Historische Urteile: Das Reichs­ge­richt trickst einmal mehr

von Martin Rath

28.08.2016

Der Kommunismus gilt als Feind, doch Russland als Freund – ein Dilemma, das Richtern nach der NS-Machtergreifung im Falle einer Hamburger Stauerei zum Verhängnis werden konnte. Worum es 1936 ging und wie das Reichsgericht einen Ausweg fand.

In ihrem harmlosen Teil wird sich die Entscheidung des Reichsgerichts vom 28. August 1936 vermutlich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine Weile in den Kommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gehalten haben, bevor sich dann Urteile seiner ideellen Nachfolgeeinrichtung – des Bundesgerichtshofs – schneller greifen und flüssiger zitieren ließen.

Was war der Fall? Ein Außenhandelsunternehmen in Berlin sah sich mit einer Werklohnforderung konfrontiert. Gegen diese Forderung wollte es Schadensersatzansprüche aufrechnen, weil das beauftragte Unternehmen – eine Stauerei im Hamburger Hafen – nicht korrekt gearbeitet habe.

Das Reichsgericht erklärte, dass es sich hier nicht um einen Vorgang der Aufrechnung handeln müsse, sondern dass die beiden Ansprüche aus dem Werkvertrag rein rechnerisch, gleichsam von Beginn an, abzurechnen gewesen sein könnten, ohne wie eigenständige Forderungen behandelt zu werden.

Ein Präfix wird gewechselt und schon sieht die Welt normativ ganz anders aus: Eine Abrechnung liegt zeitlich vor einer Aufrechnung und sie erleichtert der Justiz womöglich etwas die Arbeit, weil in Geschäftsbeziehungen weniger eigenständige Ansprüche umhergeistern, die der Aufrechnung zugänglich sind.

Alltagsgeschäft eines Revisionsgerichts, möchte man denken. Kein Grund, sich diesen Vorgang in der Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ 152, 111–113, Az. VII 56/36) näher anzuschauen – oder?

Vermögensgegenstand: Stauerei in Hamburg

Interessanter wird es beim Blick auf die Parteien des Verfahrens beziehungsweise ihre Rechtsvorgänger. Als Kläger trat der "Hamburgische Staat" auf, beklagt war die "Deutsch-Russische Lager- und Transport-Gesellschaft mbH in Liquidation", auch unter der Kurzform "Derutra" bekannt.

Im September 1933 hatte die Hamburger Polizeibehörde das Vermögen des Stauereibetriebs "Einheit" G.m.B.H., ansässig an den Vorsetzen 42 im Hamburger Hafen, eingezogen. Rechtsgrundlage war das "Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens" vom 26. Mai 1933.

Anders als zu erwarten, befanden sich im Eigentum der Kommunistischen Partei Deutschlands zu Zeiten der Weimarer Republik nicht allein Medienunternehmen (Druckereien und Verlage) und einige Immobilien wie das sogenannte Karl-Liebknecht-Haus am Berliner Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz), sondern eben auch eine Stauerei in Hamburg. Die Belege hierzu bewahrt heute das Bundesarchiv auf. Eine elitär-undemokratische Partei mit Weltherrschaftsanspruch führt im wichtigsten deutschen Hafen ein Logistik-Unternehmen - man darf sich seinen Teil dazu denken.

Gesetz über entschädigungslose Enteignung

Die Reichsregierung hatte am 26. Mai 1933 das "Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens" beschlossen. Nur nebenbei: Leider gibt die Formulierung heute kaum jemals jenen Medienschaffenden zu denken, die davon fabulieren, "die Bundesregierung" habe "ein Gesetz beschlossen". Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 lässt dies nicht als harmlosen journalistischen Lapsus erscheinen.

Jedenfalls erlaubte Das Einziehungs-Gesetz den "obersten Landesbehörden" oder den "von ihnen bestimmten Stellen", "Sachen und Recht der Kommunistischen Partei Deutschland und ihrer Hilfs- und Ersatzorganisationen sowie Sachen und Rechte, die zur Förderung kommunistischer Bestrebungen gebraucht oder bestimmt sind, zugunsten des Landes einzuziehen". Zudem ermöglichte es die Legalisierung wilder Beschlagnahmen in der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes.

Spezifische Gläubiger, insbesondere Vermietern und Lieferanten unter Eigentumsvorbehalt, blieben nach § 3 in ihren Rechten unberührt, es sei denn, sie standen selbst im Verdacht, der kommunistischen Idee gedient zu haben.

§ 4 des Gesetzes über den Einzug kommunistischen Vermögens gab vor: "Zur Vermeidung von Härten können aus dem eingezogenen Vermögen Gläubiger der von der Einziehung Betroffenen befriedigt werden."

Im nationalsozialistischen Staat bildete eine solche Norm die Grundlage für etwas, was – sei es als approximatives Ideal, sei es als böse Unterstellung von dritter Seite – das Charisma nicht nur deutscher Sicherheitspolitiker ausmacht: ein justizfreier Hoheitsakt. Wer seine Forderungen gegen einen vermeintlichen oder tatsächlichen Anhänger der bolschewistischen Weltbewegung kraft Polizeiverfügung verloren hatte, war nach diesem Gesetz auf die Gnade der verfügenden Behörde angewiesen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historische Urteile: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20403 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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