2/2: Justizvollzugsbeamte schuld an fehlender Popularität?
Für Kriegs- und Notzeiten des Mittelalters- und der frühen Neuzeit ist Pferdefleischverzehr überliefert. Für die Frage nach dem normativen Einschlag der Geschichte bietet diese Erkenntnis aber wenig: Not kennt kein Gebot und der Teufel frisst Fliegen. Unklar, von welcher Norm die Not abwich.
In den Städten unterlag das Fleischereigewerbe dem Zunftzwang. In erster Linie begutachteten die Fleischer-Zünfte das Schlachtvieh unter ökonomischen Aspekten. Die Preise wurden von den Zünften taxiert, auf die Gesundheit der Tiere nebenbei mit geachtet. Kranke und abgewirtschaftete Arbeitstiere, namentlich Pferde, waren hingegen Wirtschaftsgut für den kommunalen Justizvollzugsbeamten, den Henker, und sein soziales Umfeld – allesamt Menschen, denen der ehrliche Bürger nicht die Hand gab: neben dem Justizbediensteten also Abdecker und Schinder.
Als aber beispielsweise der preußische Staat im 19. Jahrhundert die zünftige Wirtschaftsordnung durch die moderne Gewerbefreiheit abzulösen unternahm, stieß die neue Ordnung vielerorts auf lokale Rechte zur Tierkörperverwertung in den Händen dieses sinistren Völkchens. Sie waren oft als Realgewerberechte konstruiert, möglicherweise dinglich gesichert.
Ähnliche Realgewerberechte waren beispielsweise für Apotheker vorgesehen. Derlei Rechte halten sich bekanntlich zäh. Gudehus nennt etwa einen preußischen Erlass von 1927, der vorsah, dass die "Einnahmen aus der Schlachtung eines Pferdes lediglich dann vollständig dem Besitzer zugingen, wenn es sich um ein gesundes oder heilbares Tier handelte. Bei arbeitsunfähigen oder unheilbar kranken Pferden hatte der Abdecker Anspruch auf den halben Schlachtwert".
Greifbar war der Erlass für den vorliegenden Text leider nicht, festhalten darf man daher nur so viel: Anders als das sonstige Schlachtvieh unterlag das Pferd regelmäßig nicht dem Recht der Zünfte. Einerseits wurde der Preis für Pferdefleisch deshalb nicht festgesetzt, andererseits fehlte auch die rudimentäre Gesundheitsprüfung. Den schlechten Ruf hatte das Pferdefleisch aber vermutlich auch deshalb, weil es gelegentlich die Tochter eines Henkers oder die Frau des Abdeckers gewesen sein dürfte, die das Stück Filet vom Gaul über die Ladentheke reichte.
Rechtliche Ordnung des Pferdefleischs seit Wilhelm II.
Eine Norm, die noch heute geschichtsbewusste Juristinnen, sarkasmusbegabte Juristen zitieren können, wenn sie auf der Straße auf etwas feuchter, glitschiger, jedenfalls übelriechender Materie ausgerutscht sind, verordneten "Wir Wilhelm von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc." mit dem Gesetz vom 3. Juni 1900, § 1 Abs. 1 Satz 1: "Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde und Hunde, deren Fleisch zum Genusse für Menschen verwendet werden soll, unterliegen vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung."
Das "Gesetz, betreffend die Schlachtvieh- und Fleischbeschau" (RGBl. S. 547-555) regelte nicht allein die gesundheitspolizeilichen Kontrollen vor und nach Schlachtung eines Tieres, auch um Fragen der Fleischvermarktung sorgte sich der Reichsgesetzgeber erstmals ausführlich. Die Einfuhr ausländischer Fleischkonserven war beispielsweise verboten. Bei den für die Wurstherstellung wichtigen Därmen machte man bei den Importrestriktionen hingegen damals schon eine Ausnahme.
Für die Vermarktung wurden mehrfache räumliche Trennungen vorgegeben. Taugliches und nur bedingt taugliches Fleisch waren in getrennten Räumen zu verkaufen. Bei letzterem, dem sogenannten Freibankfleisch, duldete die Justiz keine Unklarheiten: Allein die gemeinsame Aufbewahrung von gewöhnlichem und Freibankfleisch in einem Kühlschrank zog noch 1958 eine strafrechtliche Verurteilung wegen "Feilbietens" nach sich (BGH, Urt. v. 4.9.1958, Az. 1 StR 343/58).
Methodische und räumliche Abgrenzungen sah § 18 des Fleischbeschaugesetzes vor. So war die Fleischbeschau bei Pferden stets von einem approbierten Tierarzt vorzunehmen, für das gängige Vieh waren auch amtlich bestellte Nichtveterinärmediziner zugelassen. Damit baute der Gesetzgeber des Jahres 1900 dem lokalen Klüngel vor, der um die fortbestehenden Realgewerberechte des Schlachtereiwesens existierte. Pferde waren ja noch bis in die 1950er-Jahre verbreitet wie Pkw und Traktor heute, der approbierte Tierarzt sollte zumindest bei der finalen Verwertung Obacht geben.
Ähnlich wie für minderwertiges Fleisch anderer Tiere war auch für hochwertiges Pferdefleisch der räumlich getrennte Verkauf vorgeschrieben: "Fleischhändler dürfen Pferdefleisch nicht in Räumen feilhalten oder verkaufen, in welchen Fleisch von anderen Thieren feilgehalten oder verkauft wird."
Fleischhändler, Saft-, Schank- und Speisewirte hatten verbraucherschützende Standards zu wahren: "In den Geschäftsräumen dieser Personen muß an einer in die Augen fallenden Stelle durch deutlichen Anschlag besonders kenntlich gemacht werden, daß Pferdefleisch zum Vertrieb oder zur Verwendung kommt."
Was Helmut Kohl mit dem Propheten Mose verbindet
Besonders gut ist den Legislativorganen seiner Majestät Kaiser Wilhelms der fünfte Absatz der Norm geraten: "Der Bundesrath ist ermächtigt, anzuordnen, daß die vorstehenden Vorschriften auf Esel, Maulesel, Hunde und sonstige, seltener zur Schlachtung gelangende Thiere entsprechende Anwendung finden."
Seit dem 3. Juni 1900 stand sie also im Gesetz, die wunderbare Normenkette, nach der im Bedarfsfall Geschäftsräume mit dem schönen Schild "Hundemetzgerei" hätten versehen werden müssen.
Doch geschah es zur Zeit der zweiten Regierung Kohl, dass ins Bundesgesetzblatt eine Vorschrift aufgenommen wurde, die da lautete: "Fleisch von Hunden, Katzen, anderen hundeartigen und katzenartigen Tieren (Caniden und Feliden) sowie von Affen darf zum Genuss für Menschen nicht gewonnen werden." (Gesetz v. 13.4.1986, BGBl. I S. 398).
Selbst wenn es der parlamentarischen Mehrheit unter der Regierung des großen Kanzlers nicht gelang, auch Viehzeug wie "Bären, Füchse, Sumpfbiber, Dachse" vom Speisezettel zu streichen – für Hund, Katze, Affe schloss Helmut Kohl gleichsam zum Propheten Mose auf.
An der Gleichberechtigung von Gaul und Kläffer müssen künftige Generationen wohl noch arbeiten. Fragt sich nur, welche Richtung man dabei vorzieht: In den Topf hinein, aus dem Topf heraus.
Martin Rath, Rechtshistorisches zum Pferdebraten: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8213 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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