Wissenschaftliche Betrachtung: Deut­sche Sklaven gegen ihre Herren

von Martin Rath

08.10.2017

Bisher galt es als ausgemacht: In Deutschland gab es keine Sklaverei, nur die weniger schwerwiegende Leibeigenschaft. Ein geschichtswissenschaftlicher Aufsatz zeigt, dass die Rechtsgeschichte der Unfreiheit anders ist als gedacht.

Ist es ungerecht zu behaupten, dass es kaum lieblosere rechtshistorische Veranstaltungen an deutschen Universitäten gibt, als jene, die sich der Rechtssysteme vor dem 19. Jahrhundert annehmen?

Oder sollten man sich heute an den juristischen Fakultäten um das Studium des Sachsenspiegels oder der "monströsen" Verfassung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation reißen?

Die Relevanz der älteren Rechte lässt sich kaum mit Händen greifen, soweit man nicht in einem Teil Deutschlands lebt, in dem die Friedhöfe noch nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) oder die Grundstücksrechte an Gewässern nach dem Code Napoleon organisiert werden.

Eine so gründliche Durchmischung von feudaler Folklore und positivem Recht, wie sie beispielsweise das Vereinigte Königreich mit seinen erst im Jahr 2000 mit dem "Abolition of Feudal Tenure etc." beendete,  ist jedenfalls kaum zu erkennen.

Sklaven oder Diener in deutschen Landen?

In der geschichtswissenschaftlichen Fachzeitschrift "Geschichte und Gesellschaft" hat die Bremer Historikerin Rebekka von Mallinckrodt nun einen Aufsatz zu zwei Rechtsfällen aus dem späten 18. Jahrhundert vorgelegt, der neues Interesse an der älteren deutschen Rechtsgeschichte wecken sollte (Geschichte und Gesellschaft Nr. 43, 2017, S. 347–380).

Unter dem Titel "Sklaverei, Leibeigenschaft und innereuropäischer Wissenstransfer am Ausgang des 18. Jahrhunderts" berichtet von Mallinckrodt unter anderem vom Fall eines im Besitz des preußischen Beamten Joachim Erdmann von Arnim (1741–1804) stehenden Menschen afrikanischer Herkunft, dessen Petition an Friedrich II. (1712–1786), König in Preußen, von einem Gutachter des Berliner Kammergerichts öffentlich diskutiert wurde.

Ein zweiter Prozess, den von Mallinckrodt ausführlich behandelt, wurde 1790 vom farbigen Diener Franz Wilhelm Yonga (ca. 1751–1798) bei der hochfürstlichen Regierungskanzlei im lippischen Detmold gegen seinen früheren Herrn und Besitzer Franz Christian von Borries (1723–1795) angestrengt.

Anders als jene Staaten, deren Kaufleute nachhaltig im atlantischen Sklavenhandel – die Verschleppung von mehreren Millionen Menschen von Afrika in die amerikanischen Kolonien – engagiert waren, kannte Deutschland kein positives Sklavenrecht neueren Datums. Daraus den Schluss zu ziehen, in deutschen Landen habe es jenseits der Leibeigenschaft kein rechtlich anerkanntes Eigentum an Menschen gegeben, ist aber wohl kaum mehr zu halten.

Sklaven in europäischen Rechtssystemen

Die beiden Fälle, die von Mallinckrodt aufgreift, wurden von den zeitgenössischen Juristen vor dem Hintergrund jener Rechtsnormen diskutiert, die in den bedeutenderen europäischen Sklavenhandelsnationen für jene farbigen Menschen bestanden, die nicht in die Kolonien, sondern in die Mutterländer verschleppt worden waren.

Im Jahr 1772 wurde z.B. durch Lord Chief Justice Mansfield entschieden, dass der Sklave Somerset freizulassen sei, weil es in England kein Gesetz über die Sklaverei gebe. Der Fall Somerset schlug seinerzeit Wellen, da sich im Vereinigten Königreich namentlich christliche Fundamentalisten dafür engagierten, das Rechtsinstitut der Sklaverei schlechthin zu beseitigen.

Unterlaufen wurde das Präjudiz jedoch unter anderem dadurch, dass man farbige Menschen, die durch ihren Aufenthalt in England eigentlich als freie Menschen zu gelten hatten, entweder schlicht entführte oder beispielsweise aus den karibischen Kolonien mitgebrachte Diener Verträge unterschreiben ließ, mit denen sie sich "freiwillig" verpflichteten, in die Karibik zurückzukehren.

In den Niederlanden erging 1776 ein Gesetz, wonach Sklaven nicht automatisch in Freiheit kamen, sobald sie niederländischen Boden betraten.

Frankreich kannte keine einheitliche Gesetzeslage, da die einschlägigen Vorschriften nicht beim Parlement de Paris registriert wurden. Während im Landesinneren aus den Kolonien mitgebrachte Sklaven grundsätzlich die Freiheit einklagen konnten, galt im Übrigen seit 1716 das Prinzip, dass die Eigentümer ihre Sklaven registrieren lassen mussten – und Verstöße nicht zu deren Freilassung, sondern zum Eigentumsverfall zugunsten des Staates führten. Im französischen Mutterland wurde die Freiheit von Sklaven 1791 vom revolutionären Gesetzgeber erklärt.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Wissenschaftliche Betrachtung: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24883 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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