2/2: "Sprachmacht ist auch Interessenpolitik"
LTO: Sie nehmen Bezug darauf, dass 18 von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre Sprache bereits durch eine ähnliche Regel mit Verfassungsrang schützten. Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet das Volk der Dichter und Denker einen solchen verfassungsrechtlichen Sprachschutz nicht hat?
Gawlitta: Zunächst war jahrzehntelang der Vorrang der Landessprache unbestritten, so dass niemand einen Anlass für eine Änderung sah. Etwa seit den Achtzigerjahren, als die große Wirtschaft sich rund um den Konsens von Washington weltweit vom Einfluss des Staates freizumachen begann, haben sich einflussreiche Kreise in Wirtschaft, Medien und Politik den Forderungen widersetzt, ihre Sprachmacht durch eine Ergänzung des Grundgesetzes einschränken zu lassen. Ähnlich ist es in Wissenschaft und Forschung gelaufen.
In Deutschland war dieser Widerstand aussichtsreicher als beispielsweise in Frankreich, weil die Ablehnung der deutschen Sprache angesichts der Katastrophe des Dritten Reichs und der neuen sprachlich-kulturellen Situation der Einwanderer breiten Kreisen besonders leicht zu vermitteln war.
Dass hiermit aber zugleich zugunsten einer US-amerikanisch orientierten Wirtschaft und Kultur Interessenpolitik gemacht wurde, ist vielen Bürgern in Deutschland anscheinend nicht aufgegangen. Die Sprachpolitik folgt unmittelbar der Wirtschaftspolitik. Die Heuschrecken fressen nicht nur das Kapital und unsere Steuergelder, sondern auch unsere Wörter.
"Gerichte schreiben manchmal ganz anschaulich"
LTO: Wir von LTO haben uns auf die Fahne geschrieben, das übliche Juristen-Deutsch besser zu machen: Lesbarer, einfacher, schöner. Eine letzte Frage von uns Juristen an Sie als Juristen, Romancier und Schützer guter deutscher Sprache: Wie gut ist das Juristendeutsch? Oder gibt es gar andere Gründe, die es als schützenswert erscheinen lassen?
Gawlitta: Juristendeutsch wird immer dann schwierig, wenn es zu abstrakt ist, etwa bei Normen, oder wenn Verwaltungen Verantwortung verschleiern wollen, zum Beispiel durch Passivkonstruktionen oder ähnliches. Gerichte, die sich stets festlegen müssen, schreiben dagegen manchmal ganz anschaulich, das zeigen auch manche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
Den Kampf um die Verständlichkeit der Rechts- und Verwaltungssprache kann man m.E. nicht grundsätzlich führen, sondern nur vor Ort mit Hilfe guter Führungskräfte auf der Grundlage eines allgemeinen Einverständnisses und passender Vorbilder.
LTO: Herr Dr. Gawlitta, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dr. phil. Kurt Gawlitta ist Mitglied des Vorstands des Vereins Deutsche Sprache e.V. Der Jurist und Erziehungswissenschaftler ist Verfasser von Romanen, Erzählungen und sprachpolitischen Artikeln.
Das Interview führte Pia Lorenz
Pia Lorenz, Sprachfreunde fordern Deutsch im GG: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12208 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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