 die Zahl nur subsidiärer Schutzentscheidungen bei Syrern an: Rund 16 Prozent bekamen nur noch den subsidiären Schutz – in 2015 seien es insgesamt nur 0,6 Prozent aller Asylsuchenden in Deutschland gewesen, bei syrischen Flüchtlingen nur 0,1 Prozent.
Weniger Schutz für Syrer
Im November 2014 hatte das Bundesamt vorübergehend ein beschleunigtes Verfahren u.a. für syrische Asylsuchende eingeführt, um, so das BAFM, "die hohe Zahl der Anträge von syrischen, eritreischen und irakischen Asylantragstellern, deren Verfahren eine besonders hohe Aussicht auf Erfolg hatten, schneller bearbeiten zu können".
Im Rahmen dieses Fragebogenverfahrens konnte nur der Flüchtlingsschutz vergeben werden - die syrischen Flüchtlinge bekamen direkt und ohne persönliche Anhörung den Schutz eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt. Sie dürfen damit arbeiten - und ihre Familien nachholen.
Diese Praxis hat das BAMF verändert: Syrer, die seit Januar 2016 eingereist sind, müssen grundsätzlich zur persönlichen Anhörung. Seit März 2016 ist zudem das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren in Kraft. Danach erfolgt bei grundsätzlich allen Asylsuchenden, die ab diesem Datum ihren Asylantrag stellen, vor der Entscheidung eine persönliche Anhörung.
Danach werde entschieden, "ob Schutz zu gewähren ist und welcher Schutzstatus in Frage kommt", so eine Sprecherin des BAMF auf Anfrage. "Subsidiären Schutz erhält, bei wem der Schutzgrund allein in der Bürgerkriegssituation in seinem Land liegt und bei wem kein Verfolgungsschicksal vorliegt bzw. bei Rückkehr zu befürchten ist. Aus den Erfahrungen unserer Entscheider ist dies immer öfter der Fall. Antragsteller schildern in der Anhörung seltener eine individuelle Verfolgung, sondern beziehen sich oft auf die allgemeinen Umstände im Land", so die Sprecherin. Dies führe nach dem geltenden Recht nicht zu Asyl oder Flüchtlings-, sondern nur zum sog. subsidiären Schutz.
Mehr Klagen von Syrern
Diese Entscheidungspraxis des BAMF hat Folgen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Im Zeitraum vom Jahresanfang bis Juni wurden nach Angaben der Behörde bundesweit 5.234 Klagen zum Herkunftsland Syrien gegen Entscheidungen mit subsidiärem Schutz eingereicht. Im selben Zeitraum ergingen 1.478 gerichtliche Entscheidungen – darunter allerdings auch Altfälle, die sich nicht konkret gegen die Praxis des BAMF richteten, nur subsidiären Schutz auszusprechen – das BAFM differenziert insoweit nicht zwischen den Fällen.
Beim VG Trier sind bis Mitte September 4.680 Asylklagen eingegangen - mehr als dreimal so viel wie im gleichen Zeitraum 2015 (1.118). In 43 Prozent dieser Asylhauptsacheverfahren handelte es sich um Klagen von Syrern, die nicht bloß subsidiär, sondern als Flüchtlinge geschützt werden wollten.
So ist es auch am VG Düsseldorf: "Die syrischen Flüchtlinge erheben seit Juni vor allem sogenannte Verbesserungsklagen", sagt Dr. Nicola Haderlein, Pressedezernentin am VG Düsseldorf. Inzwischen seien rund zwei Drittel aller Eingänge Asylverfahren. 8.000 seien seit Jahresbeginn anhängig gemacht worden, mehr als 3.000 davon durch syrische Staatsangehörige.
Bundesweit erst Entscheidungen von zehn Gerichten
Entschieden haben bundesweit aber bislang erst zehn Verwaltungsgerichte über die Praxis des BAMF, wie eine Sprecherin der Nürnberger Behörde mitteilte. Die Ergebnisse sind aber nach LTO-Informationen überall gleich: Die Syrer erhalten Flüchtlingsschutz.
Am VG Düsseldorf sind im August Gerichtsbescheide ergangen (v. 16.08.2016, Az. 3 K 8593/16.A und v. 18.08.2016, Az. 3K 8450). Das VG Köln hat mindestens einen Fall entschieden (Urt. v. 23.06.2016, Az. 20 K 1599/16.A). Zudem haben sich das VG Regensburg und das VG Schleswig klar positioniert. Dass insgesamt erst so wenige Fälle entschieden sind, ist der schlechten Informationslage über Syrien geschuldet, sagten Verwaltungsrichter auf LTO-Anfrage.
Die Botschaft in Damaskus ist seit Frühjahr 2012 geschlossen, die Richter müssen sich Informationen über die Lage im Land mühsam vom Auswärtigen Amt oder dem UNHCR beschaffen und untereinander teilen. Eine allgemein verbindliche Bestandsaufnahme und Gefahrenbewertung gibt es nicht – die richterliche Unabhängigkeit verpflichtet jeden Richter, seine Entscheidung auf Grundlage der Tatsachen zu treffen, die er selbst für relevant hält. Die 5. Kammer des VG Düsseldorf hat sich etwa in einem Fall (Az. 5 K 7480/16.A) an das Auswärtige Amt gewandt und um die Beantwortung von vier Seiten Fragen gebeten, die die politische Lage in Syrien betreffen.
Tanja Podolski, OVG sollen über BAMF-Praxis entscheiden: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20701 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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