Die Beschränkung, eine Witwen- oder Witwerrente nur dann zu zahlen, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre bestanden hat, ist eine unangemessene Benachteiligung. Die überraschende Entscheidung des BAG erklärt Thomas Frank.
Ein nicht unerheblicher Bestandteil einer betrieblichen Altersversorgung ist die Absicherung für den Todesfall, also die finanzielle Versorgung der Angehörigen. Die Ausgestaltung einer Hinterbliebenenversorgung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) immer wieder beschäftigt. Doch die Bemühungen der Begünstigten, ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen, sind zuletzt gescheitert, jüngst etwa die Klage einer erheblich jüngeren Ehefrau, die sich gegen die Kürzung ihrer Witwenrente wehrte (BAG Urt. v. 11.12.2018, Az. 3 AZR 400/17).
Anders im nun vom BAG entschiedenen Fall (Urt. v. 19.02.2019, Az. 3 AZR 150/18). In der Vereinbarung über die betriebliche Altersversorgung war die Zahlung einer Witwen- bzw. Witwerrente ausgeschlossen, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todesfalls nicht mindestens zehn Jahre bestanden hatte. Nach nur knapp vier Jahren Ehe wurde deshalb keine Rente an die Witwe eines verstorbenen Arbeitnehmers gezahlt. Daher versuchte die Frau, die Rentenzahlung vor den Arbeitsgerichten durchzusetzen. Erst das BAG gab ihr nun Recht.
Zehn Jahre sind unangemessen
Das höchste deutsche Arbeitsgericht sah in der Mindestehedauer von zehn Jahren eine unangemessene Benachteiligung des Versorgungsberechtigten. Grundlage der Hinterbliebenenversorgung war eine vom Arbeitgeber vorformulierte Zusage. Solche Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) dürfen den Versorgungsberechtigten nicht unangemessen beachteiligen (§ 307 Abs. 1 BGB).
Mit der Hinterbliebenenversorgung sollen die Ehepartner des Arbeitnehmers abgesichert werden. Von dieser "Vertragstypik" weiche der Arbeitgeber ab, wenn er den Kreis der begünstigten Ehepartner einschränkt, indem er eine Ehezeit von mindestens zehn Jahren als Leistungsvoraussetzung fordert. Diese zeitliche Grenze ist nach Auffassung der Richter willkürlich und gefährdete den Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Sie konnten weder einen inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis noch mit dem Zweck der Hinterbliebenenversorgung erkennen.
Gesetzliche Rente schon nach einem Jahr
Zwar hatte das Gericht in der Vergangenheit mehrfach eine Benachteiligung abgelehnt, wenn der Arbeitgeber den Zweck verfolgt, eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage für die gewährte Hinterbliebenenversorgung zu schaffen und seine Haftung so zu begrenzen. Im konkreten Fall mag das BAG auch diesen Aspekt erwogen haben, was aus der vorliegenden Pressemitteilung nicht ersichtlich wird. Doch fehlte dem Gericht offenbar ein Anknüpfungspunkt, warum gerade eine Ehezeit von zehn Jahren gefordert werden soll. Diese Zeitspanne wurde mehr oder weniger zufällig festgelegt.
Im Gegensatz dazu gewährt die gesetzliche Rentenversicherung eine Witwen-/Witwerrente schon nach einem Jahr Ehe (§ 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch VI). Die streitgegenständliche Versorgung legte einen sehr viel strengeren Maßstab an. Auch dies mag das BAG bewogen haben, von einer willkürlichen Zeitspanne von zehn Jahren zu sprechen. Wenn das BAG fordert, die "Vertragstypik" müsse gewahrt bleiben, so könnte dies im Gleichlauf mit der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer Mindestehedauer von einem Jahr vielleicht noch gewährleistet sein, denn dies entspricht gemäß dem gesetzlichen Leitbild dem Versorgungszweck. Die sehr viel längere Zeitspanne von zehn Jahren stellte diesen Versorgungszweck aber nicht mehr sicher.
Klauseln zu Spätehen und Altersabstand sind möglich
Das BAG hat dagegen sowohl Spätehenklauseln (Urt. v. 14.11.2017, Az. 3 AZR 781/16 und Urt. v. 15.10.2013, Az. 3 AZR 707/11) als auch Altersabstandsklauseln (Urt. v. 16.10.2018, Az. 3 AZR 520/17 und Urt. v. 20.02.2018, Az. 3 AZR 43/17) im Grundsatz anerkannt. Spätehenklauseln schließen eine Rente aus, wenn die Ehe erst in hohem Alter oder nach Renteneintritt geschlossen wird. Gemäß einer Altersabstandsklausel wird keine oder nur eine reduzierte Rente gezahlt, wenn der Altersunterschied zwischen den Eheleuten sehr groß ist.
Solche Klauseln haben das Ziel, das Risiko des Arbeitgebers zu begrenzen und in kalkulierbaren Bahnen zu halten. Dieses Argument war für die zehnjährige Mindestehedauer dagegen nicht entscheidend. Ausschlaggebend dürfte insoweit sein, dass Risikoerwägungen für die Zehn-Jahres-Frist nicht relevant waren. Es ist vielmehr von Zufälligkeiten abhängig, ob der Versorgungsberechtigte diese Zeitspanne erfüllt. Ob und wann eine Ehedauer von zehn Jahren erfüllt wird, hängt von der persönlichen Lebensführung und den persönlichen Lebensumständen des Versorgungsberechtigten ab.
Unklar ist, ob eine zehn-Jahres-Klausel auch unwirksam ist, wenn die betriebliche Altersversorgung in einer Betriebsvereinbarung anstatt wie in dem entschiedenen Fall in AGB geregelt ist. Klar ist: Das Urteil betrifft AGB, Betriebsvereinbarungen fallen nicht darunter (§ 310 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch), so dass eine unangemessene Benachteiligung durch eine Betriebsvereinbarung mit der Begründung des heutigen Urteils ausgeschlossen ist.
Allerdings könnte in einer solchen Klausel über eine Mindestehedauer auch eine Benachteiligung wegen des Alters zu sehen sein, die auch in Betriebsvereinbarungen zur Unwirksamkeit der Klausel führen würde. Das hat das BAG allerdings nicht beantwortet, obgleich es durchaus naheliegend wäre. Denn wenn die Ehe erst in fortgeschrittenem Alter beginnt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die zehn-jährige Ehedauer nicht erreicht wird.
Unternehmen müssen künftig voll zahlen
Die Entscheidung betrifft die klassischen Direktzusagen, also Renten, die aus eigenen Mitteln der Arbeitgeber gezahlt werden. Versorgungszusagen, die durch Versicherungsverträge finanziert werden, sehen solche Einschränkungen in der Regel nicht vor. Dort hat der Versicherer die Risikokalkulation in seinem Tarif bereits berücksichtigt, so dass es keiner einschränkenden Klauseln bedarf.
Wird in Direktzusagen eine Ehezeit von zehn Jahren als Leistungsvoraussetzung gefordert, ist diese Vorschrift nicht mehr durchsetzbar. Unternehmen müssen daher auch bei kürzerer Ehedauer eine Witwen-/Witwerrente zahlen. Dies wird wohl auch dann gelten, wenn eine kürzere Ehedauer als zehn Jahre gefordert wird. Denn egal wie lang oder kurz die geforderte Ehezeit ist: Ein innerer Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis und zum verfolgten Zweck der Versorgung dürfte auch bei kürzerer Zeitspanne nicht vorliegen. Lediglich die einjährige gesetzlich vorgesehene Ehedauer könnte auch im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung noch haltbar sein.
Dr. Thomas Frank ist Rechtsanwalt der Praxisgruppe Pensions im Münchener Büro der internationalen Kanzlei Hogan Lovells.
BAG zu Rentenklauseln für Verwitwete: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33953 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag