2/2: Ungeliebter Mordprozess im rassistischen Süden
Der erste Anlauf zur strafrechtlichen Ahndung verlief doppelt zäh. Von den Anklagebehörden und Gerichten des Staates Mississippi war überhaupt keine effektive Strafverfolgung zu erwarten. Auch die Anklage vor dem Bundesgericht, die schließlich 1967 nicht wegen der Tötung an sich, sondern nur wegen des bundesrechtlichen Tatbestands der "Verletzung von Bürgerrechten" erfolgen konnte – damalige Höchststrafe: zehn Jahre Haft – war Widerständen ausgesetzt. Der Bundesrichter war kein Freund politischer Bemühungen, die Rassentrennung zu beseitigen.
Der Jury gehörten 1967/68 keine afroamerikanischen Geschworenen an, entsprechende Kandidaten waren von den Verteidigern aussortiert worden. Ein ehemaliges Ku-Klux-Klan-Mitglied wurde vom Richter dagegen als geeigneter Geschworener angesehen. Trotz aller Vorbehalte ergingen gegen sieben Angeklagte Urteile zu Haft zwischen drei und zehn Jahren. Im Übrigen wurden Freisprüche oder sogenannte mistrials – Nichtverdikte, also das Ausscheiden eines Angeklagten aus dem Prozess, bevor die Geschworenen ein Urteil über ihn abgeben konnten – ausgesprochen.
"Murder" oder "Manslaughter"
Das "mistrial" trug dazu bei, dass 41 Jahre nach der Tat erneut über die Morde vom 20./21. Juni 1964 verhandelt werden konnte. Dies betraf Edgar Ray Killen, von Beruf Sägewerksarbeiter und im Nebenberuf evangelischer Geistlicher – 1967 weigerte sich eine Geschworene, einen solch heiligen Mann eines Verbrechens fähig zu halten. Er kam im Sommer 2005 erneut vor Gericht.
Prozessbeobachter attestierten diesem Verfahren, das nun vor einem staatlichen Gericht von Mississippi stattfand, wiederum gewisse kuriose Züge. Ursprünglich lautete hier die Anklage auf "Murder" - eine juristische Konstruktion, die den Vollbeweis planvollen mörderischen Tuns verlangt. Der Spruch der Jury – im Video dazu fragt der Richter die Geschworenen so ab, wie die Kindergärtnerin ihre Schützlinge beim Ausflug abzählt – lautete hingegen auf das mildere "Manslaughter", ähnlich den deutschen Delikten "Totschlag" bzw. "Körperverletzung mit Todesfolge", mit dem bereits eine Todesfolge im näheren oder weiteren Zusammenhang einer anderen Straftat abgeurteilt werden kann.
Obwohl die US-amerikanischen Strafrechtskataloge zumeist bereits gründlich auf den beschränkten Geschworenenverstand juristischer Laien ausgerichtet sind, hatte man nicht von vornherein den leichter zu beweisenden "Manslaughter" angeklagt. Die Anklagereduzierung im Prozess wurde als für Mississippi typische Justizkuriosität kritisiert.
Weil inzwischen viele Zeugen des 1967er-Prozesses verstorben oder verschwunden waren, wurde der Beweis über die Tatbeteiligung Killens, der als Ku-Klux-Klan-Mann das Geschehen zwischen der Inhaftierung der drei Bürgerrechtler durch die Hinterwäldler-Polizei und ihrer nächtlichen Ermordung koordinert haben soll, teilweise anhand alter Protokolle geführt. Das geringe Beweiserfordernis sahen die Geschworenen damit erfüllt.
Bis heute befindet sich der nun 90-jährige Edgar Ray Killen in Haft. Damit hat er die ersten zehn seiner drei jeweils auf 20 Jahre lautenden Haftstrafen verbüßt. Bemerkenswert mag sein, dass er effektiv bereits vier Jahre länger einsitzt als jeder der Verurteilten von 1967, die spätestens nach sechs Jahren wieder auf freiem Fuß waren. Freunde einer transparenten Staatspraxis finden Killen übrigens im Onlineauftritt des Staates Mississippi.
Folter bleibt ausgeblendet und ist doch ein Thema
Im Film Mississippi Burning von 1988 kommen wichtige Ermittlungsergebnisse nur dadurch zustande, dass FBI-Beamte evidente Ku-Klux-Klan-Herrschaften mit Kastration und Scheinhinrichtung bedrohen. Ein entsprechender Einwand des spät verurteilten Killen, er sei im Auftrag des FBI von Mafia-Leuten bedroht worden, blieb unschlüssig und wurde in einem weiteren, nachgeschobenen Prozess verworfen.
Im Vergleich zu der auch in Deutschland, insbesondere nach Wilfried Bruggers berühmter Frage "Darf der Staat ausnahmsweise foltern?" (Zeitschrift "Der Staat" 1996, Seiten 67-97) immer wieder gern diskutierten "Rettungsfolter" bietet Mississippi Burning immerhin ein soziologisch realistisches Modell: Vertreter einer ethisch überlegenen Behörde treffen auf verdächtige, aber aussageunwillige Hinterwäldler von zweifelhafter Moral – damals in den Süd- heute in anderen Staaten der Welt.
Nach diesem Muster dürfte, weltweit und gewiss nicht nur im US-amerikanischen Kontext, die Rechtfertigung von Gewalt zum Zweck strafrechtlicher Ermittlungen wohl sehr viel häufiger erfolgen, als in der populären 24-Serien - oder in einer rechtsphilosophischen Abwägungskonstruktion der "Rettungsfolter".
Seit dem 21. Juni 2005 gilt jedenfalls in diesem Fall: Causa finita.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Strafverfolgung und Folter in Realität und Film: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15940 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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