Unzählige, oft ziemlich alberne Aktionstage zieren den Kalender. Den auch juristischen Abgründen des "Welttags der Jogginghose" am 21. Januar lässt sich aber trotzdem etwas abgewinnen. Von Martin Rath.
Ein Blick in die Datenbank mag zunächst nur die statistische Erkenntnis erhöhen: Im Kampf um richterliche Aufmerksamkeit schlägt die Jogginghose immerhin eines der berüchtigtsten Kleidungsstücke der Gegenwart, den Burkini.
So verzeichnet das Online-Rechtsportal Jurion, das wie LTO zu Wolters Kluwer zählt, über 60 Gerichtsentscheidungen, die mehr oder weniger nah mit der Jogginghose zu tun haben. Der berüchtigte Burkini bringt es dagegen bis jetzt gerade einmal auf acht dokumentierte Fälle.
Terminsache: Der Tag der Jogginghose
Bevor hier auf einige der Jogginghosen-Fälle eingegangen werden soll, zunächst ein Wort der Kritik am sogenannten Internationalen Tag der Jogginghose. Datiert wurde dieser spaßig sein sollende Aktionstag 2009 von einigen jungen Herrschaften aus Österreich für den 21. Januar eines jeden Jahres. Das ist insbesondere für rechtshistorisch bewanderte Menschen ein Ärgernis:
Bekanntlich besetzte und annektierte das revolutionäre Frankreich nach 1794 weite Teile des Rheinlands. Die Redaktion der LTO befindet sich beispielsweise auf dem Gebiet der ehemaligen "Mairie Efferen" des damaligen Arrondissements de Cologne im Département de la Roer. Die Franzosen hinterließen hier nicht nur ihr modernes Zivilrecht, das bis zum 31. Dezember 1899 in Kraft blieb, sondern etablierten in den Jahren bis 1805 auch eine neue Zeitrechnung, den französischen Revolutionskalender (calendrier révolutionnaire français).
Dieser moderne, amtliche Kalender enthielt zwölf Monate zu je 30 Tagen – was der seinerzeitigen Fristberechnung gewiss sehr zugute kam – sowie sechs Übergangstage, die jeweils auf Mitte/Ende September des alten und des heutigen Kalenders fallen: die sogenannten Sansculottiden.
Benannt waren diese nach den Sansculottes, also den revolutionären Bürgern und Arbeitern, die – anders als der in kurzen Hosen, den "culottes", und Seidenstrümpfen lustwandelnde Adel – lange Hosen trugen. Das revolutionäre Bürgertum war mithin modischer Vorreiter der modernen Jogginghose, die Sansculottiden als besondere Feiertage bereits eingerichtet.
Insofern muss rechts- und kalenderhistorisch bewanderten Westdeutschen, deren Vorfahren 1815 ihrer französischen Staatsangehörigkeit und im Jahr 1900 ihres Code Civil beraubt wurden, ein von Österreich aus für den Januar statt für den September proklamierter Jogginghosenfeiertag besonders scheußlich erscheinen.
Symbol fehlender Voraussetzungen von Bürgertum?
Zwar bildet die Frage, welcher Art Hosen man trägt, heute nicht mehr die Grenzlinie zwischen nützlichen Bürgern und nichtsnutzigem Adel – an die Stelle der möglichst viel Bein zeigenden französischen Könige ist, wie die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken erklärt hat, eine entsprechende Damen-Mode getreten.
Doch zwischen Hose und Jogginghose scheidet sich heute womöglich der wirtschaftliche und soziale Status des ökonomisch mehr beziehungsweise weniger nützlichen Menschen. Besonders drastisch illustriert dies das Urteil des Landessozialge-richts (LSG) Baden-Württemberg vom 23. August 2011 (Az. L 13 R 5780):
Ein 1961 geborener Mann, der infolge einer Contergan-Schädigung über stark verkürzte Arme "mit nur drei bzw. vier Fingern und reduzierter Greiffunktion" verfügt, stritt – nach langjährig traurigen Versuchen, beruflich auf die Beine zu kommen, und einer gutachterlichen Stellungnahme, dass ihm "eine Arbeit mit wirtschaftlichem Wert nicht möglich" sei – um eine Rente wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit.
Die im Urteil dokumentierten Feststellungen zur Hosen-Fragen lösen ähnliche Gefühle schmerzhaften Mitleids aus wie ein makabrer Monty-Python-Sketch: Einerseits benötigt der Mann für das Aufsuchen der Toilette eine Hilfsperson, zuhause sind dies seine Ehefrau oder Mutter. "Außerdem sei es ihm dort möglich, eine Jogginghose mit Gummizug zu tragen, der er sich zur Not selbst entledigen könne".
Andererseits paraphrasiert das LSG das vorgängige Sozialgericht Karlsruhe: "Das Tragen einer Jogginghose – derer er sich ggf. selbst entledigen könne – komme wegen der Wahrung des äußeren Erscheinungsbildes bei einer Tätigkeit als Pförtner nicht in Betracht. Es sei vom Kläger nicht zu erwarten, einen Arbeitstag als Pförtner mit einer Dauer von mindestens sechs Stunden ohne Aufsuchen einer Toilette zu bestreiten. Benötige er hierfür aber eine Hilfsperson, so handele es sich um eine Bedingung, die nicht arbeitsmarktüblich sei."
2/2: Jogginghose: Couture des urbanen Ghettos?
In Städten wie Köln, die sich durch ein vergleichsweise hohes Maß an Segregation auszeichnen, also an räumlicher Trennung von reicheren und ärmeren Bevölkerungsgruppen, lässt sich das Tragen von Jogginghosen in der Öffentlichkeit als Ausdrucksmittel des sozialen Status beobachten:
So finden sich ärmere Stadtquartiere, in denen Jogginghosen in der Öffentlichkeit wenn überhaupt nur bei oder auf dem Weg zu sportlichen Aktivitäten getragen werden, um den Anschein sozialen Abstiegs zu vermeiden. Im Gegensatz dazu gibt es reichere Viertel, in denen allein das Fehlen einer erkennbaren sportlichen Betätigungsabsicht nicht den widerlegbaren Verdacht begründet, auf dem Weg des sozialen Niedergangs zu sein.
Dem Bundesgerichtshof (BGH) ist es zu verdanken, dass auch Personen, die "nur mit einem Unterhemd und einer Jogginghose bekleidet sind" und damit "das Bild eines Proleten" vermitteln könnten, nicht zwangsläufig für die Couture des urbanen Ghettos stehen müssen.
So hatten in den Jahren 2006 und 2007 Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) Hamburg einen Werbespot der TAZ beanstandet:
"Im ersten Teil des Werbespots ist vor einem als 'Trinkhalle' bezeichneten Zeitungskiosk ein mit dem Logo der BILD-Zeitung versehener, leerer Zeitungsständer zu sehen. Ein Kunde, der nur mit einem Unterhemd und einer Jogginghose bekleidet ist, fordert den Inhaber des Kiosks auf: 'Kalle, gib mal Zeitung', worauf dieser entgegnet: 'Is' aus'. Auf Nachfrage des Kunden: 'Wie aus?', schiebt der Kioskinhaber wortlos eine TAZ über den Tresen. Der Kunde reagiert hierauf mit den Worten: 'Wat is' dat denn? Mach mich nicht fertig, Du' und wirft die TAZ nach einem Blick in die Zeitung verärgert auf den Ladentisch. Der Kioskinhaber holt nun eine unter dem Tresen versteckte BILD-Zeitung hervor, die er dem Kunden gibt. Daraufhin brechen beide in Gelächter aus."
Der BGH mochte in seinem "Gib mal Zeitung"-Urteil vom 1. Oktober 2009 (Az. I ZR 134/07) den Hamburger Richtern nicht folgen, die darin eine Herabwürdigung der Bildzeitungs-Leser bzw. der Blatt-Macher erkannt hatten. Indem der Jogginghosen-Träger im zweiten Teil des Spots die Situation umkehrte und einmal spaßhaft "Kalle, gib mal Taz" verlangte, zeige sich der Witz dieser vermeintlich unbedarften Menschen.
Masse der wirklich haltlosen Hosen-Träger
In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle ist die Jogginghose allerdings nicht Objekt makabrer Sozialrechts- oder witziger Wettbewerbssachen, sondern Gegenstand von Strafverfahren.
Dies geht vom Jogginghosen-Diebstahl, der durch das Beisichführen einer Haushaltsschere mit zwölf Zentimetern Klingenlänge zum schweren Diebstahl, § 244 Abs. 1 Nr. 1a Strafgesetzbuch (StGB) mutiert (AG Kassel, Urt. v. 12.06.2015, Az. 1610 Js 17234/14) über das Problem, bei Gegenständen, die von einer Jogginghose bedeckt sind, nicht erkennen zu können, ob es sich um eine Schusswaffe handelt (BGH, Beschl. v. 14.02.1992, 2 StR 28/92) bis hin zu einer ganzen Anzahl ziemlich widerlicher Sexualdelikte – begangen von oder an Jogginghosen-Trägerinnen und -Trägern (zum Beispiel BGH Urt. v. 07.01.2016, Az. 2 StR 100/15), wobei nicht selten die relative Leichtigkeit des Entkleidens eine Rolle spielt.
Jogginghose als Verlust an Ambivalenz
Bei Letzterem bleibt nichts mehr von der positiven Seite dieses funktionalen Textils. Hier darf man sich an den wohl berühmtesten deutschen Jogginghosen-Träger erinnert fühlen, Harald Ewert (1954–2006): Das Bild des arbeitslosen Baumaschinisten, der 1992 beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen den Hitlergruß zeigte, ging um die Welt – nicht zuletzt wegen seiner im Schritt eingenässten Jogginghose.
Wenn allerdings die baden-württembergische Justiz eine Strafvollzugsanstalt dazu verpflichtete (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.03.2005, 1 Ws 368/04), einem Gefangenen zwei Jogginghosen zurückzugeben, die ihm bei der Haftraumkontrolle entzogen worden waren, dann weiß man nicht recht, ob dies für oder gegen den wohl einzigen Satz eines Schneiderei-Meisters geht, der als justiztauglicher Erfahrungssatz gelten könnte:
"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren", sprach Karl Lagerfeld in der Sendung "Markus Lanz" vom 19. April 2012. Man könnte ja auch sagen: Erst, wenn auch noch diese verlorengeht, ist es soweit.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Autor in Ohligs.
Martin Rath, Internationaler Tag der Jogginghose: Statussymbol oder Kontrollverlust? . In: Legal Tribune Online, 22.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21847/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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