In freier Natur ist sie vielfach bedroht, vom Menschen gehalten, geht es ihr oft kaum besser. Einen Tag vor dem Weltschlangentag lässt sich auch eine ganz besondere Beziehung zwischen Jurist und Schlange entdecken, erläutert Martin Rath.
In ihrem Bedürfnis, sich mit dem bekannten Schuppenkriechtier zu beschäftigen, scheint es unter Juristinnen und Juristen nicht unerhebliche Unterschiede im Vermögen zu geben, ästhetische Werturteile zu treffen.
Unstrittig ist zunächst, dass die Schlange von jeher geeignet war, besonders die Fantasie der Recht schaffenden Berufe zu wecken, ist ihr doch der erste aller Fälle zu verdanken. In der biblischen Schöpfungsgeschichte (1. Mose 3) ist es bekanntlich die Schlange, die danach fragt, ob der Mensch das damals noch einzige bekannte Verbot, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu verzehren, nicht übertreten wolle.
Das Verdienst, den Menschen über die nackte Erkenntnisfähigkeit über Gut und Böse auch zum Zweifeln angestiftet zu haben, wird der Schlange aufgrund des biblischen Mythos gern übel genommen. In Darstellungen der Justitia muss sie beispielsweise mitunter als Zeichen des Bösen herhalten: Dass die Gerechtigkeitsgöttin die Schlange mit Füßen tritt, verkörpere hier zugleich die Weltverbundenheit der Justitia wie ihren Sieg über das Geschöpf Satans.
Im Bedürfnis, sich dieser Schlangensymbolik zu bedienen, finden sich indes bemerkenswerte Unterschiede: Während sich in einer recht großen Zufallsstichprobe aus Justitia-Abbildungen an Gerichtsgebäuden keine einzige besiegte Schlange fand, verzichtet der Justiznippes aus dem Onlinevertrieb selten auf den Schlangentritt: Ein Anwalt, der beispielsweise Gefallen daran findet, sich ein Visitenkartenbehältnis mit barbusiger Bronze-Justitia auf den Schreibtisch zu stellen, wird zu ihren Füßen meist das hergebrachte Symbol des leibhaftigen Bösen entdecken.
Symbol des Bösen oder des Blödsinns?
Derart eindeutig mit der Schlange als Symbol teuflischen Unrechts hat die deutsche Justiz heute indes nur noch selten zu tun – und wenn doch, so sieht sie es nicht immer. Beispielsweise entschied das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2005 (Az. 8 LB 50/03) die Frage, ob es einer Steuerberatergesellschaft zu Hannover erlaubt sei, ein Logo zu führen, "in dessen Mitte sich eine graphische Darstellung befindet, die aus einer Mischung eines Paragraphenzeichens und einer sich um einen Äskulapstab windenden Schlange besteht".
Die Steuerberaterkammer sah in dem Symbol u.a. eine irreführende Werbung, da das Paragraphenzeichen den rechtsberatenden Berufen vorbehalten bleiben müsse. Das Verfahren offenbarte die Distanz zur jüdisch-christlichen Tradition: Denn dass hier ein Steuerberater subtil die juristischen Berufe beleidigte, indem er das Motiv des Paragraphen zur Schlange – dem Symbol des satanischen Zweifels – verfremdete, kam weder der Steuerberaterkammer noch den Gerichten in den Sinn.
Diese starke Ausdruckskraft der Schlange war dem Amtsgericht Königswinter hingegen im Jahr zuvor durchaus noch bewusst. Es hatte über einen bizarren Streit zu richten: Unter boulevardjournalistischer Beteiligung u.a. des Westdeutschen Rundfunks hatte ein Imker, der spätere Beklagte, 100 Meter vom Gastronomiebetrieb des Klägers 20 Bienen- und Hornissenstöcke aufgebaut, was Anlass zu Konflikten gab. Im Verlauf des Streits ließ der Imker von einer Künstlerin eine sogenannte Bannmaske anfertigen, die das Gesicht einer Frau zeigte, das u.a. mit einer Schlange verunziert war. Das Gericht gab dem Antrag statt, die Beleidigung durch diese "traditionelle imkerische Volkskunst" zu unterlassen.
Auch dort, wo ästhetischer Aufruhr in die Mitte der Gesellschaft heimkehren will, spielte die Schlangensymbolik in jüngster Vergangenheit noch eine Rolle: Im bekannten Rechtsstreit eines Mannes, dem wegen seiner insgesamt 52 × 54 Zentimeter großen Rückentätowierungen die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen verweigert worden war, stand u.a. die Frage im Raum, wie eine in Angriffsstellung mit aufgerissenem Maul abgebildete Schlange zu interpretieren sei.
Konjunktur als gequälte Kreatur
Während die Einstellungskommission hier das Symbol des Teufels, insgesamt eine "aggressive, Gewalt verherrlichende und martialische Wirkung" sah, berief sich der Polizeibewerber darauf, dass die Schlange als "Symbol für Wissen und Weisheit" gelte, sie wegen ihrer Häutung auch "mit Wiedergeburt und Erneuerung" verbunden sei. In diesem Verfahren, in dem sich beide Seiten in teils bizarr überbordenden Bildinterpretationen ergingen, wies das Verwaltungsgericht Minden die Neubescheidung des Bewerbungswunschs an (Beschl. v. 28.8.2014, Az. 4 L 481/14).
Während eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Frage, wie das Bild einer angreifenden Schlange zum Ausdruck von Weisheit und Wiedergeburt taugen kann, allenfalls Kunststudenten Tränen in die Augen treiben mag, hat die Schlange leider seit rund zwanzig Jahren als realiter gequälte Kreatur starke Konjunktur.
Bis in die 1980er Jahre befasste sich die Justiz mit der Schlange noch fast ausschließlich in ihrer metaphorischen Gestalt: in Form aneinandergereihter Kraftfahrzeuge und Menschen, die auf ein Fortkommen warteten. Seither gerieten leibhaftige Schlangen als Gegenstände von Exotenliebhaberei und Globalisierung, nicht selten auch der Wohlstandsverwahrlosung immer öfter unter die Augen der Justiz.
Ausgesprochen ekelhafte Zustände dokumentiert beispielsweise das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2001 (Az. M 3 K 01.311). Der Kläger wehrte sich dagegen, dass ihm untersagt worden war, Tiere aller Art zu halten und ihm jene Tiere, die er noch besessen hatte, fortgenommen worden waren. Dabei handelte es sich unter anderem um zahllose Spinnen und Skorpione, teils verendet und vertrocknet, sowie in ungesicherten und viel zu engen Behältnissen gehaltene Kobras, Puffottern, Gabun- und Nashornvipern. Vor Gericht gelang es ihm jedoch nicht zu erklären, wie die teils verwesenden Tierleichen in seiner Wohnung mit seinem vorgeblichen wissenschaftlichen Interesse an der Erforschung von Tiergiften zusammenhängen sollten.
"Üblicherweise nicht zur allgemeinen Lebensführung gehörend"
Vor dem Hintergrund dieses Münchener Verwesungsfalls nehmen sich zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main fast herpetophobisch aus. Obwohl die Haltung von Schlangen und Futtertieren in einer Wohnung unstrittig keinerlei Belästigung durch Gerüche oder Geräusche verursachte, bestätigte das OLG mit Beschluss vom 19. Juli 1990 (20 W 149/90) das Verbot seitens der Eigentümergemeinschaft, Tiere im Sondereigentum zu halten, die "üblicherweise nicht zur allgemeinen Lebensführung gehören, sondern außerhalb des Wohnbereichs in Tiergehegen und bei zirzensischen Darbietungen zur Kenntnis genommen werden (Schlangen) oder die sich in unsauberen Gefilden aufhalten und daher als Krankheitsträger gelten (Ratten)".
Mit Beschluss vom 13. September 2005 (Az. 20 W 87/03) verwehrte das gleiche Gericht einem Wohnungseigentümer den begehrten Schutz vor der Schmutz- und Lärmbelastung durch die 20 Tauben seines Nachbarn sowie vor dem Ekel, den sie bei ihm auslösten, da diese Vögel – anders als giftige Schlangen, Frösche oder ungiftige Reptilien – in weiten Bevölkerungskreisen kein Unbehagen auslösten.
Wie stark bereits 1990 aufgrund bloßer Affekte – der Furcht vor exotischen Tieren bzw. aus herbeifantasierter Parasitenbedrohung – in die individuellen Rechtsgüter des Eigentums und der Privatheit eingegriffen wurde, ist bemerkenswert, gilt derlei Gefühligkeit doch heute als frische Ausgeburt des Social-Media-Zeitalters. Auch der Gesetzgeber wurde, obwohl Schlangen- im Vergleich zu Hunde- und Katzenbissen Petitessen blieben, aufgrund der Exotenbedrohung bald überraschend aktiv – Gefahrenabwehr scheint in Deutschland schon lange ein Affektproblem zu sein.
Bevor die leibhaftige Schlange wegen der Lust am exotischen Tier zum Problem für den Rechtsstaat wurde, war sie Juristen, sieht man von der gelegentlich schlangentötenden Justitia ab, vor allem in einer metaphorischen Gestalt bekannt: In den 1950er und 1960er Jahren verhandelten Gerichte insbesondere die Frage, wie sich Kraftfahrer im Straßenverkehr zu organisieren hatten, als Problem der Schlangenbildung. Später stand der Kraftfahrer dazu offenbar zu sehr im Stau, der Begriff der "Schlange" fand sich nun seltener.
Schlange als Gerechtigkeitsproblem
Diese Beobachtung wäre bloß komisch, ließen sich an der Frage, wann Menschen bereit sind, sich in Warteschlangen zu organisieren, nicht interessante Gerechtigkeitsprobleme diskutieren.
Soziologen behaupten etwa, dass die Warteschlangen vor den britischen Lebensmittelgeschäften des Zweiten Weltkriegs der blasiert aristokratischen Gesellschaft eine unmittelbar demokratische Egalitätserfahrung vermittelt hätten. Denn eine Warteschlange gelingt nicht ohne stillschweigenden Konsens. Was heißt es, wenn sie nahtlos funktioniert? Was, wenn sie in amorphen Zuständen vergeht?
Eine Warteschlange beruht auf der Norm: "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Das ist eine ganz alte Regel, noch aus dem Sachsenspiegel (ca. 1230). Sie greift aber wohl nur, indem vorgelagerte Gerechtigkeitsfragen im Dunklen bleiben: Der Antrag einer achtfachen Mutter wird nicht früher als der des vierfachen Vaters bearbeitet, weil sie es schwerer im Leben hat. Der 50-Jährige wird an der Kasse nicht vorrangig bedient, weil ihm wohl weniger Lebenszeit bleibt als dem Kind vor ihm in der Schlange. Akzeptiert wird all dies, also das Dunkel des Vorfelds wie die Abstraktion des Ablaufs, jeweils bis zu einem gewissen Grad.
Über alle drei Punkte – über Dunkelheit, Abstraktion und den vagen Punkt, bis zu dem eine Schlange funktioniert – lässt sich als Problem der Gerechtigkeit nachdenken. Und vielleicht ist es dann im Ergebnis auch gar nicht so dumm, wenn die billigen Justitia-Figuren eine bronzierte Plastikschlange mit Füßen treten.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtssymbolik: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29751 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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