2/2: Sich selbst protokollierende Verkehrsunfälle
Szabo selbst kalkulierte bereits 1997 das Ende des ehrwürdigen Berufsstands der Gerichtsvollzieher ein, soweit sie sich mit der Rückholung von Kraftfahrzeugen verdingen, die nicht hinreichend abbezahlt werden. Doch darf man nicht allein über das berufliche Schicksal des Gerichtsvollziehers ins Grübeln kommen. Bevor der seine Kreise zieht, haben viele kaufmännische Angestellte Konten und Papiere gewälzt, mussten Juristinnen und Juristen in formalisierten Rollenspielen die Korrektheit des Papierewälzens und des in Schieflage geratenen Kraftfahrzeugkreditkontoauszugs absegnen. Für die altbewährten Rollenspiele der Anwälte und Richter, ihre Prüfungsroutinen und Subsumtionsleistungen mit Blick auf sogenannte Lebenssachverhalte dürfte nur noch wenig Bedarf bestehen.
Denn seit 1997 schicken sich weitere Routinen an, "verdinglicht" zu werden. Blackboxes könnten zukünftig Verkehrsunfälle protokollieren. Ein Ereignis, das bis zur gerichtsfesten Ermittlung aller Umstände bisher extrem viel gutachterliche und juristische Gehirnarbeit erforderte. Der "sich selbst protokollierenden Verkehrsunfall" würde unzuverlässige Zeugen, abwesenden Polizisten und Richtern überflüssig machen.
Bislang hatte man Gerichten und Rechtsanwälten, die sich etwas biestig zur Dashcam im Automobil äußerten, immer nur datenschutzrechtliche Sensibilität oder Überreiztheit attestiert. Von Szabo her gedacht könnte auch ihre Abneigung auch einer honorarwirtschaftlichen Weitsicht beruhen. Denn in einer Gesellschaft, in der die Bürger und Marktteilnehmer Kontrollroutinen selbst übernehmen und Daten aufzeichnen, werden auch sie viel weniger gebraucht.
Wem oder was sollte man mehr Vertrauen schenken?
Mit ausreichender kryptologischer Ausrüstung lässt sich nicht allein die Kommunikation zwischen Maschine Konto missbrauchssicher organisieren. Die Kryptologie erlaubt auch in bisher ungeahntem Ausmaß, Alternativ- oder Parallelwährungen zu kreieren. Die kryptografische Magie der Währungen neuen Typs beruht darauf, dass sie weitgehend ohne Bank auskommen können.
Bisher scheiterten Versuche, beispielsweise eine regionale Währung als sogenanntes "Freigeld" zu organisieren, oft an der begrenzten Teilnehmerzahl, der Unsicherheit der Kommunikation und vor allem an den hohen Transaktionskosten. Nun könnten Unternehmen wie Second Life mit dem "Linden-Dollar" oder eben Regionalgelderfinder auf die Anbieter von Smart-Contract-Produkten mit dem Wunsch zugehen, beispielsweise das digitale Protokoll des Kraftfahrzeugs direkt mit "Linden-Dollar" zufriedenzustellen, ohne ihn erst in eine gesetzliche Währung tauschen zu müssen.
Im kontinentaleuropäischen Raum mit seinen starken Rechts- und Sozialstaaten mögen diese Science-Fiction-artigen Visionen nicht als starke Alternative zum gewohnten Ausgleich zwischenmenschlicher Interessen wirken. Überall dort, wo man im Zweifel einem anonymen digitalen Protokoll mehr Vertrauen schenkt als dem Schriftwechsel mit seiner Bank oder seinem Anwalt, mag das anders aussehen.
Sollte diese Dystopie jemals Realität werden, so kann man wirklich nur hoffen, dass es sich um ein vor Manipulationen sicheres System handelt. Andernfalls würde beispielsweise die Hacker-Community viele "spannende" neue Schnittstellen zu Alltagsgegenständen bekommen: Die ersten Autos wurden ja schon gehackt und ferngesteuert.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, "Smart Contracts" und das Blockchain-Prinzip: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16747 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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