BAG zum Chefarzt eines kirchlichen Krankenhauses: Eine zweite Ehe ist kein Kün­di­gungs­grund

Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Fuhlrott

20.02.2019

Medizinische Fähigkeiten gehen der Einhaltung des Ehe-Sakraments vor, so das BAG. Eine Kündigung wegen Wiederheirat ist damit unwirksam. So geht ein jahrelanger Streit zu Ende – zumindest vielleicht, wie Michael Fuhlrott erläutert.

Arbeitnehmer in kirchlichen Arbeitsverhältnissen sind besonderen Regelungen unterworfen. So sieht etwa die auf die jeweiligen Arbeitsverhältnisse im Dienste der katholischen Kirche stehender Arbeitnehmer anwendbare sogenannte Grundordnung ("Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse") vor, dass Arbeitnehmer "anerkennen und ihrem Handeln zugrunde legen (müssen), dass Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung, für die sie tätig sind, sich an der Glaubens- und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten haben." 

Zur Glaubenslehre der katholischen Kirche gehört auch das Sakrament der Ehe. Hiernach ist die Ehe grundsätzlich unverbrüchlich und eine zweite Eheschließung vor den irdischen Standesämtern ein Verstoß gegen Kirchenrecht. Aufgrund dieser "Verfehlung" wurde einem Chefarzt, der in einem in kirchlicher Trägerschaft befindlichen Krankenhaus beschäftigt wurde, bereits im Jahr 2009 gekündigt. Diese Kündigung ist nunmehr vom Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 20.2.2019, Az.: 2 AZR 746/14) als diskriminierend und damit unwirksam qualifiziert worden. 

Eine gerichtliche Odysee für den klagenden Arzt scheint somit sein Ende gefunden zu haben – sofern die Kirche gegen die nunmehrige Entscheidung nicht erneut das Bundesverfassungsgericht anruft.

Ein jahrelanger Streit

Dabei hatte der Fall national und auch supranational bereits sämtliche denkbaren Instanzen befasst: Nachdem sich der Mediziner zunächst vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 30.7.2009, Az.: 6 Ca 2377/09), dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 1.7.2010, Az.: 5 Sa 996/10) und dem BAG (Urt. v. 8.9.2011, Az.: 2 AZR 543/10) erfolgreich gegen seine Kündigung gewehrt hatte, rief die Kirche das Bundesverfassungsgericht an. 

Dort war sie erfolgreich (Urt. v. 22.10.2014, 2 BvR 661/12): Nach den über Art. 140 Grundgesetz inkorporierten Artikeln 137 ff. der Weimarer Reichverfassung sei das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre inneren Angelegenheiten zu regeln, weiterhin Bestandteil der deutschen Verfassung, so die Karlsruher Richter damals. 

Zwar hatte auch das BAG bereits ausgeführt, dass nach dem zu achtenden kirchlichen Selbstverständnis eine Verfehlung wie eine Wiederheirat einen Kündigungsgrund an sich darstellen könne. Allerdings könne auch bei Kündigungen wegen Enttäuschung der berechtigten Loyalitätserwartungen eines kirchlichen Arbeitgebers die stets erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall zu dem Ergebnis führen, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumutbar und die Kündigung deshalb unwirksam ist. 

Abzuwägen, so die höchsten Arbeitsrichter, sei hierbei stets das Selbstverständnis der Kirchen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens andererseits. Die Verfassungsrichter sahen dies anders und nahmen eine Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in der bundesarbeitsgerichtlichen Entscheidung an. Zwar dürften staatliche Gerichte eine Plausibilitätskontrolle vornehmen. Die Formulierung des "kirchlichen Proprium", also der wesentlichen liturgischen Elemente, obliege aber allein den Kirchen und sei als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt.

Der wegweisende Ausflug nach Luxemburg

Das BAG wollte sich mit diesen Vorgaben aus Karlsruhe aber nicht zufriedengeben. Es rief nunmehr den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an und wollte von diesem geklärt wissen, ob eine solche Handhabe nicht gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoße und den entsprechenden Anti-Diskriminierungsrichtlinien der EU zuwiderlaufe (BAG, Beschl. v. 28.7.2016, Az.: 2 AZR 746/14 (A)). 

Bereits die Schlussanträge des Generalanwalts ließen sodann erahnen, dass die nationalen Besonderheiten der Kirchen und die in der deutschen Verfassung insoweit verbrieften Rechte einer Prüfung nicht standhalten würden. Diese Vorahnung wurde sodann durch das Urteil des EuGH im September 2018 bestätigt (Urt. v. 11.9.2018, Az: C-68/17). 

In ihrer Entscheidung machten die Luxemburger Richter deutlich, dass kirchliche Anforderungen an loyales Verhalten im Sinne des genannten Ethos eine Ungleichbehandlung zwischen Beschäftigten nur dann rechtfertigten, wenn diese im konkreten Fall "eine berufliche Anforderung (darstellen), die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht". 

Salopp formuliert: Von einem Chefarzt erwartet der Patient medizinische Fähigkeiten. Ob er sich an das Sakrament der Ehe hält, dürfte ihm im Rahmen seines Krankenhausbesuchs ziemlich egal sein.
Was das BAG nun entschieden hat

So kam es auch nicht unerwartet, dass das BAG dem Chefarzt nun Recht gab und die Kündigung als unwirksam ansah. Die Erfurter Richter stützten ihre Entscheidung hierbei auf zwei Aspekte: 

Zum einen sei der Arzt bereits insoweit diskriminiert worden, da bei nicht-katholischen Mitarbeitern in gleicher Stellung eine Wiederheirat nicht mit einer Kündigung geahndet werde. Zum anderen sei das Sakrament der Ehe für die Tätigkeit als Chefarzt keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. 

Das BAG stellte weiterhin fest, dass auch nationales Verfassungsrecht dieser Sichtweise nicht entgegenstehe. Das Unionsrecht dürfe verfassungsrechtlich zulässig Voraussetzungen aufstellen, unter denen die Kirche ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfe. Die Verfassungsidentität des Grundgesetzes werde hierdurch nicht berührt.

Folgen für das kirchliche Arbeitsrecht

Auch wenn das BAG maßgeblich auf die noch alte, strengere Fassung der Grundordnung abstellt, bedeutet die für die Kirchen – nach dem Urteil des EuGH – absehbare Entscheidung einen empfindlichen Eingriff in ihre bisher gelebte weitgehende Autonomie bei Personalangelegenheiten. 

Zwar haben die Kirchen die auf die Arbeitsverhältnisse anwendbare Grundordnung im Jahr 2015 modifiziert und liberalisiert. Doch auch wenn Ehebruch oder eingetragene Lebenspartnerschaften damit nicht mehr zwingend zu einer Kündigung führen müssen, bleiben sie weiterhin arbeitsrechtliche Verfehlungen. Allein bereits dieser "Makel" dürfte mit den diskriminierungsrechtlichen Vorgaben aus Luxemburg nur schwer in Einklang zu bringen sein. 

Zusätzlich werden sich die Kirchen gefallen lassen müssen, dass künftig staatliche Gerichte prüfen, ob für eine bestimmte Tätigkeit die kirchlichen Vorgaben eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" darstellen. Dies ist eine echte Rechtmäßigkeitskontrolle und mehr als die bislang vom Bundesverfassungsgericht geforderte eingeschränkte bloße Mißbrauchskontrolle. 
Die Kirchen haben daher auch bereits nach Absetzung der EuGH-Entscheidung angekündigt, sich den weiteren Fortgang des Verfahrens genau ansehen und gegebenenfalls erneut das Verfassungsgericht anrufen zu wollen, so der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz.

Hat das BVerfG bald Ärger mit dem EuGH?

Sollte sich das BVerfG mit der Angelegenheit befassen müssen, ist im Ergebnis vieles möglich. Theoretisch wäre es sogar denkbar, dass die Verfassungsrichter der grundgesetzlich geschützten Sonderrolle der Kirchen einen Vorrang vor dem Unionsrecht einräumen. 

Bislang geht in Deutschland aber das Unionsrecht vor, der EuGH wendet das Unionsrecht vorrangig "vor jeder nationalen Norm" an. Das Verfassungsgericht ist dies bislang mitgegangen, da das Europäische Recht einen dem deutschen Niveau vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleiste ("Solange-Rechtsprechung", Beschl. v. 22.10.1986, Az.: 2 BvR 197/83). Sollte das BVerfG aber nunmehr anders sehen, hätte der aktuelle Fall eine weit über das Kirchenarbeitsrecht hinausgehende Dimension. 

Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Hamburg.

Zitiervorschlag

BAG zum Chefarzt eines kirchlichen Krankenhauses: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33961 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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