Historische Entwicklung: Die Staat­s­an­ge­hö­rig­keit als Unterta­nen­status

von Martin Rath

21.08.2016

2/2: Fremde Tyrannen geben die Leute nicht frei

Naturgemäß ging es in der juristischen Praxis realistischer zu. Als das Einwanderungsland schlechthin sahen sich die USA dem Problem der doppelten Staatsangehörigkeit als Resultat mangelnder Freigabebereitschaft europäischer Potentaten ausgesetzt.

Insbesondere die britische Regierung war lästig, begegnete man ihren schwimmenden Dienststellen damals auf allen Weltmeeren: Die Royal Navy presste Menschen von auch nur potenziell britischer Untertanenschaft gern auf hoher See in ihre Dienste.

Eine dramatische Zuspitzung der amerikanisch-britischen Staatsangehörigkeitsfragen war mit dem Krieg beider Nationen von 1812 einhergegangen. Der britische Prinzregent Georg – Spross der für ihr gutes Benehmen bis heute nicht unbedingt bekannten Adelsfamilie aus Hannover und später König Nummer vier seines Namens – sprach seine Erwartung aus, dass jeder amerikanische Soldat, der von Geburt britischer Staatsangehöriger sei, wegen Verrats hingerichtet werden müsse. Davon nahm er nur Abstand, weil US-Präsident Madison mit einer Retorsion an kriegsgefangenen britischen Soldaten im Verhältnis zwei zu eins drohte.

Einseitig einbürgern, völkerrechtlich nachverhandeln

Galt den britischen Juristen des Jahres 1867 die Staatsangehörigkeit noch als eine gleichsam biologische Bindung des Untertanen an die Krone, das staatsrechtliche Äquivalent zur Eltern-Kind-Beziehung, mussten sie bald umdenken.

Als Reaktion auch auf die öffentliche Empörung, die es ausgelöst hatte, dass ein amerikanischer Bürger irischer Abstammung in Dublin als britischer Untertan behandelt wurde, erließ der US-Kongress den Expatriation Act von 1868, der es zum unveräußerlichen Menschenrecht erklärte, seine alte Staatsangehörigkeit ablegen, um die neue – naturgemäß US-amerikanische – sich aneignen zu können.

Erst nach diesem Akt einseitiger US-amerikanischer Gesetzgebung handelte man mit der britischen Regierung ein bilaterales Abkommen aus, das dem Anspruch einer immerwährenden Fortgeltung des Untertanenstatus den Garaus machte.

Einbürgerungspathos rassistisch gebrochen

Umgekehrt entdeckte der US-Gesetzgeber im Lauf des 20. Jahrhunderts das Problem vermeintlich oder tatsächlich geteilter Loyalitäten. Wiederholt wurde nun der Rechtssatz bekräftigt, dass ein US-Bürger sich nicht in Kriegszeiten seiner Staatsangehörigkeit entledigen dürfe.

Frei von Doppelmoral war das Pathos, mit dem das Einwanderungsland seinen neuen Bürgern dabei behilflich sein wollte, nicht in die Untertanenpflichten des Herkunftslandes gefesselt zu bleiben, natürlich nicht. Hohe Moral hat dies ja derart an sich, dass es fast albern ist, hier noch etwas entlarven zu wollen.

Im Fall der USA brach bereits der "Naturalizsation Act" von 1790, der indigene Amerikaner, unfreie Vertragsarbeiter ("intendured servants", eine Art Zeitarbeitssklaventum), Sklaven, "freie Neger" und Asiaten von der Einbürgerung ausnahm, das heroische Pathos. Das Freiheitsrecht der Einbürgerung kraft Willensentschluss blieb bis ins 20. Jahrhundert rassisch genehmen Zuwanderern vorbehalten.

Aus dem 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung, 1868 erlassen, lasen die Gerichte hingegen wiederum ein von Rassenschranken gelöstes Einbürgerungsrecht heraus. 1898 erstritt sich etwa Wonk Kim Ark, Sohn ungeliebter chinesischer Einwanderer, die US-Staatsbürgerschaft qua Geburt im Land – obwohl eine grammatische Auslegung dieses Zusatzartikels eher heikel ist.

Beides gehört in einem Einwanderungsland wohl zusammen: Abgrenzungswünsche und das Pathos, fremde Menschen durch die Bürgerrechte an den Vorzügen der eigenen, als großartig und chancenreich erlebten Gesellschaft rechtssicher teilhaben lassen zu wollen. 

Professor Spiros deutsche Staatsangehörigkeit

In seinem Buch zur doppelten Staatsangehörigkeit vergleicht Peter J. Spiro das Verhältnis zwischen Staat und Staatsbürger vage mit familienrechtlichen Konstruktionen. Sah der absolutistische Staat mit seiner feudalen Rechtsformensprache in der Staatsangehörigkeit eine Analogie zur Vater-Kind-Beziehung, habe das 19. Jahrhundert einen Bindungsgrad zwischen Staat und Bürger entwickelt, der etwa der Bindung innerhalb einer bürgerlichen Ehe entspreche – grundsätzlich auf Freiwilligkeit beruhend und auf Lebenszeit angelegt. Aber wir wissen, oft gehen Motiv und Lebensfrist dabei nicht auf.

Nicht abwegig findet es der US-amerikanische Juraprofessor, wollte man in Zukunft die Staatsangehörigkeit analog zum vereinsrechtlichen Bindungsgrad sehen. Das hat auch mit seinem eigenen Doppelbürger-Projekt zu tun.

Spiro selbst und seine Kinder besitzen seit dem Jahr 2013 neben der US-Staatsbürgerschaft auch die deutsche. Seinem Vater Herbert J. Spiro (1924–2010), geboren in Hamburg, war die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941  entzogen worden.

Der Anspruch Peter Spiros und seiner Kinder auf Einbürgerung stützte sich damit letztlich auf Art. 116 Absatz 2 Grundgesetz, wie bei gar nicht wenigen Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit – in ihrem Fall motiviert auch durch den Wunsch, in der als großartig erlebten Europäischen Union Freizügigkeit und Bildungschancen zu genießen.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historische Entwicklung: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20343 (abgerufen am: 24.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen