Es kam alles zugleich: Vereinigung und Reform von Obrigkeiten, mal abgestandenes Recht, mal ganz frische Modernität – ein Blick ins preußische Verwaltungsblatt des Jahres 1821 fördert Vertrautes und Verblüffendes ans Licht.
Ein König, der souverän sein soll, hat es nicht leicht: Wann ist etwa eine Sache zu banal, um sie selbst zu regeln?
Zu den relativ wenigen Fragen, die Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), der seit 1797 als König von Preußen diente, selbst klärte, gehörte es, durch "Allerhöchste Kabinets-Ordre" vom 3. April 1821 seinem Innenministerium sowie sämtlichen Oberpräsidenten in den Provinzen mitzuteilen, dass die Behörden bei der Zensur von Druckschriften und öffentlichen Blättern künftig darauf achten sollten, dass es "evangelisch, statt protestantisch – Evangelische, statt Protestanten" heißen müsse.
Der theologisch korrekte Sprachgebrauch sei durchzusetzen, "weil eben dadurch der alte unpassende Name nach und nach verschwinden wird" wie es in den "Annalen der preußischen innern Staats-Verwaltung" heißt (Bd. 5 II, S. 341–342).
Unsittliche Unterhaltung gefährlicher als politische Propaganda?
Zu den Dingen, die auch historisch weniger Interessierte zum 19. Jahrhundert im Gedächtnis behalten, gehört vielleicht die Gründung des ersten Bundesamts für Verfassungsschutz – der Mainzer Zentraluntersuchungskommission, die nach den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819 für 30 Jahre die Überwachung zunächst vor allem deutschnationaler oder radikalliberaler Umtriebe im Deutschen Bund koordinierte.
Zwei Jahre nach den Beschlüssen findet sich in den "Annalen" wenig, das den Ruf Preußens rechtfertigen würde, die Karlsbader Beschlüsse in besonders reaktionärer Weise durchgesetzt zu haben.
Neben der eher niedlichen Idee des Königs, mit den Mitteln der Pressezensur für die Protestantinnen und -tanten seines Reichs eine theologisch zutreffendere Bezeichnung durchzusetzen, wies etwa der preußische Innen- und Polizeiminister Friedrich von Schuckmann (1755–1834) den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg am 7. April 1821 an, den Verkauf von "gedruckten Liedern und Pamphlets" zu verbieten, die keinen Stempel der Zensur trügen, um insbesondere dem Schwarzhandel mit Liedern "von durchaus schmutzigem, unsittlichem und die Moralität des gemeinen Mannes verderbenden Inhalts" gegenzusteuern (Bd. 5 II, S. 385).
Reformen im noch nicht eingerichteten, aber ausgeübten Staatsbetrieb
Der Blick in die rund 1.000 Seiten der Verwaltungsmitteilungen des preußischen Staats im Jahr 1821 kann die Rechtserkenntnis ein wenig verwirren.
Denn in einer Epoche ohne freie Advokatur und Publizistik sprach der Staat zum Rechtssubjekt nicht unbedingt durch das veröffentlichte Gesetz. Mit sogenannten Reskripten – Texten zwischen vorbildlichem Verwaltungsakt und moderner Rechtsverordnung – kam das Recht oft nur in der Behördensprache der regionalen Regierungspräsidien zum Untertan. Ein Beispiel für die Freunde des gepflegten Kettensatzes:
"Das allgemeine Polizei-Departement kann mit der von der Polizei-Deputation der Königl. Regierung zu Liegnitz in Ihrem Bericht vom 13. d. M. aufgestellten Ansicht rücksichtlich der Unterstützung und Verpflegung der Soldaten-Wittwen und deren Kinder, nicht einig sein und am wenigsten die Verfassung, daß bei der Bestimmung der Ortsgemeinde, der die Verpflichtung zur Unterstützung oder Ernährung verarmter Soldaten-Familien obliegen soll, auf Geburts- und Herkommen Verhältnisse zurückgegangen werden solle, die durch vielfache dazwischen liegende Verhältnisse seit Jahren gänzlich aufgelöset waren, durch neue Gesetzgebung befestigen wollen."
Kurz gesagt: Im brandenburgischen Potsdam hatte man wissen wollen, ob für verarmte Witwen und Waisen von Soldaten die Wohnort- oder die Herkunftsgemeinden aufkommen sollten – eine bis ins 20. Jahrhundert zentrale Frage des deutschen Sozialhilferechts –, weil man sich im schlesischen Liegnitz insoweit auf eine künftige gesamtpreußische Regelung herausreden wollte. Das Ministerium in Berlin stellte erst nach dieser tadelnden Erörterung der schlesischen Fehlvorstellungen klar, wie mit den verarmten Militärfamilien umzugehen sei – immerhin ordnete man eine Abwälzung der Kosten von den Wohnorten auf die heute sogenannten überörtlichen Träger der Sozialhilfe ab, die "Provinzial-Armen-Anstalten" (Bd. 5 IV, S. 922).
Diese Art der Kommunikation zwischen der Berliner Zentrale und den Regierungspräsidenten erklärt sich aus dem Zustand des preußischen Staates: Nach dem Wiener Kongress waren 1815 Teile von Sachsen, Westfalen und das Rheinland neu dazugekommen. Alte Strukturen aus dem 1806 beendeten Heiligen Römischen Reich ließen sich schon deshalb nicht ungehemmt zur Verwaltungsvereinfachung auflösen, weil sie noch mit hohen Schulden aus den Kriegen mit und gegen Frankreich belastet waren.
Beim Historiker Reinhart Koselleck (1923–2006) findet sich der Hinweis, dass sich in dieser Situation mancher neue, regional zuständige preußische Verwaltungschef gewissermaßen als Sprachrohr der politischen Interessen und seine Behörde als hinreichendes Instrument des vernunftgeleiteten Staatsfortschritts verstand.
Mit ihnen kommunizierte das Berliner Ministerium im Verwaltungsblatt gleichsam durch die Blume von Kontroversen im Kettensatz. Liberalen oder deutschnationalen Hitzköpfen ging diese Form von Modernität nicht schnell genug.
Ein Teil vom schlechten Ruf des "reaktionären" Preußen rührt wohl auch daher, dass diese Hitzköpfe später als Professoren seine Geschichte schrieben. Inzwischen wird das meist nur als anachronistische Klage über ein angebliches Demokratiedefizit vermittelt. Dass sich der aufgeklärte Beamte selbst als optimaler Repräsentant der Gesellschaft verstand, ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen.
Vertrautes und Überraschendes – Fuhrleute und Hilfspflichten
Nicht schwer nachzuvollziehen ist hingegen z. B. die "Verordnung des Köngl. Polizei-Präsidiums zu Cölln über das Verhalten der Fuhrleute, Päckchenträger und Karrenschieber auf den Werken am Rhein bei Cölln und Deutz" vom 18. März 1821.
Für Transporte von und zu den Häfen von Deutz und Köln waren grundsätzlich alle Fuhrleute zugelassen, die das 18. Lebensjahr vollendet und einen verkehrssicheren Karren – geprüft von einer Kommission aus Polizisten und Wagenbauern – nutzten. Um einen Wettbewerb zu verhindern, der den Straßenverkehr gefährden würde, waren Aufträge grundsätzlich der Reihenfolge nach abzuarbeiten. Damit das auch kontrolliert werden konnte, schrieb § 6 vor: "Karren ohne die vorgeschriebene Nummer und wenn selbst diese Nummer auf dem Hut oder der Kappe der Führer vermißt würde, werden zum Laden nicht zugelassen. Die Krahnenmeister und Lagerhausbestatter haben darauf sorgsam zu wachen" (Bd. 5, I, S. 51).
Zur Umsetzung von § 476 II 2 Allgemeines Landrecht (ALR), wurden die regionalen Behörden sehr detailliert angeleitet. Die Vorschrift gab an, dass die Polizeibehörden nähere "Bestimmungen wegen der zur Verhütung des Lebendigbegrabens nöthigen Vorsichten" treffen würden.
Die Königliche Regierung im ostwestfälischen Minden gab am 24. April 1821 u. a. vor, dass die Familie, Pfarrer und Totengräber, aber auch der Vermieter dafür sorgen müssten, dass eine Leiche in der Regel erst nach Ablauf "voller 3 Tage oder 72 Stunden" beerdigt wird.
Zur "Vermeidung des Lebendigbegrabens" machten die Behörden vielerorts eine Instruktion über "die wahren Kennzeichen des wirklichen Todes" bekannt. Eine Kostprobe: "Es wird also angenommen, ein Mensch sey todt, wenn er ohne Athem zu holen und ohne Pulsschlag liegt. Mit dem Umlauf des Bluts, dessen Zeichen der Pulsschlag ist, steht die Wärme in genauer Verbindung. Hört der Pulsschlag auf, so verliert sich die Wärme des Körpers" (Bd. 5 II, S. 415).
Um Gewissheit zu gewinnen, waren jedoch die 72 Stunden abzuwarten, denn: "Das einzig für sich sichere Zeichen ist aber nur die eintretende Fäulniß, die sich am ganzen Körper äußert." Wie diese sich wiederum zu erkennen gebe, wurde in jedem anrüchigen Detail dargestellt (Bd. 5 II, S. 416).
Pflicht zum Helfen? – Nur durch staatlichen Befehl
Eine Anweisung aus Berlin zur "Behandlung und Rettung der Scheintodten oder durch Zufälle verunglückter Personen" setzte die Königliche Regierung im niederrheinischen Cleve am 27. Juni 1821 um. Zur gebotenen Hilfeleistung heißt es:
"Ein jeder ohne Ausnahme des Standes, der solche todtscheinende Körper antrifft, ist schuldig und gehalten, denselben ohne den mindesten Verzug und ohne daß es in diesen Fällen einer gerichtlichen Aufhebung und Feierlichkeit bedarf, selbst gleich hülfliche Hand zu leisten, oder wenn solches von ihm nicht allein geschehen kann, sich der Hülfe anderer auf das schleunigste herbeizurufender Menschen zu bedienen, und solchergestalt einen Erhängten sogleich loszuschneiden und den Strick oder das Band vom Halse abzulösen, einen im Wasser Ertrunkenen sogleich herauszuziehen, einen auf öffentlichen Landstraßen, anderen Wegen oder in den Waldungen Erfrorenen unverweilt aufzuheben, sodann in den nächsten Ort oder das nächste Haus zu schaffen" (Bd. 5 IV, S. 925).
Neben der Erstattung der Auslagen sollte derjenige, der "einen für ertrunken, erfroren, erstickt oder erdrosselt geachteten Menschen zuerst zu retten sucht", im Erfolgsfall aus der öffentlichen Kasse für "seine Bemühungen eine Gratifikation von fünf Reichsthaler" erhalten, im Todesfall "zwei Reichsthaler zwölf Groschen". Ärzte und paramedizinische Wundärzte erhielten für die bloße Rettung nur zwischen 1 Thaler, 12 Groschen und 4 Thalern (Bd. 5 IV, S. 926), konnten aber etwaige Therapiekosten in Rechnung stellen.
Noch das Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 sah die Sache ähnlich: Nach § 360 Nr. 10 wurde nur bestraft, wer im Rahmen seiner Möglichkeiten und auf behördliche Anweisung nicht zu helfen bereit war. Die heutige Pflicht zur Hilfe auch ohne Anweisung der Polizei, abgeleitet aus dem "gesunden Volksempfinden", erfand erst der nationalsozialistische Gesetzgeber 1935.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Ohligs.
Verwaltungsrecht von 1821: . In: Legal Tribune Online, 21.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46701 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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