Weltweit seien für den Weihnachtsmann die Corona-Regeln gelockert worden, verkündete die WHO. Wie viel Spielraum die Verordnungen ihm hierzulande lassen, untersuchen Andreas Zöllner und Hendrik Schwager.
Bis zuletzt stritten Merkel, Söder & Co. heftig über Lockdown, Reisebestimmungen und Besuchsregeln zu den Feiertagen. Unterdessen droht eine entscheidende Frage unterzugehen, die vor allem die jüngsten Bürger mit jedem der 24 Türchen, die sie dieser Tage öffnen, mehr und mehr umtreibt: Kommt trotz Pandemie an Heiligabend eigentlich der Weihnachtsmann?
Während im Bundestag schon Ende November von einer Weihnachtszeit "ohne Besuch vom Nikolaus" die Rede war, verlautbarte in Großbritannien Premierminister Johnson, dass vom Weihnachtsmann keine gesundheitliche Gefahr ausgehe. Ein US-Immunologe, der das Weiße Haus berät, und nun selbst die WHO sprechen gar von einer Immunität des Weihnachtsmanns gegen COVID-19. Wissenschaftliche Evidenzen? Jeweils Fehlanzeige! Und so klingen diese Aussagen nach allzu bekannten Beschwichtigungen von Ländern und Institutionen, die bei der Krisenbewältigung bislang eine ähnlich gute Figur gemacht haben wie der Weihnachtsmann beim Kardiologen.
Auch Santa Claus wird sich darüber im Klaren sein, dass er zu den sogenannten vulnerablen Gruppen gehört: männlich, alt, übergewichtig. Hinzu kommt das unübersehbare Potenzial, aufgrund seiner millionenfachen Kontakte zum Superspreader zu werden.
Macht zu die Tür, die Tor macht dicht?
Doch abseits gesundheitlicher Bedenken stellt sich bei der Lektüre der aktuellen Corona-Verordnungen zunächst die rechtliche Frage: Darf der Weihnachtsmann überhaupt einreisen?
Nachdem der gütige Gabenbringer in seiner Heimat, dem finnisch-lappländischen Rovaniemi, gestartet ist und sich durch das Baltikum und Polen gearbeitet hat, wird er am Nachmittag des 24. Dezember in Mecklenburg-Vorpommern einfliegen. Aber schon dort könnte seine Reise in diesem Jahr jäh unterbrochen werden: § 1 Abs. 1 der 2. SARS-CoV-2-QuarV (MV) verpflichtet bei Einreise aus Risikogebieten grundsätzlich zur sofortigen Absonderung. Allerdings lassen die umfangreichen Ausnahmen in § 2 hoffen: Zwar ist der weihnachtliche Bescherungsmarathon schwerlich eine Durchreise "auf dem schnellsten Weg" (Abs. 1). Doch als jemand, der "beruflich bedingt grenzüberschreitend […] Waren" transportiert, kann sich der Geschenkelieferant auf das Privileg des Abs. 2 Nr. 1 berufen – vorausgesetzt, man sieht seinen Schlitten als "Flugzeug" im Sinne der Vorschrift an.
Nahezu wortgleiche Ausnahmen finden sich in den übrigen Landesbestimmungen, denn diese decken sich weitestgehend mit der Muster-Quarantäneverordnung der Bundesregierung. "Hosianna!", schallt es also nicht nur in Rostock, sondern ebenso in Remscheid und Ratzeburg. Ja, selbst im bayerischen Rosenheim, wo mit dem Rentiergespann nicht vor 21 Uhr zu rechnen ist, ist der weihnachtliche Streifzug trotz Ausgangssperre erlaubt, dient er doch zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit.
Lasst mich rein, ihr Kinder – oder lieber nicht?
Doch sobald der Weihnachtsmann aus dem Schlitten in den Schornstein hüpft, droht der Verordnungen nächster bannender Zauber: die Kontaktbeschränkung, die vielerorts das Würstchen-mit-Kartoffelsalat-Essen im Kreise der Lieben personell ausdünnt. Private Treffen nur mit einem weiteren Haushalt bei insgesamt höchstens fünf Personen – so der von Bund und Ländern beschlossene Grundsatz, der seit dem 16. Dezember praktisch deutschlandweit gilt.
Wenn sich also neben den Eltern auch Oma und Opa um den Weihnachtsbaum versammeln, wird es für Großonkel Karl schon eng – vom Weihnachtsmann ganz zu schweigen. Denn auch die moderaten Feiertagslockerungen helfen beiden nicht weiter, gelten sie doch in den meisten Ländern nur für Verwandte in gerader Linie samt Anhang.
Für einen regelkonformen Weihnachtsmannbesuch böte es sich daher an, etwaige Gäste auf einen kurzen Spaziergang zu schicken, wenn es im Kamin zu rumpeln beginnt. Vielerorts wäre das nicht einmal neu: Dass Opa Wilhelm ausgerechnet während der Bescherung gerade einen ausgiebigen Toilettengang unternimmt oder "kurz Beine vertreten" ist, soll in mancher Familie schon seit Jahren tragischer Zufall sein.
Doch trotz des bundesweit prekären Infektionsgeschehens reicht noch immer nicht jede Landesverordnung bis ins weihnachtliche Wohnzimmer. So beschränkt sich etwa Rheinland-Pfalz in § 1 Abs. 1 S. 2 seiner 14. CoBeLVO auf den Appell, auch private Zusammenkünfte "sollen" mit nur einem weiteren Haushalt und maximal fünf Personen abgehalten werden. Hessen belässt es ebenfalls bei einer "dringenden Empfehlung" (§ 1 Abs. 4 CoronaVKBBeschrV). Rein rechtlich hätte der Weihnachtsmann also freie Bahn zwischen Mosel, Rhein und Werra, auch ohne dass sich Oma Inge zuvor auf ihren Rollator wuchten muss.
Von drauß‘ vom Hotspot komm ich her
Spätestens dieser Befund könnte freilich schon vor dem Gänsebraten für Magengrummeln sorgen: Sinn und Zweck aller Restriktionen ist doch gerade die Kontaktvermeidung. Und nun soll der Weihnachtsmann als inkarniertes Gegenbeispiel völlig rechtmäßig von Tür zu Tür frohlocken dürfen, millionenfach an einem Abend – muss hier statt der Rute nicht die teleologische Keule geschwungen werden, getreu dem alten Rechtssatz "Es kann nicht sein, was nicht sein darf"? Ist der Verordnungsgeber womöglich verpflichtet, den Besuch des besonders kontaktfreudigen Rentierkutschers ausdrücklich zu verbieten, um ein drohendes Superspreading-Event abzuwenden?
Aus medizinischer Sicht erscheint das nicht unbedingt erforderlich: Da die Inkubationszeit jedenfalls mehr als einen Tag beträgt, ist nicht zu befürchten, dass der Weihnachtsmann sich das Virus an Heiligabend aufhalst und dann von Haus zu Haus trägt. Testet er sich vor dem Abflug am Polarkreis frei – worauf man angesichts der dortigen Inzidenzrate von aktuell 35,9 pro 100.000 Einwohner wohl hoffen darf –, steht einer Bescherung in Deutschland nichts entgegen. Und weil sich Santa Claus nach getaner Arbeit ohnehin alljährlich für 364 Tage in häusliche Absonderung begibt, hat auch die lappische Bevölkerung nichts zu befürchten. Bleibt nur zu hoffen, dass auf sein eigenes Immunsystem weiter Verlass ist, damit die Welt nächstes Jahr nicht endgültig ohne Weihnachtsmann dasteht.
"Ihr Kinderlein kommet" statt "Wir bleiben zu Hause"
Doch warum eigentlich den Berg zum Propheten tragen, wenn die Regelungen einiger Länder eine viel effizientere Abwicklung der Bescherung zulassen? Beispiel: Hamburg. Zwar gelten auch hier die bekannten Einschränkungen für Zusammenkünfte. Kinder unter zwölf Jahren – also just die Zielgruppe des Weihnachtsmannes – dürfen sich allerdings ungeachtet der Haushaltszugehörigkeit in Gruppen bis zu zehn Personen treffen (§ 4a Abs. 2 SARS-CoV-2-EindämmungsVO). Der großzügige Pelzträger kann sich somit einfach an einem zentralen Ort mit seinem schweren Geschenkesack niederlassen, an dem er die Hamburger Jungs und Deerns gruppenweise zur Bescherung empfängt – und dabei hat er offensichtlich den Segen aus dem Rathaus: Zusammenkünfte seien "zum Beispiel mit bis zu neun Kindern unter zwölf Jahren (aus bis zu neun unterschiedlichen Haushalten) und einer erwachsenen Person" möglich, erläutert die Senatskanzlei. Welch frohe Botschaft! Das kann ja nur die von der WHO versprochene Ausnahmeregelung für den Weihnachtsmann sein.
Eine ähnliche lex santa haben auch andere Landesfürsten in ihren Verordnungen verankert. In Niedersachsen gilt nicht einmal die Obergrenze von zehn Kindern (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 Nds. CoronaVO) und auch in Brandenburg ist es Untervierzehnjährigen während der Feiertage möglich, sich in unbegrenzter Zahl – ohne Rücksicht auf eine Haushaltszugehörigkeit – zu treffen, da sie bei der Berechnung der Personenobergrenze nicht mitgezählt werden (§ 7 Abs. 5 der 3. SARS-CoV-2-EindV).
Kämen in diesen Ländern also Mädchen und Jungen einer Gemeinde einfach an einem Ort zur Bescherung zusammen, wäre das nicht nur zeitsparend, sondern auch verordnungskonform. Geeignete Räumlichkeiten dafür dürften sich in Altona genauso wie im Emsland und Spreewald finden lassen – stehen doch bundesweit seit 16. Dezember ohnehin Schul- und Kitagebäude leer. Um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten, böte es sich an, die Kinder altersgestaffelt aufzuteilen – bei Bedarf in A-, B-, C-Gruppen. Erwiese sich das Konzept als erfolgreich, könnte es sogar wegweisend für die künftige pädagogische Tagesbetreuung von Kindern nach den Weihnachtsferien sein.
AHA statt Ho ho ho!
So oder so, für die Elfen heißt es nun: Zeit, den Schlitten zu beladen! Neben Rute und Geschenken sollten dieses Jahr auch genug FFP2-Masken an Bord sein. Denn die Beschlüsse der Regierungschefs sehen vor, dass in Arbeits- und Betriebsstätten ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen ist. Eine Ausnahme gilt nur am Platz, sofern ein Abstand von 1,5 Meter zu weiteren Personen sicher eingehalten werden kann. Im Sinne eines effektiven Infektionsschutzes wird man die Begriffe "Arbeits- und Betriebsstätte" weit auslegen müssen. Ganz gleich ob nun im heimischen Wohnzimmer oder an einem zentralen Bescherplatz: Die Orte, an denen die liebe Lea oder der lammfromme Lennart ungeduldig auf ihre Geschenke warten, gelten für den Weihnachtsmann als Arbeitsstätte.
Insoweit könnte er einer Maskenpflicht allenfalls durch Wahrung des Mindestabstands entkommen. Naseweise und Schelmenpack kann sich der Weihnachtsmann vielleicht noch mithilfe seiner Rute anderthalb Meter vom Hals halten. Doch wird er es sich nicht nehmen lassen, zumindest die braven, artigen Kinderlein auch weiterhin auf seinen Schoß zu bitten. Hierbei muss der alte Herr bei aller Kurzatmigkeit, die das Schleppen des schweren Geschenkesacks mit sich bringt, einen Schnutendeckel tragen.
Taugt der Bart als Mund-Nasen-Schutz?
Freilich hat sich der mildtätige Mann aus dem hohen Norden bislang noch nicht als Maskenmuffel geoutet. Dennoch könnte er auf die Idee kommen, bereits von Natur aus mit einem Mund-Nasen-Schutz aus dichtem weißem Barthaar gesegnet zu sein. Doch was spröde Gesichtshaut vor der Eiseskälte am Nordpol schützt, ist längst nicht geeignet, die Ausbreitung virulenter Aerosole zu verhindern. Laut VG Düsseldorf muss eine Mund-Nasen-Bedeckung „durch die Dichtigkeit des textilen Stoffes eine Filterwirkung hinsichtlich feiner Tröpfchen und Partikel bewirken“, was der Kammer zufolge bei einer Maske aus Mückenschutzstoff nicht der Fall sei.
Entsprechend wird selbst ein dicht toupierter Rauschebart nicht genügen, um die Verbreitung infektiöser Tröpfchen aufzuhalten. Im Gegenteil: Dichtes Barthaar könnte Viren sogar ein gemütliches Zuhause bieten. Zudem erschwert der lange Gesichtsflokati das fachgerechte Tragen einer Maske und kann deren Schutzfaktor minimieren. Zu einer Glattrasur wird man den Weihnachtsmann, für den das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gleichermaßen gilt, zwar nicht zwingen können. Die behördliche Hygieneauflage, bei der Bescherung ein Bart-Netz unter der Maske zu tragen, könnte sich indes als verhältnismäßig erweisen.
Die GQ möchte ohnehin mit der Maskenpflicht auch das Ende der Bart-Ära einläuten und rät dem Mann von Welt allenfalls einen mundschutzkompatiblen Zorro- oder Walross-Schnurrbart. Ob die Maskenpflicht die Bart-Mode also nicht nur im hippen Berlin-Mitte, sondern sogar bei alten weißbärtigen Männern am Nordpol nachhaltig ändern wird?
Santa 4.0: Zoom-Konferenz mit dem Weihnachtsmann
Selbst bei strengster Einhaltung aller Regeln: Der sicherste Weg wäre gewiss, den physischen Kontakt zwischen Weihnachtsmann und Kindern gänzlich zu vermeiden. Digitale Bescherungskonzepte könnten auch hier das Mittel der Wahl sein. Geschenkewünsche aus Großbritannien nimmt der gutherzige Silver Surfer bereits per Zoom-Konferenz im heimischen Ohrensessel entgegen. Das dürfte nun auch dem letzten Kind das ausschlaggebende Argument dafür liefern, warum das neue iPad zu Recht ganz oben auf dem Wunschzettel steht.
Der Weihnachtsmann könnte so gefahrlos alle Kinderwünsche einsammeln und wäre selbst vor Schmierinfektionen sicher, die in angeschlabberten Briefumschlägen lauern. Die Verteilung von Muh und Mäh und Täterätätä ließe sich dann auch hierzulande nach britischer Manier umsetzen: Die guten Gaben werden in der Heiligen Nacht einfach in den Schornstein der kleinen Frida oder des lütten Hanno geworfen.
Doch wieder droht der Datenschutz dem Fortschritt in den Arm zu fallen. Bekanntlich wird der rundliche Rauschebart nicht nur versuchen, die Wünsche aus den erwartungsvollen Kinderaugen, die auf seinem Tablet aufblitzen, abzulesen. Auch im Homeoffice wird es sich der Rentierzüchter aus Rovaniemi nicht nehmen lassen, die Betragensfrage zu stellen, um seine berühmte Artig-oder-Unartig-Liste zu führen.
Die automatisierte Verarbeitung solch sensibler Daten bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung der gesetzlichen Vertreter – zumal es sich bei der Verhaltensentwicklung eines Kindes um ein Gesundheitsdatum handelt (Art. 9 Abs. 1 DSGVO). Ohne elterliches Einverständnis wird sich der Weihnachtsmann gewiss hüten, selbst mit den allerliebsten Kinderlein ins digitale Gespräch zu kommen, möchte er sich doch nicht der Gefahr ansonsten drohender Schadensersatzansprüche aussetzen.
Lasst uns froh und munter sein!
Corona hin, Beschränkungen her: Die Lichtgestalt der Liebe und Güte wird gewiss keine Mühen scheuen, die in diesem Jahr besonders sehnsüchtigen Herzen zu erwärmen – wenn dazu Abstand, Maske oder Datenschutzeinwilligung nötig sind, nimmt der Weihnachtsmann das gern in Kauf.
Wer, wenn nicht er, findet einen vorschriftskonformen Weg, die Kinderaugen im ganzen Land zum Leuchten zu bringen? Und so macht er uns Mut, dass trotz allem ein wunderbares Weihnachtsfest möglich ist – fürchtet euch nicht!
Andreas Zöllner und Hendrik Schwager sind Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg bei der Professur für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Zum Forschungsschwerpunkt des Autors Andreas Zöllner zählen bereits seit Jahren Rechtsfragen rund um die Tätigkeit des Weihnachtsmannes.
Der Weihnachtsmann und die Corona-Regeln: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43819 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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