Sintflut im Recht: Hoch­wasser trifft auf Juristen

von Martin Rath

23.01.2011

Größere juristische Probleme dürften zwar mit den aktuellen Überschwemmungen in Queensland nicht verbunden sein. Jedoch lösen Sint- und andere Fluten gerne grundsätzliches Nachdenken über Grenzfragen zwischen Land und Wasser, zwischen natürlichem Zufall und menschlicher Willkür aus. Essayistische Notizen zu ernsthaften und abwegigen Hochwasserproblemen von Martin Rath.

Die toxische Tierwelt Australiens machte die Bilder von der Überschwemmung erst richtig apokalyptisch: Giftschlangen oder ähnlich unangenehme Kerbtiere, die sich in die trockenen Teile der Häuser flüchteten. Meterlange Krokodile, deren Aktionsradius sich ungewohnt ausgedehnt hat. Unangenehme Begegnungen von Tier und Mensch. Sollten sensible Touristen das im Gedächtnis behalten, könnten Buchungsausfälle die Schäden in Landwirtschaft und Bergbau ergänzen. Von der Sintflut betroffen ist eine Fläche von mehreren hunderttausend Quadratkilometern und das Zentrum der internationalen Kokskohlenproduktion. Die Wirtschaftspresse berichtet, dass sich der Schaden für die Versicherungswirtschaft in Grenzen halten wird, weil die Landwirtschaft kaum abgesichert sei und auch mancher australischer Häuslebauer keine Assekuranz hält. Um die Haftungsfragen in der montanen Wertschöpfungskette werden sich Wirtschaftsjuristen kümmern müssen. Wer aber ist schuld an einer Sintflut?

Unter den australischen Ureinwohnern kursiert ein Mythos, der einem Frosch die Verantwortung für Flutkatastrophen zuschreibt. Erst verursacht das Ungeheuer große Trockenheit, indem es Tümpel, Seen und Flüsse leersäuft. Um dem abzuhelfen versuchen andere Tiere, den Riesenfrosch zum Lachen zu bringen. Die Aborigines erzählen von einem zappelnden Aal, dem das schließlich gelingt: Mit dem Lachen platzt dem Vieh das Wasser aus dem Leib – der folgenden Sintflut fallen Mensch und Tier zum Opfer.

Die Vertragswerke der Tourismuswirtschaft nennen solche "höhere Gewalt", die von Leistungspflichten befreit, längst politisch korrekt "force majeure". Früher äußerte sich die angelsächsische Rechtssprache bibelfester und sprach bei Sturm, Krieg und Flut unisono von einem "Act of God".

Sintflut – ein Akt, der Gott juristisch denken lehrt

Früher wären auch Krieg und Terror, wenn sie wie Sturm und Hagel in zivilrechtliche Haftungsverhältnisse einschnitten, ein "Act of God" genannt worden. Inzwischen gilt das bei so eindeutigem Menschenwerk als etwas unpassend.

Diesem semantischen Feinsinn entzieht sich der bekannte US-amerikanische Strafverteidiger Alan M. Dershowitz, wenn er in einem Kapitel seines Buches "The Genesis of Justice" die biblische Sintflut-Geschichte als juristisches Fanal diskutiert. In der Genesis (6:1-8; 9:1-11) lässt bekanntlich keine lachende Kröte die Welt ertrinken, sondern Gott höchstselbst beseitigt in einer umfassenden Strafaktion den sündigen Menschen. "Als Teil einer Erzählung über göttliche Gerechtigkeit", so Dershowitz, verlange das "dringend nach einer weitergehenden normativen Erklärung." Vor der Sintflut habe der Schöpfer keinen Versuch unternommen, seine ärgerlich eigensinnige Kreatur moralisch zu verbessern, beigetragen hätte dazu: "Vielleicht ein Gesetzeskodex."

Nach der Rettung der Menschheit durch Noah und seine Schiffsbesatzung erzählt die Bibel dann vom Erlass erster Gesetze. Die Zehn Gebote folgen erst später im Text. Dershowitz entdeckt darin einen lernfähigen göttlichen Gesetzgeber – und damit einen Anfang der Justizgeschichte.

Hilfe als Schaden – Flutkatastrophenmanagement made in U.S.A.

Die witzigen philosophischen Gedankengänge des Juristen Dershowitz haben sich allerdings unter US-amerikanischen Fundamentalisten nicht herumgesprochen. Nachdem der Hurrikan "Katrina" Ende August 2005 unter anderem New Orleans überflutete und weite Landesteile verheerte, glaubten phantasiebegabte Theologen an eine Strafe für das sündhafte "Big Easy", als göttliche Sanktion gegen Homosexualität, rotlichtlastiges Nachtleben und legalisierte Schwangerschaftsabbrüche. Diesen bizarren Gedankengängen braucht man nicht zu folgen. Denn was Olympia Duhart im juristischen "Journal of Land Use" (2009, 253-278) über die Verwaltungs- und Rechtsprobleme von "Katrina" berichtet, ist bizarr genug – und handelt von der Verantwortungslosigkeit der US-Bundesbehörde für Notfall-Management, FEMA.

Der Hurrikan hatte so viele Menschen obdachlos gemacht, wie es in den USA seit dem Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert nicht mehr geschehen war. Eine Million Wohnungen waren Katrina zum Opfer gefallen, ein Drittel zerstört oder schwerst beschädigt. Die von der FEMA errichteten Behelfsbaracken erwiesen sich, wie Olympia Duhart, Juraprofessorin in Miami, berichtet, als mitunter recht giftige Behausungen. Die Formaldehytwerte der Pressholzbehausungen überschritten das zulässige Maß um ein Vielfaches, Gesundheitsschäden waren die Folge. Dass die Provisorien sich zu Dauereinrichtungen entwickelten, bedingt durch die Armut der Bewohner und den an sich rühmenswerten Lokalpatriotismus, ihre gewachsene Nachbarschaft erhalten zu wollen, verschärfte das Gesundheitsproblem.

Duhart diskutiert den Vorschlag, die Gesundheitsschäden infolge der "toxic Katrina trailers" durch einen Entschädigungsfonds zu kompensieren, analog jener Einrichtung, die sich der Folgen des Anschlags vom 11. September 2001 annahm. Das US-Rechtssystem neigte unterdessen zu einer alternativen, weniger pragmatischen Lösung: Kanzleien werben noch heute um Kläger für Schadensersatzprozesse gegen die US-Regierung.

Solidargemeinschaft "Flutschaden"?

Fast religiös mutet auch hierzulande inzwischen der Streit darum an, wie weit eine zunehmende Zahl von Sturm- und Flutkatastrophen mit dem Klimawandel zusammenhängt und ob die menschliche Wirtschaftsweise dafür verantwortlich sei. Schon im Jahr 1998 trug Claudia Kalenberg in ihrer Studie "Zur Versicherbarkeit von Hochwasser- und Überschwemmungsschäden" Bedenkenswertes bei.

Sollten sich Mandanten anlässlich der Rhein-, Elb- oder Donauhochwasser 2010/2011 über unzureichenden Versicherungsschutz beklagen, könnte sie ihr Anwalt mit Kalenberg über die Geschichte der restriktiven Versicherungspraxis bei Elementarschäden aufklären – von Sturm und Hagel abgesehen galten diese bis 1990 als unversicherbar.

Für die oft garstige klimapolitische Diskussion mag die Erkenntnis erhellend sein, dass es auf sie in der versicherungswirtschaftlichen Praxis nicht wirklich ankommt. Sie interessiert weniger, ob menschlicher Einfluss aufs Weltklima zu vermehrten Hochwasser- und Überschwemmungsfällen führt. Wichtiger sind Antworten auf zwei Fragen, die dank der "ökonomischen Analyse des Rechts" inzwischen auch langsam in die rechtsdogmatische Literatur eingesickert sind. Es geht um das "Prinzip der besten Versicherbarkeit": Wer kann sich gegen ein Risiko am besten – durch Versicherungsvertrag, Schutzmaßnahmen oder Kapitalbildung – absichern? Wie schafft man – durch Gesetz oder Richterspruch – im bestehenden Haftungssystem erfolgreich Anreize dafür, dass derjenige es auch tut?

Weil Hochwasser- und Überschwemmungsschäden schlecht individuell zu versichernde Risiken sind, ist ein System solidarischer Verantwortung von gefährdeten Bürgern, Versicherungsgesellschaften und Staat erforderlich. Für eine rechtspolitische Diskussion mag es hilfreich sein, dass Kalenberg die unterschiedlichen Solidarmodelle vorstellt, die dazu in Europa gewachsen sind. Der Klimawandel, menschengemacht oder nicht, spielt dabei eher als Zusatzproblem des Prinzips der besten Versicherung eine Rolle. Man hat noch keine längerfristig gesammelten Erfahrungen mit ihm. Fehlende Erfahrung erhöht Irrtumsrisiken, etwa bei der Kalkulation von Sicherheitszuschlägen bei der Prämienberechnung.

Auch dürfte die Verteilung von Risiken zwischen bedrohtem Bürger, Versicherungs- beziehungsweise Rückversicherungsgesellschaften und dem Staat verstärkt zur Frage politischen Intelligenzgebrauchs werden: Als das Januarhochwasser von 1995 nur halb so hohe Schäden in Deutschland hinterließ wie das – sogar vergleichsweise schwächere – Weihnachtshochwasser von 1993 war das auf ein erfolgreich ineinandergreifendes privates und staatliches Risikomanagement zurückzuführen. Das muss nicht immer und überall so intelligent laufen.

Um Beispiele für ein allzu abenteuerlustiges oder improvisierendes Management von Flutrisiken zu entdecken, muss man inzwischen aber nicht in die Ferne blicken – auf die formaldehytgetränkten Baracken von New Orleans – auch an Rhein und Donau, von Elbe und Oder nicht zu sprechen, findet sich mancher prächtige ufernahe Neubau, der die Frage erlaubt: Wer will das versichern? Wer hat so viel Geld?

Sozialisierter Nachteil, privatisierter Vorteil

Diese Frage soll den Verdacht andeuten, dass dort trotz lehrreicher Flutkatastrophen das beliebte Gesellschaftspiel gespielt wird, in dem wirtschaftliche Vorteile privatisiert werden, während die Verluste bitte von der Gemeinschaft zu tragen sind.

Ein dem gegenüber seltener Fall von fast natürlicher Gerechtigkeit findet sich im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 1984 (Aktenzeichen III ZR 131/83), der auch das angenehme Gegenstück zu manchem Wasserschaden bildet: Vom Fluss mitgeschwemmtes Material hatte im Lauf der Jahrzehnte an einer Moselinsel einen rund 6.000 Quadratmeter großen Uferstreifen geschaffen. Wem sollte das Neuland gehören? Über das Eigentum an dem vom Fluss hervorgebrachten Grundstück stritten sich die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin des Wasserlaufes und der Eigentümer der angrenzenden Parzellen.

Wer das Risiko trägt, dass ihm der Fluss Land raubt, der soll auch den Vorteil haben, wenn ihm der Fluss Land anschwemmt. So einfach ließe sich das Urteil des BGH zusammenfassen, hätten die Gerichte in diesem Fall nicht auf den Code civil zurückgreifen müssen – galt das französische Zivilrecht hier doch deshalb, weil das Rheinland unter Napoleon I. zwischen 1804 und 1815 zu Frankreich gehörte.

Hochwasserproblematik und Juristenhumor

Über diesen rechtshistorisch verwickelten Fall hat Berthold Kupisch unter der Überschrift "Eine Moselinsel, Kaiser Napoleon und das römische Recht" eine unterhaltsame Besprechung geschrieben (Juristenzeitung 1987, 1.017-1.020), die nicht etwa nur deshalb lesenswert ist, weil unterhaltsame Texte von Juristen selten wären – sondern weil juristischer Humor sonst so gerne baden geht. Auch vom guten Ausgang des Falles liest man natürlich gerne.

Weniger gerne las man im Dezember in der "Frankfurter Rundschau", dass sich eine norddeutsche Justizbehörde humortauglich betätigt haben soll. Durch die juristische Blogszene flutete die Meldung manch schenkelklopfenes Lachen – bedenklich auch ohne Beteiligung des australischen Frosches.

Zum 1. Januar trat in Niedersachsen die "Anordnung über die Amtstracht im Geschäftsbereich des Justizministeriums" in Kraft, deren § 2 Absatz 3 lautet:

"Die näheren Bestimmungen über Form und Abmessung der Amtstracht werden in einem Merkblatt zusammengestellt, das vom Niedersächsischen Justizministerium herausgegeben wird."

Nach dem Bericht der "FR" rief der erste Satz dieses Merkblatts unter niedersächsischen Juristen (hoffentlich) gespieltes Entsetzen hervor: "Die Robe wird über der Kleidung getragen und verdeckt diese."

Weil die Robe ihrem Träger aber nur bis zur Mitte der Waden reicht, stünden männliche Robenträger in Niedersachsen vor der modisch heiklen Wahl, entweder gar keine Hosen zu tragen, auf Knickerbocker oder Shorts zurückzugreifen, die sich vorschriftsmäßig bedecken ließen – oder eben auf Hochwasserhosen.

Man sollte das Problem der niedersächsischen Trachtenordnung vielleicht nicht bloß humoristisch nehmen. Denn, ob der Klimawandel nun Menschenwerk ist oder ein schleichender "Act of God" – mit seinem Hochwasserhosen-Erlass könnte das Justizministerium ungewollt der Zeit voraus sein.

Martin Rath ist freier Journalist und Lektor in Köln.

 

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Zitiervorschlag

Martin Rath, Sintflut im Recht: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2382 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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