2/2: IStGH könnte seine Funktion verlieren
Der IStGH ist nicht mit dem Hintergrund gegründet worden, alle Zeiten zu überdauern. Das IStGH-Statut zeigt, dass der IStGH nur in absoluten Ausnahmefällen strafrechtliche Ermittlungen aufnehmen soll (Art. 17 Abs. 1 lit. a) Im Hinblick auf seine Zuständigkeit ist geregelt, dass eine Strafverfolgung nur stattfindet, wenn der betreffende Staat "nicht willens oder nicht in der Lage (ist), die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen".
Die Norm bezieht sich auf die Vision der Schöpfer, denen es in erster Linie um den Grundsatz "no impunity" (im Deutschen: "Keine Straffreiheit") ging. Anders formuliert: Falls alle Staaten in der Zukunft über ein System verfügen sollten, das die Strafverfolgung der schwersten Verbrechen sicherstellen könnte, würde der IStGH seine Funktion verlieren.
Die deutsche Justiz sieht sich selbst ohne Weiteres in der Lage, sicherzustellen, dass es hierzulande – unabhängig von der Existenz des IStGH - keine Straffreiheit gibt. Um die Anforderungen von Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut zu erfüllen, haben afrikanische und asiatische Länder reagiert, indem sie entsprechende rechtliche und institutionelle Instrumente geschaffen haben.
In Uganda wurde am High Court die sogenannte "International Crimes Division" eingerichtet. Diese arbeitet die Verbrechen der "Lord’s Resistance Army" auf und seit 2009 läuft ein Verfahren gegen ein ehemaliges Mitglied dieser Terroristenvereinigung wegen Kriegsverbrechen. Ein anderes Beispiel ist das "International Crimes Tribunal" des Staates Bangladesch, das sich mit Völkermordverbrechen aus den 1970-er Jahren beschäftigt. Beeindruckend ist das am 30. Mai 2016 mit einem Urteil beendete Verfahren gegen den ehemaligen Diktator des Chad, Hissène Habré. Dieser wurde von den sogenannten "Extraordinary African Chambers in Senegal", welche im Jahr 2013 vom Senegal und der Afrikanischen Union gegründet wurden, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Verfahren wird nicht umsonst als Meilenstein für die Gerechtigkeit in Afrika angesehen.
Noch immer eine unvollendete Vision
Bei der derzeitigen Diskussion kommt schnell der Verdacht auf, dass die jüngsten Entscheidungen der afrikanischen Staaten zum Verlassen des IStGH machtpolitischem Kalkül geschuldet sind. Die Gründe können angesichts des überragenden Interesses der Weltgemeinschaft an einem Fortbestand des Gerichts mit möglichst vielen Staaten dahingestellt bleiben.
Im Hinblick auf Art. 17 IStGH-Statut und angesichts der bestehenden Völkerstrafrechtstribunale innerhalb Afrikas ist die Vision der Gründer des IStGH noch nicht erfüllt. Dass der Grundsatz "no impunity" für schwerste Verbrechen nicht universell gilt, zeigt die aktuelle Weltlage. Im Grunde ist in vielen Teilen die effektive Strafverfolgung wegen schwerster Verbrechen nicht stärker gewährleistet als im Jahr 1919 nach Beendigung des Ersten Weltkrieges.
Mit Blick auf das Geschehen in der Ukraine, Afghanistan, Syrien oder im Kongo gibt es nach wie vor erheblichen Bedarf für die Beibehaltung, besser noch den Ausbau des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Weltgemeinschaft und damit auch Deutschland als einer der wichtigsten Geldgeber des IStGH wären gut beraten, sich dafür einzusetzen, dass die afrikanischen Staaten ihre Austrittsandrohung nicht in die Realität umsetzen. Und schließlich sollten Nichtmitglieder, insbesondere die Vereinigten Staaten, China und Russland, zum Beitritt bewegt werden.
Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Staatsanwalt in der Hauptabteilung IV – Wirtschaftsstrafrecht bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart und beschäftigt sich in erster Linie mit Fragen des Strafrechts, Völkerstrafrechts und der Kriminologie.
Austritte beim IStGH: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21059 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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