Die Politik ringt um die Eindämmung illegaler Einwanderung. Für Florian Albrecht und Frank Braun ist die Rechtslage klar: Polizeibeamte müssen unerlaubt Einreisende zurückweisen. Sonst machten sie sich vielleicht sogar strafbar.
Die Beamten der Bundespolizei sind an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz, GG, § 60 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz, BBG). Diese Selbstverständlichkeit gilt uneingeschränkt und ist unabhängig von moralisch gefärbten Gerechtigkeitsvorstellungen und politischen Ränkespielen weisungsbefugter Minister. Auch in heiklen gesetzlich formulierten Aufgabenbereichen wie der Einreiseverweigerung oder Zurückschiebung von Asylbewerbern und Flüchtlingen, die über sichere Drittstaaten nach Deutschland einreisen wollen, gilt zuerst das Gesetz - und nicht die Weisung Vorgesetzter.
Zur Rechtslage an den deutschen Außengrenzen hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in einem am Wochenende veröffentlichten Rechtsgutachten dargelegt, dass Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Dublin III-Verordnung (VO) nur so verstanden werden kann, dass eine "irreguläre Weiterreise" von Flüchtlingen durch Europa (sog. Sekundärmigration) "weitestgehend zu verhindern" ist.
Seine Argumentation ist überzeugend: Das nationale und europäische Recht darf nicht so interpretiert werden, dass grundlegende Regelungsziele über Bord geworfen werden. Reisen Asylbewerber und Flüchtlinge über sichere Drittstaaten (wie etwa Österreich; vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG) nach Deutschland ein, sind sie nach § 18 Abs. 3 AsylG zurückzuschieben, wenn sie von Beamten der Bundespolizei im grenznahen Raum anlässlich einer unerlaubten Einreise angetroffen werden. Eine Asylantragstellung im Wunschland ist mit dem Regelungssystem des EU-Asylrechts nicht vereinbar.
Der Einsatzbefehl von 2015 ist rechtswidrig – zumindest heute
Dem steht das in Art. 17 Dublin III-VO, § 18 Abs. 4 AsylG vorgesehene Selbsteintrittsrecht nicht entgegen. Nach der Norm ist von der Zurückschiebung etwa dann abzusehen, wenn die Flüchtlinge aus einem sicheren Drittstaat eingereist sind und Deutschland aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen eine Einreise gestatten möchte.
Von dieser Abweichungsbefugnis darf das Bundesministerium des Innern aber nur im Einzelfall Gebrauch machen. Deutschland darf seine Asylzuständigkeit nicht in einer Weise an sich ziehen, die grundsätzliche Regelungsmechanismen der europäischen Regelwerke oder gesetzlichen Vorgaben des nationalen Rechts aushebeln würde.
Derzeit aber wird hinsichtlich der unerlaubt stattfindenden Einreisen gleichwohl umfassend auf das Recht zum Selbsteintritt verwiesen. Dabei steht einer solchen Auslegung bereits die Vorschrift des § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG entgegen. Sie normiert den Regelfall, wonach einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, grundsätzlich die Einreise zu verweigern ist, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist. Die Exekutive darf den in gesetzlichen Regelungen verankerten Parlamentswillen nicht im Wege einer Selbstermächtigung aushebeln.
Der Einsatzbefehl des Bundespolizeipräsidiums vom 13. September 2015, durch den die Grenzbehörden angewiesen wurden, "Drittstaatangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten", mag in der Ausnahmesituation im Herbst 2015 legitim gewesen sein. Heute aber ist der Befehl, dem eine mündliche und - immer noch - unbegründete Anordnung des damaligen Bundesministeriums des Innern zur "Grenzöffnung" zugrunde liegen soll, nicht mehr vom geltenden Recht gedeckt.
Grenzschützer: Wer nicht handelt, macht sich strafbar
Im Ergebnis steht damit fest, dass sowohl Einreiseverweigerungen als auch Zurückschiebungen nach § 18 Abs. 2 und 3 AsylG als zwingende Rechtsfolgen der unerlaubten Einreise über einen sicheren Drittstaat gesetzt sind. Das gilt unabhängig von einer möglichen Registrierung der Betroffenen in der EURODAC-Datenbank oder dem gegenwärtig in Rede stehenden Abschluss eines Verwaltungsabkommens mit betroffenen sicheren Drittstaaten. Den zuständigen Grenzschutzbehörden verbleibt diesbezüglich, wie Papier zutreffend ausführt, "kein Spielraum für Ermessen und für politische Zweckmäßigkeitserwägungen". Ihre Handlungspflicht ergibt sich aus dem Gesetz.
Auch wenn es andere Meinungen gibt, handelt es sich bei dieser Rechtsauffassung nicht etwa um eine randständige Mindermeinung, sondern mittlerweile wohl um das, was Juristen gerne mit der Strahlkraft einer "herrschenden Meinung" versehen. Damit sind die gem. § 3 Bundespolizeigesetz mit Grenzschutzaufgaben betrauten Beamten der Bundespolizei zum Handeln verpflichtet.
Die Übertragung von Grenzschutzaufgaben macht Bundespolizisten zu Beschützergaranten für die öffentliche Sicherheit (vgl. AG Augsburg, Urt. v. 16.02.2017, Az. 31 Cs 101 Js 118374/16 jug (3))- wer eine unerlaubte Einreise dennoch gestattet, könnte sich vor diesem Hintergrund wegen Unterlassens der gebotenen Verhinderungsmaßnahmen gem. § 95 Abs. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz strafbar machen. Einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, wie noch von der Staatsanwaltschaft Passau im Jahre 2017 angenommen, kann heute niemand mehr für sich in Anspruch nehmen, nachdem die rechtliche Problematik in der Bundespolizei mittlerweile bekannt ist.
Ungeachtet des politischen Streites um gebotene Aktivitäten zum Schutze der nationalen Grenzen müssen sich für Beamte der Bundespolizei, die sich aufgrund von Weisungen gehindert sehen, effektive Grenzschutzmaßnahmen zu ergreifen, überdies Bedenken i. S. d. § 63 Abs. 2 S. 1 BBG ergeben. Die Vorschrift verpflichtet (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 27.07.2018, Az. 2 B 132/18) Beamte, die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen haben, diese unverzüglich geltend zu machen. Sie haben hiernach auch ihre Vorgesetzten auf Versäumnisse im Bereich des Grenzschutzes hinzuweisen. Nur so können sie Vorkehrungen treffen, um sich vor straf- oder disziplinarrechtlicher Verfolgung zu schützen. Wer weiter angehalten wird, der ministeriellen Weisung aus dem Jahr 2015 nachzukommen, wird also vom Instrument der Remonstration Gebrauch machen müssen.
Recht muss man beachten oder ändern - aber nicht ignorieren
Die Diskussion um Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen hat sich von der rechtlichen Realität entfernt. Die Leidtragenden sind die mit veritablen Unsicherheiten bei der Dienstausübung konfrontierten Grenzschützer.
Die Bundesregierung hat nicht einmal unmissverständlich dargelegt, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welcher Begründung sie gegenüber Beamten der Bundespolizei angeordnet hat, von Einreiseverweigerungen abzusehen. Bereits hieraus ergib sich eine schwere Verletzung der sich aus § 78 BBG ergebenden Fürsorgepflicht.
Der Umgang der Politik mit dem bestehenden Recht ist insgesamt besorgniserregend. Unabhängig davon, ob man die Einschätzung von Hans Jürgen Papier in der Sache teilt, ist die Rechtslage im Asyl- und Flüchtlingsrecht zweifellos komplex.
Nur ist Komplexität im Recht, man denke etwa an das neue Datenschutzrecht, kein Argument, es mit ihm nicht so genau zu nehmen. Genau das geschieht aber mit der Berufung auf eine mündliche Ministeranordnung, die auch nach fast drei Jahren noch nicht begründet wurde, aber eine Auseinandersetzung mit dem geltenden Recht ebenso lange obsolet macht. Dabei ist die Antwort auf die Frage nach dem, was hätte geschehen müssen, einfach, wenn man das machtpolitische Geschehen ausblendet. Man hätte das Recht beachten oder, wenn der politische Wille ein anderer ist, es ändern können. Die Mehrheiten dazu bestanden und bestehen nach wie vor im Bundestag. CDU, SPD und Grüne haben die hierzu erforderlichen Stimmen.
Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sind die Entscheidungen also einfach: Widerspricht das Recht individuellen Gerechtigkeits- oder Moralvorstellungen der Politik, hat sie es dennoch zu beachten. Widerspricht das Recht den Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen der im Parlament vertretenen Mehrheit, welche die Mehrheit der Bürger repräsentiert, muss das Recht in diesem Sinne geändert werden. Von diesen rechtsstaatlichen Binsenweisheiten entfernt sich die Politik zunehmend.
Der Autor Florian Albrecht ist Oberregierungsrat an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Der Autor Dr. Frank Braun ist Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen (Staatsrecht und Polizeirecht) sowie Mitherausgeber und -autor eines kürzlich erschienenen Lehrbuchs zum Besonderen Polizeirecht (Kniesel/Braun/Keller, Besonderes Polizei- und Ordnungsrecht, Kohlhammer 2018). Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Verfasser wieder.
Flüchtlinge an deutschen Außengrenzen: . In: Legal Tribune Online, 03.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29523 (abgerufen am: 06.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag