IS-Kämpfer sollen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren und Einbürgerungen erschwert werden. Art. 16 GG ist plötzlich wieder ganz aktuell – und wird darüber hinaus zu einem migrationspolitischen Instrument.
Anfang März hat sich die Bundesregierung darauf geeinigt, dass IS-Kämpfer ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren sollen, wenn sie dadurch nicht staatenlos werden. Das Gesetz soll nicht für Minderjährige gelten, an diesem Punkt hat sich Justizministerin Katarina Barley (SPD) gegen Innenminister Horst Seehofer (CSU) durchgesetzt. Weil es außerdem nicht rückwirkend gilt und deshalb nicht für diejenigen IS-Kämpfer, die jetzt schon im Ausland in Gefangenschaft sitzen, wollte man diesen Kompromiss zumindest möglichst schnell über die Bühne bringen.
Doch das zog sich hin: Der Gesetzentwurf wurde Teil des Migrationspakets und steckt damit in der Verhandlungsmasse der zahlreichen migrationspolitischen Vorhaben der Koalition fest, zu denen etwa das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes gehören.
Nun hat man sich im Kabinett geeinigt, der Gesetzentwurf soll voraussichtlich in der kommenden Woche in den Bundestag eingebracht werden. Nach den Plänen der Regierung sollen Deutsche ihre Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie sich an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland konkret beteiligen, allerdings nur, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen und somit nicht staatenlos werden.
Das "Nie wieder!" des Grundgesetzes
Obwohl es bei der geplanten Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes nur um einen sehr begrenzten Personenkreis gehen dürfte, bleibt sie unter Politikern und Experten heftig umstritten. Kein Wunder: Die Regelung tangiert Art. 16 Grundgesetz (GG). Die Mütter und Väter des GG einigten sich für diesen Artikel auf den kategorischen Satz: "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden."
Auch wenn die eng gefasste Regelung für IS-Kämpfer verfassungsgemäß sein dürfte, stellt sich die Frage, ob damit nicht der Schutz der Staatsangehörigkeit ausgehöhlt wird – und damit eine der grundlegenden Bestimmungen des GG. Hier spiegelt sich das historische "Nie wieder!", das die Entstehung des GG prägte.
Tatsächlich ist Artikel 16 Abs. 1 GG als Reaktion auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus zu verstehen. Zwischen 1933 und 1945 wurden 39.006 Deutsche ausgebürgert, indem ihr Name auf einer im Reichsanzeiger veröffentlichten Ausbürgerungsliste erschien. Rechtsgrundlagen waren insbesondere das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit von 1933 und die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz 1941.
Es traf zunächst Intellektuelle, Kommunisten und Regimegegner, später alle deutschen Juden, die ins Ausland geflüchtet waren. Wer keinen anderen Pass besaß, wurde staatenlos. Das gesamte Vermögen der Ausgebürgerten fiel an das Deutsche Reich.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen bezeichnete die politische Theoretikerin Hannah Arendt – selbst 1937 ausgebürgert –die Staatsangehörigkeit als "Recht, Rechte zu haben". In ihrem 1949 erschienenen Aufsatz "Das einzige Menschenrecht" entwirft sie die Idee eines Rechts jedes Menschen "auf Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen". Ohne dieses Recht sei kein anderes Recht realisierbar.
Staatsangehörigkeit heißt verlässlich dazugehören
Bis heute steht der Artikel 16 GG unverändert im GG - und führte zu einigen dogmatischen Verrenkungen, denn im darauffolgenden Satz heißt es: "Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird."
Der Widerspruch zwischen Satz 1 und Satz 2 wird damit aufgelöst, dass zwischen "Entzug" und "Verlust" der Staatsangehörigkeit unterschieden wird – auch einem IS-Kämpfer kann man also die Staatsangehörigkeit juristisch gesehen nicht "entziehen", er kann sie aber gegen seinen Willen "verlieren".
Dabei kommt es nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) insbesondere darauf an, ob die "Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit" beeinträchtigt wird (Urt. v. 24.05.2006, Az. 2 BvR 669/04). Eine solche Beeinträchtigung liege vor allem dann vor, wenn der Betroffene den Verlust der Staatsangehörigkeit nicht in zumutbarer Weise beeinflussen oder vorhersehen kann. Deshalb kann auch die Regelung für IS-Kämpfer nur für die Zukunft gelten. Sie müssen absehen können, dass sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie ins Ausland reisen und dort für eine Terrormiliz kämpfen.
Loyalität zu den Werten Deutschlands
Die Bundesregierung erhofft sich von der Reform eine abschreckende Wirkung auf etwaige Terroristen. So hieß es aus dem Bundesinnenministerium, es sei "schon ein Signal, dass nunmehr über Strafbarkeitsregelungen hinaus auch der Verlust der Staatsangehörigkeit droht, wenn man sich einer Terrormiliz anschließt". Ob sich ein IS-Kämpfer von seinem Vorhaben abbringen lässt, weil ihm der Verlust der Staatsangehörigkeit droht, ist zwar unklar und wie sinnvoll die Ausbürgerung ist, bleibt bei Politikern und Experten umstritten. Problematisch ist die Regelung aber vor allem deshalb, weil sie das Staatsangehörigkeitsrecht wieder zu einem Instrument machen könnte., das gegen politische Gegner eingesetzt wird.
Wer im Ausland für eine Terrormiliz kämpfe, bringe zum Ausdruck, dass er sich von Deutschland und seinen grundlegenden Werte ab- und einer anderen ausländischen Macht in Gestalt einer Terrormiliz zugewandt habe, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Damit hat das Argument, es komme auf die Loyalität zu grundlegenden Werten Deutschlands an, in die Debatte Einzug gehalten. Hat der Verlust der Staatsangehörigkeit damit auch Strafcharakter?
Falsche Angaben bei der Einbürgerung
Es ist jedenfalls bezeichnend, dass schon in den Beratungen im Parlamentarischen Rat 1948/49 der Fall diskutiert wurde, dass eine Betätigung in ausländischen Diensten die Treuepflicht verletzen könnte. Einer der Abgeordneten gab zu bedenken, dass "ein irgendwann etwa heraufziehender neuer Nationalismus schon eine Propaganda für internationale Verständigung als Im-Dienst-Stehen beim Feind betrachten könne", darauf wies das BVerfG noch in seiner Entscheidung 2006 hin.
Damals ging es allerdings um eine ganz andere Frage: Die Karlsruher Richter hatten zu entscheiden, ob eine Einbürgerung zurückgenommen werden darf, wenn jemand im Einbürgerungsverfahren falsche Angaben zu seiner Herkunft gemacht hat. Der Zweite Senat hielt das für zulässig, Art. 16 Abs. 1 GG schließe die Rücknahme einer "erschlichenen" Einbürgerung nicht aus.
Auch dieses Thema kam aktuell wieder im Kabinett auf den Tisch: Das Innenministerium will die Frist zur Rücknahme einer Einbürgerung auf zehn Jahre ausweiten. Seehofer verspricht sich davon eine abschreckende Wirkung auf Identitätstäuscher. Außerdem sollen Ausländer, die nach ausländischem Recht mehrfach verheiratet sind, grundsätzlich nicht mehr eingebürgert werden – mit diesem Vorschlag reagiert Seehofer auf einen Fall aus Baden-Württemberg. Doch auch bei diesem Thema ist eine schnelle Einigung nicht in Sicht. Voraussichtlich wird das Innenministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf erst nach der Sommerpause vorlegen.
Klar ist, das Staatsangehörigkeitsrecht taugt nur bedingt als migrationspolitisches Instrument. Das BVerfG hat jedenfalls in seiner Entscheidung von 2006 eine – wenn auch recht abstrakte – Grenze gezogen: Die Staatsangehörigkeit dürfe nicht in "ein Mittel der Ausgrenzung statt der Integration" verkehrt werden.
70 Jahre GG – Schutz der Staatsangehörigkeit, Art. 16 GG: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35245 (abgerufen am: 04.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag