Der Kommunismus gilt als Feind, doch Russland als Freund – ein Dilemma, das Richtern nach der NS-Machtergreifung im Falle einer Hamburger Stauerei zum Verhängnis werden konnte. Worum es 1936 ging und wie das Reichsgericht einen Ausweg fand.
In ihrem harmlosen Teil wird sich die Entscheidung des Reichsgerichts vom 28. August 1936 vermutlich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine Weile in den Kommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gehalten haben, bevor sich dann Urteile seiner ideellen Nachfolgeeinrichtung – des Bundesgerichtshofs – schneller greifen und flüssiger zitieren ließen.
Was war der Fall? Ein Außenhandelsunternehmen in Berlin sah sich mit einer Werklohnforderung konfrontiert. Gegen diese Forderung wollte es Schadensersatzansprüche aufrechnen, weil das beauftragte Unternehmen – eine Stauerei im Hamburger Hafen – nicht korrekt gearbeitet habe.
Das Reichsgericht erklärte, dass es sich hier nicht um einen Vorgang der Aufrechnung handeln müsse, sondern dass die beiden Ansprüche aus dem Werkvertrag rein rechnerisch, gleichsam von Beginn an, abzurechnen gewesen sein könnten, ohne wie eigenständige Forderungen behandelt zu werden.
Ein Präfix wird gewechselt und schon sieht die Welt normativ ganz anders aus: Eine Abrechnung liegt zeitlich vor einer Aufrechnung und sie erleichtert der Justiz womöglich etwas die Arbeit, weil in Geschäftsbeziehungen weniger eigenständige Ansprüche umhergeistern, die der Aufrechnung zugänglich sind.
Alltagsgeschäft eines Revisionsgerichts, möchte man denken. Kein Grund, sich diesen Vorgang in der Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ 152, 111–113, Az. VII 56/36) näher anzuschauen – oder?
Vermögensgegenstand: Stauerei in Hamburg
Interessanter wird es beim Blick auf die Parteien des Verfahrens beziehungsweise ihre Rechtsvorgänger. Als Kläger trat der "Hamburgische Staat" auf, beklagt war die "Deutsch-Russische Lager- und Transport-Gesellschaft mbH in Liquidation", auch unter der Kurzform "Derutra" bekannt.
Im September 1933 hatte die Hamburger Polizeibehörde das Vermögen des Stauereibetriebs "Einheit" G.m.B.H., ansässig an den Vorsetzen 42 im Hamburger Hafen, eingezogen. Rechtsgrundlage war das "Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens" vom 26. Mai 1933.
Anders als zu erwarten, befanden sich im Eigentum der Kommunistischen Partei Deutschlands zu Zeiten der Weimarer Republik nicht allein Medienunternehmen (Druckereien und Verlage) und einige Immobilien wie das sogenannte Karl-Liebknecht-Haus am Berliner Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz), sondern eben auch eine Stauerei in Hamburg. Die Belege hierzu bewahrt heute das Bundesarchiv auf. Eine elitär-undemokratische Partei mit Weltherrschaftsanspruch führt im wichtigsten deutschen Hafen ein Logistik-Unternehmen - man darf sich seinen Teil dazu denken.
Gesetz über entschädigungslose Enteignung
Die Reichsregierung hatte am 26. Mai 1933 das "Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens" beschlossen. Nur nebenbei: Leider gibt die Formulierung heute kaum jemals jenen Medienschaffenden zu denken, die davon fabulieren, "die Bundesregierung" habe "ein Gesetz beschlossen". Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 lässt dies nicht als harmlosen journalistischen Lapsus erscheinen.
Jedenfalls erlaubte Das Einziehungs-Gesetz den "obersten Landesbehörden" oder den "von ihnen bestimmten Stellen", "Sachen und Recht der Kommunistischen Partei Deutschland und ihrer Hilfs- und Ersatzorganisationen sowie Sachen und Rechte, die zur Förderung kommunistischer Bestrebungen gebraucht oder bestimmt sind, zugunsten des Landes einzuziehen". Zudem ermöglichte es die Legalisierung wilder Beschlagnahmen in der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes.
Spezifische Gläubiger, insbesondere Vermietern und Lieferanten unter Eigentumsvorbehalt, blieben nach § 3 in ihren Rechten unberührt, es sei denn, sie standen selbst im Verdacht, der kommunistischen Idee gedient zu haben.
§ 4 des Gesetzes über den Einzug kommunistischen Vermögens gab vor: "Zur Vermeidung von Härten können aus dem eingezogenen Vermögen Gläubiger der von der Einziehung Betroffenen befriedigt werden."
Im nationalsozialistischen Staat bildete eine solche Norm die Grundlage für etwas, was – sei es als approximatives Ideal, sei es als böse Unterstellung von dritter Seite – das Charisma nicht nur deutscher Sicherheitspolitiker ausmacht: ein justizfreier Hoheitsakt. Wer seine Forderungen gegen einen vermeintlichen oder tatsächlichen Anhänger der bolschewistischen Weltbewegung kraft Polizeiverfügung verloren hatte, war nach diesem Gesetz auf die Gnade der verfügenden Behörde angewiesen.
2/2: Justizfreier Hoheitsakt – ein ewiger Stammtischtraum
Der Gläubiger kommunistischer Schuldner war also auf polizeiliche Gnade angewiesen. Es sei denn, er fand – womöglich – eine gesetzliche Hintertür. Eine Möglichkeit mochte darin bestehen, zumindest gegen die polizeilich eingezogenen Forderungen etwas aufrechnen zu können.
In das Vermögen des "Hamburgischen Staats" übergegangen waren hier Forderungen des Stauereibetriebs "Einheit" GmbH in Höhe von mehr als 37.000 Reichsmark gegen die Derutra, die Deutsch-Russische Lager- und Transport-Gesellschaft mbH. Gegen die zunächst eingeklagte Teilsumme von 6.100 Reichsmark erklärte die Derutra, Schadensersatzansprüche wegen schlechter Stauereileistungen aufrechnen zu wollen.
In ihren Maßnahmegesetzen waren die neuen Herren Deutschlands noch schlampiger als in ihrer übrigen Gesetzgebung: Das Gesetz sagte nichts darüber, ob das eingezogene kommunistische Vermögen durch Aufrechnung geschmälert werden durfte.
Für die Gerichte ergab sich damit ein Problem: Wer die Aufrechnung für statthaft erklärte, schmälerte womöglich die Allmacht der Exekutive – hier also das justizfreie Ermessen der hamburgischen Polizeibehörde. Und bekanntlich ist mit jenen, die Allmacht besitzen, noch weniger zu spaßen als mit denen, die nur unter Allmachtsfantasien leiden.
Die lieben deutsch-sowjetrussische Beziehungen
Im vorliegenden Fall kam erschwerend hinzu, dass die Firma Derutra zu Berlin, die hier gegen die Forderung aus Hamburg aufrechnen wollte, nichts anderes als die Außenhandelsstelle der Sowjetunion im Deutschen Reich war.
Deren Anspruch war gleichwohl nicht einfach mit dem Argument beizukommen, sie sei – wie das enteignete Hamburger Unternehmen – Fleisch vom Fleische des Weltkommunismus. Denn Geschäfte machte man in Deutschland seit dem Vertrag von Rapallo 1922 gerne mit der UdSSR.
Unter Bruch des Versailler Vertrags gewährten sich das Deutsche Reich und die Sowjetunion beispielsweise die Meistbegünstigung. Und natürlich vereinbarten das Deutsche Reich und das kommunistische Russland Schiedsgerichte. Damals erschien derlei ja noch nicht so dämonisch wie heute im europäisch-amerikanischen Verhältnis.
Heikle politische Frage juristisch umschifft
Das Handelsabkommen von 1925 verschaffte der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin sogar gleichsam extraterritoriale Sonderrechte. Nationalkonservative Kreise und kommunistische Unruhestifter profitierten von den deutsch-russischen Beziehungen. Das deutsche Militär testete an Gerät auf russischem Boden, was ihm in Deutschland völkerrechtlich verboten war. In diesem Zwielicht war kaum barsch, mit "gesundem Volksempfinden" oder ähnlichen Phrasen über die Aufrechnungsmöglichkeiten der sowjetischen Firma aus Berlin zu richten.
Das Landgericht und das Oberlandesgericht Hamburg folgten dem Aufrechnungsbegehren nicht, das Reichsgericht aber wies mit seinem Revisionsurteil die Richtung: Wenn sich die wechselseitigen Ansprüche zwischen der Berliner Derutra und der Hamburger "Einheit" gleichsam im Werklohnkonto beider Firmen auflöste, so lagen die strittigen Stauereiarbeiten vor der Einziehung des KPD-Stauereiunternehmens zugunsten des "Hamburgischen Staats". Anders als die Aufrechnung nach der polizeilichen Vermögensentziehung tangierte diese Abrechnung nicht die polizeilich-exekutive Allmacht.
Zweiter großer Vermögensentzug
Dreiundzwanzig Jahre später sollte die KPD nochmals Gegenstand einer Vermögensentziehung werden, jedenfalls im freien Teil Deutschlands. Das KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 gab den Innenministern und -senatoren der Bundesrepublik Deutschland auf, das Vermögen der Kommunistischen Partei einzuziehen.
Erstaunlicherweise hat zum 60. Jahrestag dieses Urteils ein Abgeordneter der KPD-Nachfolgepartei "Die Linke" dazu aufgerufen, die vom westdeutschen Rechtsstaat betroffenen KPD-Leute zu rehabilitieren – gleichsam im Schwung, den die Beseitigung strafrechtlicher Rechtskraft in Angelegenheiten kujonierter homosexueller Männer jener Epoche zur Zeit hat. Das ist albern.
Jenes vermutlich etwas taktisch eingefärbte Judiz, das dem Reichsgericht eine Eselsbrücke in Angelegenheiten deutsch-sowjetischer Beziehungen aufgab, fand später seine höchsten politischen Ausdruck in einem Abkommen, das im Reichsgesetzblatt II vom 5. Januar 1940 veröffentlicht wurde.
Wer, abgesehen von zahllosen weniger "amtlichen" Belegen totalitärer Verbrüderung, im Wissen allein hierum, einer leninistischen Kaderpartei die Treue hielt, kann sich wohl kaum darauf berufen, in seiner Weltanschauung jemals hinreichende Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten gepflegt zu haben.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Historische Urteile: Das Reichsgericht trickst einmal mehr . In: Legal Tribune Online, 28.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20403/ (abgerufen am: 19.07.2024 )
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