Der gelernte Jurist und mehrere Jahre als Rechtsanwalt tätige bayerische Schriftsteller Ludwig Thoma übte nicht nur im Simplicissimus beißende Kritik an Gesellschaft, Kirche und Staat. Seine bayerische Version der Weihnachtsgeschichte prangert die Kluft zwischen Armen und Reichen an – und ist damit knapp 100 Jahre nach ihrer Entstehung aktueller denn je. Nachdenkliches von Herbert Grziwotz.
Es begab sich zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging … Mit diesen Worten beginnt das Weihnachtsevangelium nach Lukas. Der gelernte Jurist Ludwig Thoma verlegte die Weihnachtsgeschichte von Nazareth und Bethlehem in Judäa in das verschneite bayerische Alpenland. Aus den elf Sätzen des Lukas-Evangeliums dichtete er sechs Hauptstücke und fünf Zwischengesänge.
Im Original ist die etwas andere Weihnachtslegende für Nichtbayern kaum verständlich. Ihre hochdeutsche Übersetzung von Enrico de Paruta aber ist mittlerweile weit über die Grenzen des Freistaats hinaus bekannt. Mit der Kluft zwischen Arm und Reich behandelt sie ein Sujet, das in Zeiten der Wirtschaftskrise, des Zerfalls der Mittelschicht und der steigenden Altersarmut brisanter ist denn je. Dabei ist ihr Autor durchaus ein umstrittener Jurist.
Ein Jurist zwischen Gesellschaftskritik und Volksverhetzung
Ludwig Thoma, Chefredakteur der Satirischen Wochenzeitschrift Simplicissimus, für die er unter den Pseudonymen Peter Schlamminger und Peter Schlemihl schrieb, und Freund von Hermann Hesse, mit dem er gemeinsam eine Zeitschrift herausgab, war zunächst ein Linksliberaler.
Er ließ keine Gelegenheit aus, Scheinheiligkeit in Staat, Gesellschaft und Kirche zu kritisieren. Seine Beleidigung der Mitglieder eines Sittlichkeitsvereins durch das Gedicht "An die Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine" brachte ihm sogar sechs Wochen Haft im Münchner Gefängnis Stadelheim ein. Zwei Jahre darauf rächte Thoma sich mit seinem Lustspiel "Moral", in dem er die Doppelmoral der Repräsentanten derartiger Vereine geißelte. Bekannt ist aus diesem Stück vor allem die dem Vorsitzenden des Sittlichkeitsvereins in den Mund gelegte Feststellung: "Herr Assessor, wenn in der Ehe die Lügen aufhören, dann geht sie auseinander."
Er liebte eine Jüdin und war ein Feind der Juden
Die große Liebe seines Lebens war die aus einer jüdischen Familie stammende siebzehn Jahre jüngere Maidi Liebermann von Wahlendorf, Frau eines jüdischen Berliner Kaufmanns.
Gleichwohl veröffentlichte der Jurist, der mehrere Jahre als Anwalt in Dachau tätig war, in den letzten Monaten seines Lebens antijüdische Artikel. Er unterscheidet sich darin beispielsweise nicht von seinem Schriftstellerkollegen Theodor Fontane. Den ihm übersandten Aufnahmeantrag für eine Mitgliedschaft in der NSDAP füllte Thoma aber nicht aus.
In der Weimarer Republik war die Judenfeindlichkeit stark verwurzelt. Der Schriftsteller war ein Kind dieser Zeit. Den "Fall Thoma" nahmen sowohl der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident und Bundespräsident Roman Herzog als auch der sozialdemokratische Münchener Oberbürgermeister Christian Ude zum Anlass, die Deutschen aufzurufen, von ihrer Heldenverehrung herunter zu kommen, der positiven wie der negativen. Die Erkenntnis, dass Menschen, sogar man selbst, Fehler haben, sollte sich stattdessen wieder durchsetzen.
Der Reiche ist "mit sich selbst schon gestraft"
Die "Heilige Nacht", in der er die beschwerliche Wanderung von Maria und Josef, ihre Herbergssuche, die Geburt Christi und die Anbetung der Hirten schildert, hat Thoma noch in seiner liberalen Phase geschrieben.
Er spricht darin ein modernes, soziales Thema an. Die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche beginnt bereits mit dem Fuhrmann, der Maria und Josef auf der beschwerlichen Wanderung nicht auf seinem Schlitten mitfahren lässt. Nach Thoma ist der reiche Unternehmer "mit sich selbst schon gestraft".
Dagegen zögert der einfache Handwerksbursche, der keine Papiere und deshalb mit der Polizei ständig Probleme hat, keinen Moment mit seiner Hilfe. In Bethlehem sind es wieder die reichen Wirtsleute, die das junge Paar nicht aufnehmen. Aber auch deren Knechte haben eine Freude daran, noch ärmere und vermeintlich unter ihnen stehende Leute grob zu behandeln.
Selbst Verwandte vergessen über ihrer Gier die Menschlichkeit. So wollen Josefs Cousine und ihr Mann Menschen, die selbst nichts haben und nichts mitbringen, sondern nur nehmen , nicht unter ihrem Dach haben. Und Josef hadert mit seinem Schicksal: "Wer arm ist, muss alles ertragen – und alles darf mit ihm gescheh´n!"
Das Wunder von Betlehem ganz ohne Juristen
Sowohl die Geburt im armseligen Stall als auch der Umstand, dass es die Hirten waren, die den neugeborenen Heiland zuerst sahen, zeigen die Verbindung des Ereignisses zu den einfachen Menschen.
Die Hüter der Schafe lebten außerhalb der städtischen Gesellschaft bei ihren Herden, oft hatten sie keinen Wohnsitz. Ochs und Esel, die wohl durch die so genannten apokryphen Evangelien in die Weihnachtsgeschichte und die Krippe kamen, sind Arbeitstiere. Wie die einfachen Menschen mussten sie schuften und wurden ausgenutzt, ohne sich zu beschweren oder mit der Obrigkeit anzulegen. Oder wie dies Josef bereits am Anfang des Textes von Thoma sagt: "Mit dem Staat legt sich keiner an."
Juristen jedenfalls haben das Wunder nicht miterlebt, das sich im Stall von Bethlehem ereignete – ebenso wenig wie Politiker, Manager oder Banker.
Der umstrittene Jurist Thoma schließt sein Gedicht von der Heiligen Nacht fast zweitausend Jahre später mit dem Appell: "Geht ihr in die Christmette, dann denkt über die Geschichte nach und fragt euch, ob es nichts bedeutet, dass nur Arme das Christkind gesehen haben." Mitunter wird die Lesung der Heiligen Nacht Nacht mit dem Zitat von Horaz beendet: "Vielleicht müssen wir alle ein wenig ärmer werden, um wieder reicher zu werden."
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Historiker und Jurist, Regen.
Herbert Grziwotz, Weihnachtsgeschichte eines umstrittenen Juristen: . In: Legal Tribune Online, 24.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7856 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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