Umständlich, unverständlich, ungelenk: Keine Fachsprache steht so im Verruf wie die deutsche Rechtssprache. Und die können Juristen nicht einmal für sich allein beanspruchen. Von Alexander Rupflin, mit einem Abstecher ins Lateinische.
Die Sprache dient dem Juristen als Handwerkszeug, nur umgehen könne er mit ihr leider nicht. Regelrecht hässlich sei das Juristendeutsch. So der altbekannte Vorwurf. Zehn Minütchen blättern durch ein beliebiges deutsches Gesetz scheinen auszureichen, um diese Behauptung erst einmal zu bestätigen. Kaum eine Norm ist da zu finden, die sich beim flüchtigen Durchlesen vollends erschließt – vor allem nicht dem juristischen Laien.
Aus welchem Ursprung heraus genau sich der eigenwillige Charakter der Juristensprache entwickelt hat, ist nicht ganz klar. Es lässt sich aber zumindest mutmaßen, dass im 18. und 19. Jahrhundert die Rechtsgelehrten bei ihren Formulierungen sich am klassischen Latein orientiert haben, das durchaus auch dazu in der Lage ist, lange, sogar sehr lange Sätze zu bilden. Cicero lässt grüßen.
Außerdem hatten die Lateiner keine Schwierigkeiten damit, Satzteile auseinanderzureißen, die eigentlich zusammengehören. Das führt dazu, dass der Leser am Ende des Satzes nicht mehr weiß, was an dessen Anfang stand. Der gebildete deutsche Jurist fand dies wohl schicklich, ahmte es nach, bis zur Perversion. Das könnte der Grund dafür sein, dass Gesetzessprache und Fachsprache der Juristen oftmals umständlicher sind, als sie sein müssten. Aber ist ihre Sprache deswegen hässlich?
Eine schöne Sprache – was ist das?
Tonio Walter, Professor für Strafrecht an der Uni Regensburg und Autor einer Stilkunde für Juristen, fragt sich deshalb, wann Sprache überhaupt als schön bezeichnet werden kann. Einen literarischen Maßstab an eine Fachsprache anzusetzen, wäre sicherlich verfehlt. So muss man sich fragen, welcher Nutzen denn einer solchen zugrunde liegt.
Gesetzestexte, juristische Aufsätze, Lehrbücher und Urteile sollen vor allem verständlich sein. Für jedermann? Nun ja, vorrangig für Juristen. Umständliche formulierte Schriftsätze kapiert aber auch der Fachmann nicht problemlos.
Nach Walter wäre die juristische Sprache also dann "schön, wenn sie verständlich ist". Das gelingt Anwälten und Richtern allerdings nur in den seltensten Fällen. Oft reihen sie elend lange Satzwürmer aneinander, gewürzt mit ordentlich Substantivierungen, Passivkonstruktionen und Streckverben. Dem Leser, Jurist oder nicht, kann das nicht schmecken.
Die Schweizer können es besser
Dabei wird zumindest bei der Gesetzgebung allerlei getan, um Normen und Verordnungen verständlich und frei von Stilblüten zu formulieren. Schon seit 1966 müht sich ein Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beim Deutschen Bundestag ab. Die Mission: Die einfache und klare Formulierung von Rechtstexten, wobei die Eigenheiten der Rechtssprache als Fachsprache berücksichtigt werden sollen. Offenbar eine Sisyphusarbeit: "Ohne den Kollegen dort zu nahe treten zu wollen, aber von diesen Bemühungen merkt man oft nichts", findet Walter.
Deutlich besser funktioniert das seiner Auffassung nach in der Schweiz. Dort scheinen die Sprachexperten der verwaltungsinternen Redaktionskommission (VIRK) aktiver am Gesetzgebungsverfahren beteiligt zu sein. Zumindest gelten die Gesetze dort als um einiges verständlicher als hierzulande. In der deutschen Sprache ist es also durchaus möglich, Gesetze klarer zu formulieren.
Noch einfacher wäre es allerdings, wenn die Juristen allgemein die Dinge in ihrer Fachsprache so beschreiben würden, dass sie der Leser auch begreifen kann. Was hilft einem Jurastudenten das dickste Lehrbuch, wenn ihm schon die Satzkonstruktionen zu schwer wiegen – und nicht erst die juristischen Probleme? Und was ist die schönste Argumentationskette wert, wenn der Leser sich darin schlicht verliert? Dass auch junge Juristen heute noch schreiben wie die vom Latein begeisterten Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert, liegt Walters Einschätzung nach vor allem an einer Nachahmungsleidenschaft:
"Das liegt daran, dass die Jungen es so machen, wie sie es bei den Alten sehen. Die dienen als Vorbilder." Außerdem wolle man dadurch stolz seine Zunftzugehörigkeit zum Ausdruck bringen.
Da bleibt unbeantwortet, warum im Studium, wenn das Handwerkszeug des Juristen doch die Sprache ist, zu dessen korrektem und elegantem Einsatz kaum Lehrveranstaltung angeboten werden. Immerhin: Walter meint, man sei bereits auf einem Weg der Besserung. So gibt es inzwischen mehrere Bücher und Aufsätze, die den Juristen auf den Weg hin zu mehr Verständlichkeit führen sollen. Das Problembewusstsein ist also da.
Nicht-Juristen wollen mitreden
Eine Hoffnung muss dem Juristen, der ab jetzt gelobt, den Bandwurmsatz vierzuteilen, allerdings wohl gleich genommen werden: Auch beim nächsten Partygespräch wird er sich vermutlich vom Mediziner, Philosophen oder Informatiker anhören müssen, er würde als Jurist die deutsche Sprache verschandeln. Denn was diesen selbstverständlich zugestanden wird, scheint der Jurist nicht haben zu dürfen: seine eigene Fachsprache.
Dabei geben sich auch die meisten Ärzte nicht gerade Mühe, dem Patienten deutlich zu vermitteln, ob er sich jetzt die Grippe oder nur eine einfache Erkältung eingefangen hat. Und wer am Philosophen Martin Heidegger verzweifelt, gesteht sich lieber mangelnden Intellekt ein, als über dessen knorrigen Stil zu schimpfen.
Der Rechtsgelehrte aber muss sich die Schelte gefallen lassen. Denn der Nicht-Jurist glaubt dem Anwalt nicht, seine Fachsprache sei ebenso wenig zu ersetzen wie die anderer Wissenschaften. Viele meinen, bei Rechtsfragen mitreden zu können – wie beim Fußball auch – und sind beleidigt, wenn das doch nicht funktioniert. Als seien die Rechtswissenschaften Volkssport.
Diesem Irrglauben zu Grunde liegt die Nähe der juristischen Sprache zur Alltagssprache. Weil jeder schon mal Begriffe wie Eigentum, Wegnahme oder Grundstück gehört hat, glaubt er fälschlicherweise, auch deren fachsprachliche Bedeutung zumindest so ungefähr zu kennen. Der Laie wundert sich dann über den abstrakten Gebrauch der Begriffe im juristischen (Kon-)Text.
Entmutigen sollte das aber nicht. Der schön schreibende, also verständlich formulierende Jurist gewinnt immerhin dreierlei: Zum einen klarer gefasste eigene Gedanken. Zum anderen einen individuellen Ausdruck. Und nicht zuletzt den Leser, für den er schreibt.
Lektüretipps:
Tonio Walter: "Kleine Stilkunde für Juristen", C.H. Beck, 296 Seiten
Michael Schmuck: "Deutsch für Juristen: Vom Schwulst zur klaren Formulierung", Verlag Dr. Otto Schmidt, 120 Seiten
Monika Hoffmann: "Deutsch fürs Jurastudium: In 10 Lektionen zum Erfolg", UTB GmbH, 173 Seiten
Der Autor Alexander Rupflin ist Jurist, Autor und freier Journalist.
Sprache und Stil: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26461 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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