Kindererziehung ist nicht immer erholsam. Urlaubsansprüche während der Elternzeit entstehen trotzdem nicht, urteilte nun das BAG. Das ist, auch mit unionsrechtlich-urlaubsfreundlicher Brille, keine Überraschung, zeigt Michael Fuhlrott.
Mütter und Väter, die ihr Kind erziehen, können von ihrem Arbeitgeber nach Maßgabe des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) Elternzeit beanspruchen.
Das Elternzeitverlangen des Arbeitnehmers und die Inanspruchnahme von Elternzeit führen zum zeitlich befristeten Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Der Elternzeitler bleibt damit zwar weiterhin Arbeitnehmer, die wechselseitigen Hauptleistungspflichten wie die Bezahlung des Arbeitnehmers und dessen Pflicht, seinen Job zu machen, werden aber ausgesetzt.
Arbeitsvertragliche Nebenpflichten bestehen hingegen auch während des ruhenden Arbeitsverhältnisses. So darf der Arbeitnehmer etwa keinen Wettbewerb treiben und sich nicht diffamierend über seinen Arbeitgeber äußern. Der Arbeitgeber muss indes dafür Sorge tragen, dass er den Arbeitnehmer nach der Rückkehr aus der Elternzeit auf einem angemessenen Arbeitsplatz weiter beschäftigen kann.
Die Entstehung von Urlaubsansprüchen knüpft nur an ein bestehendes Arbeitsverhältnis an, so dass grundsätzlich auch während der Elternzeit Urlaubsansprüche auflaufen. Nach § 17 BEEG darf der Arbeitgeber allerdings durch eine formlose Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer die während der Elternzeit entstehenden Urlaubsansprüche streichen, oder – wie es das Gesetz formuliert – den Jahresurlaubsanspruch "für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen" (§ 17 Abs. 1 S. 1 BEEG).
Die besondere Bedeutung von Urlaub und die Rechtsprechung des EuGH
Dass ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf vier Wochen bezahlten Urlaub im Kalenderjahr hat, folgt nicht nur aus dem deutschen Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Es ergibt sich auch aus unionsrechtlichen Vorgaben, namentlich aus Art. 7 der europäischen Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG.
Diesen Anspruch auf Urlaub sieht der Europäische Gerichtshof (EuGH) als besonders bedeutsamen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts an, wie er bereits in verschiedenen Urteilen deutlich gemacht hat: So muss der Urlaub bzw. ein hieraus folgender Urlaubsabgeltungsanspruch vererbbar sein (EuGH, Urt. v. 6.11.2018, Az. C-569/16 und C-570/16), führt Krankheit nicht zum Verfall von Urlaubsansprüchen (EuGH, Urt. v. 22.11.2011, Az. C-214/10) und der Arbeitgeber muss ausreichend über den Urlaubsanspruch aufklären, damit der Arbeitnehmer auch tatsächlich in dessen Genuss kommt (EuGH, Urt. v. 6.11.2018, Az. C-619/16).
Es wurde daher durchaus kontrovers diskutiert, ob die im deutschen Recht vorgesehene Kürzungsmöglichkeit während der Elternzeit damit unionsrechtskonform ist oder nicht schon unkürzbare Urlaubsansprüche entstehen, weil das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit formal weiter besteht.
Der aktuelle Fall: Streit um gekürzten Urlaub
Darauf berief sich auch die im aktuellen Fall klagende Arbeitnehmerin. Die 1978 geborene und als Assistentin der Geschäftsleitung beschäftigte Klägerin war Mutter zweier Kinder, für die sie jeweils Elternzeit in Anspruch genommen hatte. Einige Monate nach Beendigung der Elternzeit für ihr zweites Kind kündigte sie im März 2016 ihr Arbeitsverhältnis zu Ende Juni 2016. Sie stellte sich auf den Standpunkt, bis Ende Juni aufgrund noch bestehender Urlaubsansprüche nicht mehr arbeiten zu müssen.
Ihr Arbeitgeber sah das anders. Er kürzte unter Berufung auf § 17 BEEG die während der Elternzeit erworbenen Urlaubsansprüche und forderte seine Arbeitnehmerin auf, für den noch abzüglich der gekürzten Urlaubsansprüche verbleibenden Zeitraum von Anfang Mai bis Ende Juni 2016 ihre Arbeitsleistung zu erbringen.
In einem zwischenzeitlich von der Klägerin angestrengten einstweiligen Verfügungsverfahren einigten sich die Arbeitsvertragsparteien zunächst vergleichsweise darauf, dass die Klägerin auch im Mai und Juni 2016 – allerdings insoweit unbezahlt - der Arbeit fernbleiben dürfe. Dann machte sie klageweise die von ihr errechneten ungekürzten (Elternzeit-)Urlaubsansprüche geltend. Sie berief sich auf die Europarechtswidrigkeit der deutschen Kürzungsnorm des § 17 BEEG.
Kein Erfolg vor den nationalen Gerichten
Mit ihrer Klage war sie vor dem erstinstanzlich erkennenden Arbeitsgericht Detmold (Urt. v. 9.3.2017, Az. 1 Ca 359/16) und dem Landesarbeitsgericht Hamm (Urt. v. 31.1.2018, Az. 5 Sa 625/17) erfolglos. Die hielten die deutsche Kürzungsvorschrift für mit dem Unionsrecht vereinbar, da auch das europäische Recht bei Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht werde, als Ergebnis einer Abwägungsentscheidung eine Kürzung billige. Zudem erlaube die Arbeitszeitrichtlinie den Mitgliedstaaten ausdrücklich, den Status des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit zu bestimmen.
Dem stimmte nun auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu (Urt. v. 19.3.2019, Az 9 AZR 362/18). Zwar entstehe der gesetzliche Urlaubsanspruch auch für den Zeitraum der Elternzeit, so die Erfurter Richter. Allerdings könne er zulässig vom Arbeitgeber unter Berufung auf die Vorschrift des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG gekürzt werden. Einen Verstoß gegen Unionsrecht erblickten sie darin nicht. Das europäische Rechte verlange es nicht, Arbeitnehmer, die wegen Elternzeit im Bezugszeitraum nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet waren, solchen Arbeitnehmern gleichzustellen, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben.
Keine Überraschung, Fortsetzung folgt
Überraschend kam die Entscheidung des BAG, auch nach den Urteilen der Vorinstanzen, nicht.
Zudem konnten sich die obersten deutschen Arbeitsrichter auf ein zwischenzeitlich ergangenes aktuelleres Urteil des EuGH aus Oktober 2018 (v. 4.10.2018, Az. C-12/17) berufen, das den Urlaubsanspruch während Elternzeit einer rumänischen Richterin betraf. In dieser Entscheidung hatte der EuGH ausgeführt, dass eine besondere Behandlung von während der Elternzeit erworbenen Urlaubsansprüchen im Vergleich zu solchen bei Krankheit oder Mutterschutz zulässig sei.
Der EuGH begründete das damit, dass Elternurlaub anders als eine Krankheit vorhersehbar eintrete und damit nicht unabhängig vom Willen des beteiligten Arbeitnehmers bestehe. Auch sei die Situation anders als der zwingend vorgesehene Mutterschaftsurlaub zu werten, da dieser die Beziehung der Mutter zu ihrem Kind vor der Doppelbelastung infolge der gleichzeitigen Berufsausübung schützen wolle, Elternzeit hingegen freiwillig in Anspruch genommen werde. Zudem führe der Elternurlaub – auch wenn das Arbeitsverhältnis an sich weiterhin bestehe – zu einer Suspendierung der Hauptleistungspflichten. Insoweit ist es nur verständlich, dass das BAG die Sache "durchentschied" und nicht erst noch das Verfahren aussetzte, um eine entsprechende Vorlagefrage beim EuGH zu stellen.
Auch das deutsche Arbeitsrecht hat offenbar zwischenzeitlich verinnerlicht, dass das vormalige nationale Verständnis des Urlaubs als Ausgleich für "echte", tatsächlich geleistete Arbeit im Schweiße des Angesichts nicht aufrechtzuhalten ist. Da der EuGH das Urlaubsrecht als besonders bedeutenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ansieht, sind Fragen des Urlaubsrechts stets mit einer unionsrechtlich-urlaubsfreundlichen Brille zu beurteilen. Selbst wenn es im vorliegenden Fall insoweit keine Diskrepanz und keine nationale Rechtsprechungsänderung gab, wird das aktuelle Urteil sicherlich nicht die letzte höchstrichterliche bzw. unionsrechtliche Befassung mit Urlaubsfragen gewesen sein.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
Urlaubskürzung während Elternzeit rechtmäßig: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34463 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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