Gesetzentwurf zur Übermittlungspflicht: Menschen­rechte auch ohne Aufent­halts­recht

von Dr. Ibrahim Kanalan

28.07.2015

Übermittlung bald nur noch bei Gefahrenabwehr und Strafrecht?

Der Gesetzesentwurf der Grünen versucht den vorhandenen Widerspruch weiter aufzulösen. Der Entwurf sieht vor, dass die Übermittlungspflichten der öffentlichen Stellen auf die Behörden beschränkt werden, die für die Gefahrenabwehr und Strafrechtspflege zuständig sind. Beispielsweise Sozialbehörden, Gerichte und Unfallversicherungsträger wären dann von der Mitteilungspflicht befreit.
Die Änderung der Übermittlungspflicht im Rahmen der Unfallversicherung ist insoweit richtig und konsequent, da diese Ansprüche unabhängig von einem regulären Aufenthaltsstatus, aufgrund faktischer Umstände entstehen, wenn also tatsächlich eine Beschäftigung ausgeübt wird oder der Schulbesuch stattfindet.

Die Regelungen hinsichtlich der Abschaffung der Übermittlungspflicht der Gerichte und somit der Durchsetzung der Lohnansprüche sind ebenso sachgerecht und notwendig, da auch in diesem Bereich die Ansprüche unabhängig von dem Aufenthaltsstatus und der Beschäftigungserlaubnis entstehen. Dies wurde bereits durch Paragraph 98 a Aufenthaltsgesetz – aufgrund europarechtlicher Vorgaben im Rahmen der Umsetzung der Sanktionsrichtlinie – klargestellt. Der Gesetzgeber hatte jedoch versäumt, die Vorgaben des Art. 6 Absatz 2 der Sanktionsrichtlinie, d.h. die Sicherstellung der Wirksamkeit des Verfahrens der Durchsetzung, umzusetzen. Die vorgeschlagene Regelung dient daher auch dazu, die Defizite der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben zu beheben.

Die Änderungsvorschläge hinsichtlich Paragraphen 87 und 88 Aufenthaltsgesetz zur Wahrnehmung des Rechts auf Gesundheit ist erforderlich, um menschenrechtliche Vorgaben aus Völker-, Europa- und Verfassungsrecht umzusetzen. Zwar besteht Zugang zu medizinischer Grundversorgung aufgrund des verlängerten Geheimnisschutzes. Dieser Anspruch ist aber zum einen auf Notfälle eingeschränkt und zum anderen ist der Zugang in der Praxis nicht effektiv. Die Regelung ist daher auch aus Klarstellungsgründen und Gründen der Rechtssicherheit förderlich.

Auch ein Existenzminimum muss gewährleistet werden

Kritischer ist jedoch die vorgeschlagene Änderung der Übermittlungspflicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zwar ist es grundsätzlich notwendig, die Übermittlungspflicht der Sozialbehörden zu regulieren. Es ist aber unzureichend, sie nur auf Fälle der Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (Paragraph 4) und sonstige Leistungen (Paragraph 6) zu beschränken. Menschen ohne Papiere haben nicht nur Recht auf Gesundheit, sondern auch auf ein Existenzminimum, welches sich aus dem Völkerrecht und verfassungsrechtlich dem Grunde nach aus der Menschenwürde ergibt, wie das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 festgestellt hat.

Verfassungsrechtlich geboten ist es daher, die Inanspruchnahme des Rechts auf Existenzminimum sicher zu stellen, welches durch das Asylbewerberleistungsgesetz auch für Menschen ohne Papiere einfachgesetzlich kodifiziert ist. Daher muss die Übermittlungspflicht für Sozialbehörden gänzlich aufgehoben werden. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht den Maßstab gesetzt: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.

Der Autor Dr. Ibrahim Kanalan ist wissenschaftlicher Koordinator des Centre for Human Rights Erlangen-Nürnberg (CHREN) – Interdisziplinäres Zentrum der FAU und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Zitiervorschlag

Gesetzentwurf zur Übermittlungspflicht: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16389 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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