Kündigung nach Kirchenaustritt: Grund­satz­frage liegt erneut beim Bun­des­ar­beits­ge­richt

von Tanja Podolski

31.01.2024

Wegen der hohen Steuer trat eine Sozialpädagogin aus der Kirche aus. Dafür bekam sie die Kündigung von ihrem kirchlichen Arbeitgeber. Nun liegt die Sache beim BAG. Wieder einmal geht es um einen Kern des kirchlichen Arbeitsrechts.

Es könnte ein Fest des Lebens für die katholische Kirche sein. Fünf Kinder hat eine ehemalige Mitarbeiterin, die als Sozialpädagogin über sechs Jahre in der Schwangerschaftsberatung der Caritas gearbeitet hatte, inzwischen zu Welt gebracht. Doch die Frau ist aus der Kirche ausgetreten – und so treffen sich die Parteien am Donnerstag nicht bei Taufe oder Kommunion, sondern vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az. 2 AZR 196/22). Denn die Caritas hatte der Frau nach dem Austritt gekündigt.

Über sechs Jahre hatte die Sozialpädagogin bei dem katholischen Verein gearbeitet, dann ging sie im Juni 2013 in Elternzeit. Noch im Oktober 2013 trat sie aus der Kirche aus. Als Grund gab sie später an, dass die Diözese Limburg ein besonderes Kirchgeld erhebe. Das betreffe Personen, die mit einem gut verdienenden konfessionslosen oder einer anderen Religion angehörenden Ehepartner verheiratet seien. An ihren christlichen Werten habe sich durch den Austritt nichts geändert. Die Beratung sei konfessionsneutral, sie selbst berate größtenteils muslimische Frauen und habe ausdrücklich keinen Missionsauftrag. 

Ihr katholischer Arbeitgeber sieht das anders. Daher gab es vor der Rückkehr aus der Elternzeit Gespräche über einen Wiedereintritt und die sonst drohende Kündigung. In der Schwangerschaftsberatung waren zu diesem Zeitpunkt vier katholische und zwei evangelische Mitarbeiterinnen beschäftigt. 

Die Frau wollte aber nicht den Wiedereintritt, sondern die Weiterbeschäftigung ohne Kirchenzugehörigkeit – und klagte letztlich gegen die erhaltene fristlose bzw. hilfsweise ordentliche Kündigung, die sie daraufhin erhalten hatte. In den Vorinstanzen vor dem Arbeitsgericht (ArbG Wiesbaden, Urt. v. 10.06.2020, Az. 2 Ca 288/19) und dem Landesarbeitsgericht (LAG Frankfurt, Urt. v. 01.03.2022, Az. 8 Sa 1092/20) war die Frau damit in der Sache erfolgreich.

LAG: "Keine unerlässliche Anforderung"

Das LAG sah in dem Kirchenaustritt keinen relevanten Verstoß gegen ihre vertragliche Loyalitätspflicht. Nicht aus der Kirche auszutreten, sei keine berechtigte Anforderung seitens der Kirche an die Eignung der Frau. Sie werde durch die Regelung in ihrer Religionszugehörigkeit im Sinne des § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) benachteiligt, weil die Kolleginnen nicht der katholischen Kirche angehören müssten. Der Austritt stelle damit nur bei ihr eine schwerwiegende Loyalitätsverletzung dar. 

Diese Ungleichbehandlung sei auch nicht nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt, da die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche keine unerlässliche berufliche Anforderung darstelle, so das LAG. Das zeige auch die Stellenanzeige für eine mögliche Nachfolgerin der klagenden Frau, denn darin werde nach einer Person gesucht, die "in der Regel der katholischen Kirche" angehört. 

Kirche: "Formulierung wegen der Arbeitsmarktlage"

Diese Formulierung sei allerdings nur der Lage am Arbeitsmarkt geschuldet, hält die Kirche dagegen; durch eine offenere Formulierung wolle man einen größeren Bewerberkreis ansprechen. Für sie geht es aber nach wie vor um das grundlegende Selbstverständnis: Es sei etwas anderes, ob jemand anderen Glaubens sei, oder sich durch einen Austritt ganz bewusst gegen die Kirche stelle. Bis heute betrachten gläubige Katholiken Ausgetretene "als Abtrünnige und dem Kirchenbann verfallen", trug die Kirche vor dem LAG vor. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte einst dargelegt, dass der Kirchenaustritt nach kirchlichem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche gehöre (BVerfG, Beschl. v. 04.06.1985, Az. Az.: 2 BvR 1703/83). 

Die Grundsätze des katholischen Arbeitsrechts sind in der sogenannten Grundordnung (GO) niedergelegt. Diese hatte die katholische Kirche reformiert. In der alten Fassung war der Kirchenaustritt noch ein schwerwiegender Verstoß, der zwangsläufig zu einer Kündigung führen musste. Mit der Neuregelung kann von einer Kündigung wegen des Austritts ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen.

Wann eine Ausnahme aber greifen kann, möchte die Kirche selbst bestimmen. Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts begründe zwar keine Freistellung vom staatlichen Kündigungs- und Kündigungsschutzrecht, trug sie vor dem LAG vor. Sie verbiete aber eine Fremdbestimmung über Wesen und Auftrag der Kirche durch den Staat bei Anwendung des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts.

Für Kenner der Materie geht es um nichts weniger als den Kern des kirchlichen Arbeitsrechts. Anders ausgedrückt: Wenn die Kirche im Fall des Austritts nicht kündigen darf, bleibt vom kirchlichen Arbeitsrecht nicht viel übrig. 

BAG wird vermutlich dem EuGH vorlegen

Das BAG wird den Fall am Donnerstag vermutlich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen. Der ist zuständig, wenn es um die Anwendung von europäischem Recht geht – und das ist beim streitentscheidenden AGG gegeben. Denn dieses Gesetz setzt eine europäische Richtlinie in deutsches Recht um. Der EuGH wird dann zwar nicht unmittelbar über den Fall entscheiden. Die Richter:innen werden aber EU-Recht zu der Frage auslegen, ob eine Ungleichbehandlung der Beschäftigten wie beim Kirchenaustritt noch vom Europarecht gedeckt sein kann. Daran müssten sich nationale Gerichte dann halten.

Derart klärende Worte erhofften sich Beobachter zuletzt beim Fall einer Hebamme. Diese hatte einst in einem Krankenhaus gearbeitet, war dann ausgeschieden und später zu ihrem kirchlichen Arbeitgeber zurückgekehrt. Ihre Kirchenmitgliedschaft hatte niemand mehr in Frage gestellt – die Frau war aber zwischenzeitlich ausgetreten. Auch bei ihr fühlte sich die Kirche zur Kündigung gezwungen. 

Hebammen-Fall brachte keine Entscheidung

Auch diesen Fall hatte das BAG dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (Beschl. v. 21.07.2022, Az. 2 AZR 130/21 (A)). Die Frage war: Erlaubt das Unionsrecht, dass ein der katholischen Kirche zugeordnetes Krankenhaus eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansieht, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten ist? 

Zu einer Entscheidung kam es jedoch nicht. Die der Caritas angeschlossene Arbeitgeberin hatte nach der mündlichen Verhandlung vor der Großen Kammer des EuGH die Revisionsanträge der klagenden Hebamme anerkannt, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis war durch die Kündigung durch die Caritas nicht aufgelöst worden. Mit der Zustellung des auf Antrag der Hebamme ergangenen Anerkenntnisurteils war auch das Verfahren vor dem BAG abgeschlossen. Der EuGH hat entsprechend auch den Termin für den Vortrag der Schlussanträge des Generalanwalts aufgehoben.

Nun liegt der Fall anders: Den aktuellen Fall der Sozialpädagogin will der Caritas-Verband dem Vernehmen nach gerichtlich durchentscheiden lassen, um endlich Klarheit zu schaffen.

Selbstbestimmungsrecht in den Händen des BVerfG

Gut gefahren ist die Kirche mit diesem Vorgehen in der Vergangenheit nicht. Im Fall des Chefarztes, dem nach einer Wiederheirat gekündigt worden war, hatte das BAG ebenfalls den EuGH angerufen. Der hatte den Erfurter Richter:innen aufgegeben zu prüfen, ob die Religion im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung ist. Das war sie nicht. Das BAG urteilte daher, dass die Kündigung diskriminierend und unwirksam war (BAG Urt. v. 20.02.2019, Az.: 2 AZR 746/14).

Bundesweit bekannt ist zudem der Fall von Vera Egenberger. In ihrem Anliegen hatte der EuGH nach BAG-Vorlage grundlegend vorgegeben, dass die Anforderung der Religionszugehörigkeit für die Tätigkeit gerechtfertigt und diese kirchliche Entscheidung durch nationale Gerichte überprüfbar sein muss. Das BAG entschied daraufhin, dass die Kirche nicht auf die fehlende Religionszugehörigkeit verweisen konnte, um die Bewerberin abzulehnen. 

Dieses Verfahren ist jedoch noch immer nicht abgeschlossen, das gegen Egenberger unterlegene Diakonische Werk (EWDE) hat bereits im März 2019 Verfassungsbeschwerde erhoben, zuständig ist der zweite Senat (2 BvR 934/19). Das BVerfG teilte auf LTO-Anfrage lediglich mit: "Das Verfahren befindet sich derzeit in Bearbeitung". 

Für die Kirche bleibt also noch Hoffnung, dass das BVerfG ihr den Rücken stärkt. Dass BAG und am Donnerstag der EuGH von ihrer bisherigen Rechtsprechung abweichen, wäre hingegen ein kleines Wunder.

Zitiervorschlag

Kündigung nach Kirchenaustritt: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53763 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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