Krankheitsfälle wegen psychischer Belastungen sind in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen – nicht zuletzt dank der Leistungsverdichtung in Unternehmen und der ständigen Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter. Die Regierung will mit einer Anti-Stress-Verordnung gegensteuern. Doch es mangelt nicht an Schutzvorschriften, sondern an deren konsequenter Umsetzung, meint Christian Oberwetter.
Die Regierungskoalition scheint den Geist der geplanten Anti-Stress-Verordnung bereits lang vor deren Erlass verinnerlicht zu haben: Kürzlich ließ sie verlauten, dass mit den neuen Regelungen erst ab 2016 zu rechnen sei. Das ist zu verschmerzen, denn auch bis dahin sind die Beschäftigten in Unternehmen keineswegs rechtlos gestellt. Eine Vielzahl von Vorschriften kann bereits heute herangezogen werden, um psychischen Belastungen Einhalt zu gebieten.
So ist in § 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) geregelt, dass der Arbeitgeber Arbeitsplätze so einzurichten hat, dass Gefährdungen für die physische und psychische Gesundheit des Beschäftigten ausgeschlossen werden. § 5 ArbSchG verpflichtet ihn weiterhin, für jeden zu besetzenden Arbeitsplatz eine Gefährdungsanalyse vorzunehmen. Auf Grundlage dieses Gesetzes hat der Gesetzgeber einige Arbeitsschutzverordnungen erlassen, z. B. die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättVO) und die Bildschirmarbeitsverordnung (BildschArbVO). In diesen Regelungen sind die Anforderungen an Arbeitsplätze näher geregelt. Bei Verstößen gegen die Verordnungen drohen den Unternehmen Bußgelder.
Theorie und Praxis des Arbeitnehmerschutzes
Konkreter werden die gesetzlichen Vorschriften in Bezug auf die Arbeitszeit: Im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist explizit vorgeschrieben, in welchem Ausmaß (nicht leitende) Mitarbeiter beansprucht werden dürfen. Geregelt sind vor allem die tägliche Höchstarbeitszeit, der Anspruch auf Pausen und der Anspruch auf Ruhezeiten von mindestens elf Stunden nach der täglichen Arbeit gemäß § 5 des Gesetzes. Danach gilt schon heute: Nach Dienstschluss muss ein Arbeitnehmer weder seine dienstlichen Emails checken noch beantworten, denn dabei handelt es sich um Arbeitszeit. Nach Feierabend ist der Mitarbeiter auch nicht verpflichtet, für den Chef telefonisch erreichbar zu sein. Und Erreichbarkeit im Urlaub oder gar bei Krankheit ist tabu.
Die Problematik besteht allerdings darin, dass Dienst und Freizeit immer weniger zu trennen sind. Viele Mitarbeiter gehen davon aus, dass der Arbeitgeber von ihnen erwartet, erreichbar zu sein. Hier können Gesetze wenig ausrichten und auch eine Anti-Stress-Verordnung brächte keine weitere Abhilfe. Wichtig ist vielmehr die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften. Dabei sind die Unternehmen selbst gefragt. Vor allem der Betriebsrat sollte auf seine zwingenden Mitbestimmungsrechte nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) pochen und betriebliche Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer herbeiführen. So wurde etwa bei VW eine Betriebsvereinbarung geschlossen, wonach bei Firmen-Blackberrys nach Feierabend die Email-Funktion abgeschaltet wird. Möglich sind auch Vereinbarungen, in denen eine Erreichbarkeit nach Dienstschluss vorgesehen wird. Das setzt allerdings voraus, dass diese als Überstunden vergütet wird.
Arbeitgeber muss Pausenzeiten unter Umständen selbst vorgeben
Über Gebühr darf ein Mitarbeiter in keinem Fall in Anspruch genommen werden, da das ArbZG Vorgaben macht, von denen nur punktuell abgewichen werden kann. In betriebsratlosen Unternehmen ist der Arbeitgeber selbst gefragt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat kürzlich entschieden, dass es Aufgabe des Arbeitgebers ist, den Arbeitnehmern konkrete Vorgaben für Pausenzeiten im Rahmen seines Direktionsrechtes zu machen. Es reiche nicht aus, dass die Geschäftsleitung es den Beschäftigten selbst überlässt, eine interne Pausenregelung zu treffen (Urt. V. 27.11.2013, 5 Sa 376/13). Nicht zuletzt sind auch die Arbeitsschutzbehörden gefragt, Hinweisen auf Verstöße gegen die Arbeitsschutzregeln nachzugehen. Dies sind je nach Bundesland in der Regel die Ämter für Arbeitsschutz oder das Gewerbeaufsichtsamt, die sowohl auf entsprechende Hinweise, als auch initiativ tätig werden können. Nach §22 ArbSchG sind sie befugt, Unternehmen einen Besuch abzustatten, um die Einhaltungen der Vorschriften zu kontrollieren.
Das Gesetz schützt die Beschäftigten bereits heute ausreichend. Insofern tut die Regierungskoalition gut daran, Ruhe zu bewahren und eine weitere Verordnung gründlich vorzubereiten. Mit einem Schnellschuss, der wenig transparent Verpflichtungen zum Schutz vor Stress vorschreibt, ist niemandem geholfen. Es kommt darauf an, klare Regeln zur Trennung von Dienst und Freizeit zu treffen und dabei insbesondere den Umgang mit digitalen Medien konkret zu regeln. Wie im ArbSchG sollten punktuelle Abweichungen durch tarifliche und betriebliche Regelungen möglich sein, um den unterschiedlichen Anforderungen bestimmter Branchen gerecht zu werden. Im Ergebnis wird es schließlich darauf ankommen, dass die Arbeitsschutzbehörden rigoros gegen Verstöße vorgehen. Ob dies tatsächlich geschehen wird, ist jedoch ungewiss. Wegen knapper personeller Ressourcen soll es in den letzten Jahren weniger Kontrollen gegeben haben. Und schließlich will man sich auch bei den Behörden keinen unnötigen Stress machen…
Christian Oberwetter, Gesetzgebung im Kampf gegen Burnout & Co: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13188 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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