2/2: "Die Form der Gewalt hat sich verändert"
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. FASOL betreut zurzeit unter anderem einen Richter, der wegen Morddrohungen untertauchen musste. Zwar sind die Morde an Richtern und Staatsanwälten in den letzten Jahren gesunken. Zwischen 1989 und 2013 gab es insgesamt 300 Ermordungen, 2014 noch sieben und im Jahre 2015 nur eine. Dagegen haben die Gewaltandrohungen dramatisch zugenommen.
"Die Form der Gewalt hat sich verändert", erklärt Ojeda und führt beinahe zynisch aus: "Früher wurde ein Richter gleich ermordet und die Sache war erledigt. Jetzt werden sie damit bedroht, dass ihren Familienangehörigen etwas passiert." In der Statistik tauchen nur die Morde an den Amtsträgern selbst auf. Die Morddrohung gegen Familienangehörige ist jedoch ein noch wirksameres Mittel zur Einschüchterung der Justiz.
Zudem ist diese Art der Bedrohung schwerer einzudämmen. Sie richtet sich auf einen größeren, schwieriger zu schützenden Personenkreis und endet nicht in jedem Fall mit der Amtsniederlegung der Zielperson, sondern kann für unbestimmte Zeit fortdauern und somit ganze Familien einschüchtern. Besonders kriminelle Banden, die keiner politischen Guerilla angehören, sondern rein wirtschaftliche Interessen verfolgen, nutzen die Schutzlosigkeit der Justiz im ländlichen Raum aus, um so ihre Macht durchzusetzen.
Staatlicher Schutz ist unzureichend – oder erst gar nicht wirksam
Der Staat als Arbeitgeber bietet kaum Hilfe in derartigen Fällen. Das Einzige, was ein Richter oder Staatsanwalt, der Morddrohungen erhält, tun kann, ist einen Antrag auf Personenschutz zu stellen. Allerdings, so Ojeda, liegt die Bearbeitungszeit dieser Anträge bei etwa zwei Wochen. Ein zu langer Zeitraum bei akuter Bedrohung.
Darüber hinaus genügen die Mittel oft nur für unzureichende Schutzmaßnahmen. So bekam etwa eine Gruppe von fünf bedrohten Richtern im ländlichen Raum gemeinsam lediglich einen Wagen mit Panzerglas zugeteilt. In ihren Wohnhäusern waren sie nicht geschützt. Das Familienmitglied eines Richters wurde in seinem Wohnhaus getötet. Der Bewilligungsprozess ist außerdem undurchsichtig und von außen nicht überprüfbar. Die Beamten sind somit der Willkür der zuständigen Behörde ausgeliefert.
FASOL bietet Unterstützung in diesem Prozess, ist aber selbst oft machtlos. Wenn Untertauchen der einzige Ausweg ist, hilft die Organisation bei der Umsetzung. Außerdem bietet sie finanzielle Unterstützung für die Familien der Opfer.
Mehr als nur finanzielle Unterstützung
Dies war bei der Gründung 1992 das Hauptanliegen der Organisation. Vor allem sollten die Kinder ermordeter Richter die Möglichkeit zu einer guten Ausbildung erhalten und gegebenenfalls studieren können. Als man feststellte, dass die Opfer und ihre Familien häufig durch ihre Erlebnisse stark traumatisiert waren, wurde das Angebot um psychologische Betreuung erweitert.
Heute bietet FASOL neben materieller Unterstützung juristische Beratung und konkrete Hilfe, etwa bei der Beantragung von Personenschutz oder im Asylverfahren. In der Zukunft soll ein Fokus auf präventive Maßnahmen gelegt werden. Richter und Staatsanwälte in besonders betroffenen Regionen sollen für Gefahren sensibilisiert und über bestehende Hilfsangebote aufgeklärt werden.
Er wünsche sich, dass es FASOL einmal nicht mehr geben müsse, sagt Carlos Ojeda. Aber es klingt eher traurig als optimistisch. Dass sich die Situation durch den Abschluss des Friedensvertrags ändern würde, glaubt er nicht. Denn von den akuten Problemen der Justiz ist in diesem Vertrag, wie auch in der aktuellen politischen Diskussion, nicht die Rede. vielleicht ändert sich das nach Abschluss der Friedensverhandlungen.
Bedrohte Justiz in Kolumbien: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21195 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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