2/2: Black Box fürs Auto wird unverzichtbar sein
Die Verlagerung von Verhaltensregeln auf technische Zulassungsnormen wird die Aufklärung von Unfallursachen erschweren. Ob Zivil- oder Strafrecht, stets ist zu ermitteln, in welchem Modus sich das Fahrzeug befunden hat und welche Daten dem Fahrzeug zur Verfügung standen. Zur sachverständigen Bewertung aller im Zeitfenster des Unfalls relevanten Daten wird die verbindliche Einführung eines Unfalldatenschreibers unverzichtbar sein.
Soweit die vielversprechende Perspektive. Angesichts der Komplexität des hochautomatisierten Fahrens kann die Frage der Zuverlässigkeit der Systeme nicht ausgeblendet werden. Keine technische Entwicklung ohne Risiken. Bei aller berechtigten Skepsis muss daran erinnert werden, dass rund 90 Prozent aller Unfälle auf menschlichen Unzulänglichkeiten beruhen. Maschinen bieten ein hohes Maß an Sicherheit, benötigen keine Schrecksekunde und entscheiden nach vorgegebenen Regeln. Die technikunterstützte Verminderung fahrerischer Defizite bietet deshalb realistische Chancen, die Zahl der Verkehrsopfer nennenswert zu senken.
Allerdings sollten wir das automatisierte Fahren nicht pauschal für sicher erklären und technisches Versagen ohne Weiteres als höhere Gewalt akzeptieren. Zur gesellschaftlichen Akzeptanz bedarf es der Einsicht, dass auch eine hochentwickelte Technik an ihre Grenzen stößt.
Anders als im Flugzeug sind redundante Systeme im Kraftfahrzeug keine Lösung. Zwar überlappen die verschiedenen Komponenten einander und kontrollieren sich damit gegenseitig, verkehrsfeindliche Eingriffe durch Hacker werden sich jedoch kaum verhindern lassen. In diesem Fall bedarf es entsprechender Warnsignale und der sofortigen Übergabe an den Fahrzeugführer.
Ethische Konflikte kann und darf ein Algorithmus nicht lösen
Kritisch ist insbesondere der Umgang mit Verkehrsstörungen, die sich durch Algorithmen nur eingeschränkt oder gar nicht definieren lassen. Die sichere Unterscheidung von spielenden Kindern und einer Kartonage mag technisch lösbar sein, ethisch fundierte Entscheidungen wird man dem System jedoch nicht abverlangen können. Gerät das Fahrzeug in eine Situation, in der sich die Technik unvermeidbar zwischen Unfallfolgen mit einem oder mehreren Opfern entscheiden müsste, kommt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abschuss entführter oder anderweitig als Waffe missbrauchter Flugzeuge ein Automatismus nicht in Betracht. Was dem Gesetzgeber untersagt ist, kann der Technik nicht kraft Gesetzes überlassen werden.
Auch dies ist jedoch kein Grund, automatisiertes Fahren generell abzulehnen. Allerdings ist die Konsequenz, die Steuerung in derartigen ethischen Konfliktlagen an den Fahrzeugführer zurückzugeben, mit deutlichen Nachteilen verbunden. Der Übergabevorgang, die Schrecksekunde und die Beurteilung eines komplexen Verkehrsgeschehens benötigen Zeit, die zur Umsetzung verkehrsgerechter und ethisch verantwortbarer Entscheidungen gerade in kritischen Verkehrslagen nicht zur Verfügung steht.
Ohnedies dürfte das Ideal einer technisch wie ethisch optimalen Bewältigung eines komplexen Verkehrsgeschehens angesichts der Unzulänglichkeit rationaler Entscheidungsprozesse Theorie bleiben. In Gefahrsituationen reagieren wir entsprechend unserer Lebenserfahrung und unserem fahrerischen Können nach unterschiedlichen Wertvorstellungen. Der tragische Konflikt, sich zwischen gleichwertigen Rechtsgütern entscheiden zu müssen und damit so oder so schuldig zu werden, ist weder vom Menschen noch von einer Maschine aufzulösen. Das vollendete auto-mobile Fahren wird somit in letzter Konsequenz eine Utopie bleiben müssen.
Der Autor Kay Nehm ist Generalbundesanwalt a.D. und Präsident des Verkehrsgerichtstages.
Selbstfahrende Autos: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16585 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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