Immer mehr deutsche Unternehmen flüchten sich in ausländisches Recht, Wirtschaftsverbände, Anwälte und Professoren schlagen Alarm. Sie fordern eine Reform der AGB-Rechtsprechung, die selbst große Unternehmen wie kleine Verbraucher behandelt – und damit die ökonomische Realität ignoriert und die Akzeptanz deutschen Rechts gefährdet, kommentiert Hanns-Christian Salger.
In den letzten Monaten ist der Unmut der Wirtschaft zu einem unüberhörbaren Ruf nach Reform geworden: Sie will die immer enger werdenden Fesseln, die eine mit dem Wirtschaftsleben wenig vertraute Rechtsprechung Unternehmen anlegt und diese damit in ihrer Vertragsfreiheit beschränkt, sprengen, wenigstens lockern.
Unternehmen wie zum Beispiel Siemens haben bereits seit langem die Flucht aus dem deutschen Recht angetreten und vereinbaren wo immer möglich ausländisches, zumeist Schweizer Recht. Sie wollen, ja müssen einer am Ziel des Verbraucherschutzes entwickelten Be-schränkung der Vertragsfreiheit entgehen, die für Unternehmen, welche eines solchen Schutzes gar nicht bedürfen, zur unerträglichen, oft widersinnigen Bevormundung geworden ist.
Im Zentrum der Besorgnis fast der gesamten deutschen Wirtschaft stehen die immer enger gezogenen Grenzen für Haftungserleichterungen, die bewusst gewählte Risikoverteilungen unterlaufen und damit Unsicherheit und Mehrkosten erzeugen.
Sowohl eine von maßgebenden Wirtschaftsverbänden sowie Professoren und Wirtschaftsanwälten getragene "Frankfurter Initiative" als auch der Zivilrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins haben Reformvorschläge für das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgelegt. Sie sollen der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers zur Durchsetzung verhelfen, zwischen Verbrauchergeschäften einerseits und unternehmerischen Verein-barungen andererseits deutlich zu unterscheiden.
Unternehmens-Standards und die viel zu weite AGB-Definition
Niemand bezweifelt, dass Verbraucher vor unangemessenen, unvorhergesehenen, kurz unfairen Allgemeine Geschäftsbedingungen, eben dem so genannten Kleingedruckten, geschützt werden müssen.
Der unternehmerische Geschäftsverkehr aber bedarf gerade dieses Schutzes nicht. Schon die weltweit einzigartig, viele sagen abartig weitgehende Definition von "Allgemeinen Geschäftsbedingungen", die sich vor allem im unternehmerischen Geschäftsverkehr negativ niederschlägt, wird zu Recht kritisiert.
Als Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten nämlich nicht nur die oft auf Bestellformularen u.ä. verwendeten kleingedruckten Lieferbedingungen, sondern alle Vertragsklauseln, die mehr als ein- oder zweimal verwendet wurden oder auch nur verwendet werden sollen. Für jedes rational und rationell arbeitende Unternehmen, das auf standardisierte Produktions-, Verwaltungs- und eben auch Vertragsabläufe angewiesen ist, der blanke Horror.
Allgemein, also gewissermaßen als Verhandlungsausgangspunkt formulierte Vertragsbestimmungen dienen ja nicht dazu, den Vertragspartner zu übertölpeln, sondern um eine zügige und effiziente Vertragsverhandlung und -durchführung zu ermöglichen.
Oft sind sich alle einig – außer der Rechtsprechung
Gänzlich absurd ist, dass dann gerade die besonders bewährten und deshalb immer wieder verwendeten Vertragspassagen unter den Generalverdacht einer Unzulässigkeit geraten, wenn sie mit dem oft über 100 Jahre alten Gesetzesrecht nicht gänzlich übereinstimmen. Obwohl an Vertragsvereinbarungen, zum Beispiel über Haftungsbeschränkungen, nichts auszusetzen ist, wenn sie "individuell ausgehandelt" wurden, sollen sie für beide Parteien oft überraschend unwirksam sein, wenn die eine Partei sie vorgeschlagen und die andere sie klaglos akzeptiert hat, ohne dass die Klausel im Einzelnen besprochen worden wäre.
Dabei werden Unternehmen wie unmündige Kinder behandelt. Oft wird dem einen Vertrags-partner ein spürbarer Nachteil zugefügt, ohne dass dem anderen dies überhaupt zum Vorteil gereicht. So lieferte ein deutscher Maschinenhersteller eine neu entwickelte Maschine nach Kanada und beschränkte wegen der noch fehlenden Praxis und Erfahrung mit dem Gerät seine Haftung auf die Höhe des Kaufpreises, wenn die Maschine beispielsweise Feuer fangen und dadurch weitere Schäden verursachen würde. Der kanadische Besteller akzeptierte diese Beschränkung ohne weiteres. Wohl auch, wie sich anlässlich eines dann tatsächlich eintretenden Brandfalles zeigte, weil er über eine gute Betriebs-Sachversicherung verfügte, die die entstandenen Schäden auch ohne weiteres ausglich.
Im Anschluss allerdings versuchte der Versicherer, der am Vertragsschluss naturgemäß nicht beteiligt war und sich über den Willen und die Risikoverteilung beider Vertragsparteien hinwegsetzte, beim deutschen Lieferanten Regress zu nehmen. Er argumentierte, dass die vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkung nicht im Einzelnen besprochen und ausge-handelt, sondern eben ohne weiteres vom kanadischen Abnehmer akzeptiert worden war. Daher sei sie als Allgemeine Geschäftsbedingung einzustufen und nach deutschem Recht unwirksam. Dass der Lieferant womöglich durchaus auch auf die Haftungsbeschränkung verzichtet, dann freilich eine besondere Haftpflichtversicherung abgeschlossen und den Kaufpreis entsprechend erhöht hätte, wird als Argument von deutschen Gerichten nicht gehört.
Gegen widersinnige Ergebnisse: Der Gesetzgeber ist gefordert
Die Rechtsprechung, die mit ihren gar nicht einmal sehr zahlreichen, vom Verbraucherschutz ausgehenden Entscheidungen zu solch widersinnigen Einschränkungen der unternehmeri-schen Vertragsfreiheit geführt hat, bedarf nach nahezu einhelliger Meinung kundiger Kaufleute und Juristen einer klaren Korrektur.
Diese unglückliche und oft unvorhersehbare Judikatur lässt die Durchsetzung getroffener vertraglicher Vereinbarungen zunehmend unsicher erscheinen. Die daraus folgende Abwanderung in ausländisches Recht und vor allem zu Schiedsgerichten ist spürbar. Für die staatlichen Gerichte ist es deshalb mittlerweile umso schwieriger, wenn nicht unmöglich geworden, die erforderliche Begradigung durchzuführen.
Deshalb ist der Gesetzgeber aufgefordert, tätig zu werden. Ein hoher Richter bat selbst um einen "Anstupser" durch eine Gesetzesänderung. Diese muss zum einen auf das Erfordernis eines "individuellen Aushandelns" verzichten, das in der geschäftlichen Praxis kaum erfüllbar ist.
Zum anderen müssen das Gesetz und in seiner Folge auch die Rechtsprechung unternehmerische Verträge, die in freier Selbstbestimmung geschlossen wurden - also nicht etwa durch ein Monopolunternehmen, zum Beispiel Energie- oder Wasserversorger oktroyiert sind - inhaltlich grundsätzlich akzeptieren. Wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland auch wieder ein Rechtsstandort werden soll, dürfen vertragliche Bestimmungen zwischen Unternehmen nicht bereits deshalb als unzulässig gelten, weil sie gegenüber einem Verbraucher nicht angemessen wären.
Der Autor Prof. Dr. Hanns-Christian Salger, LL.M.. ist Rechtsanwalt und Partner bei SALGER Rechtsanwälte und Honorarprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist Mitglied des DAV-Ausschusses Europäisches Vertragsrecht und des Geschäftsführenden Ausschusses der DAV-Arbeitsgemeinschaft internationaler Rechtsverkehr.
AGB-Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5610 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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