2/3: "Strafrecht taugt zur Profilierung oft besser als zur Problemlösung"
LTO: Fühlen Sie sich als Richter von der Politik instrumentalisiert?
Fischer: Im engeren Sinne nicht. Als Richter hat man die Pflicht, Recht und Gesetz zu verwirklichen. Man kann seine Meinung dazu sagen, wie ich es tue. Und man kann sagen, dass bestimmte Regelungen nicht besonders zielführend erscheinen. Solange sie aber nicht verfassungswidrig sind, besteht für die Justiz die Pflicht zum Gesetzesgehorsam. Wer Gesetze machen und nicht anwenden will, der muss Politiker werden und nicht Richter.
In einem weiteren Sinn instrumentalisiert ist Justiz aber selbstverständlich insoweit, als "der Gesetzgeber" immer wieder – und diesmal in besonders eklatanter Weise – undurchdachte, technisch schlechte und hochproblematische Gesetze auf den Markt wirft, seine Aufgabe damit für erledigt erklärt und dann "mal abwartet", ob die Justiz wohl etwas damit anfangen kann. Und wenn die angeblichen Ziele nicht erreicht werden, wird mit dem Finger auf die Gerichte gezeigt, die daran angeblich schuld sind.
Hoven: Auch in der Wissenschaft wird die Ansicht geteilt, dass das Strafrecht von der Politik instrumentalisiert wird, um zu zeigen „Wir tun etwas“. Zur tatsächlichen Problemlösung ist es aber nur selten geeignet. Das zeigt sich auch in ganz anderen Bereichen, beispielsweise beim Einbruchsdiebstahl. Dort werden höhere Strafrahmen gefordert, obwohl das überhaupt nichts ändern würde. Denn das Problem ist, dass wir diese Taten gar nicht aufklären. Aber natürlich ist das Strafrecht eine kostengünstige Lösung mit großer Außenwirkung.
LTO: Gerade dem Sexualstrafrecht sind Beweisprobleme praktisch immanent. Dürfen sie für den Gesetzgeber überhaupt eine Rolle spielen bei der Frage, ob ein Verhalten bestraft werden soll?
Fischer: Solche Probleme sollten bei der Überlegung sicher nicht die Hauptrolle spielen. Aber in einem Bereich, in dem es darum geht, sogenannte Strafbarkeitslücken zu füllen, muss man sich schon Gedanken darüber machen, wie die Gesetze überhaupt angewendet werden können.
Hoven: Bei der Frage, ob ich etwas grundsätzlich unter Strafe stelle, dürfen Beweisprobleme natürlich keine Rolle spielen. Aber bei der Frage, wie man einen Tatbestand konkret ausgestaltet, ist das ein sehr wichtiges Argument, das man mit einbeziehen sollte.
"Feminismus wird falsch verstanden"
LTO: Wenn man die Sexualstrafrechtsreform als Ausdruck feministischer Lobbyarbeit sieht, ist der Feminismus dann außer Kontrolle geraten?
Hoven: Ich würde nicht sagen außer Kontrolle geraten, aber falsch verstanden. Ich selbst denke auch feministisch und halte diese Reform trotzdem für falsch. Denn die an sich sehr legitimen Anliegen werden oft zu einseitig vertreten, ohne sich über mögliche Konsequenzen Gedanken zu machen. Zum Beispiel ist das Risiko von Falschbeschuldigungen im Sexualstrafrecht ein sehr reales. Solche Probleme zu ignorieren ist falsch und führt letztendlich auch zu schlechten Gesetzen.
Fischer: Es gibt natürlich ein Problem mit dem so genannten Feminismus. Da gibt es einige hoch ideologisierte Kampagnen und Seilschaften, die in der Lage sind, auf der Grundlage einer allgemeinen Vorwurfsmoral unsinnige Dinge durchzudrücken, ohne dass noch ein rationaler Widerstand entgegengesetzt werden kann. Aber solche Reformen sind immer auch ein Zeichen für breitere gesellschaftliche Entwicklungen. Wir erleben im Moment eine zusehends stärkere Hinwendung zum Individuum, damit auch zur Überhöhung von höchstpersönlichen im Gegensatz zu Allgemeinrechtsgütern.
Das ist eine Moralisierung des Rechts, die wir zum Beispiel auch im Bereich von Pornografie oder Hate-Speech sehen, allerdings in einer außerordentlich starken Ausprägung. Insoweit ist die Sexualstrafrechts-Hysterie der vergangenen Jahre einfach nur pars pro toto: hervorgehobenes Beispiel für einen allgenmeinen Trend, der nicht auf „bösem Willen“ oder Verschwörung beruht, sondern auf realen gesellschaftlichen Veränderungen. Allerdings vielfach nicht auf denen, die in den jeweiligen Kampagnen zusammenfantasiert werden.
Hoven: Wir bewegen uns zur Zeit weg von einem liberalen Verständnis von Sexualität hin zu einer wieder strengeren Sexualmoral. Nach dem neuen Recht ist die Grenze zwischen Verführen und Vergewaltigen fließend. Sexualität unter einen Generalverdacht zu stellen und derart reglementieren zu wollen, finde ich sehr schwierig.
Maximilian Amos, Interview mit Elisa Hoven und Thomas Fischer: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21018 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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