Der Beginn des 1. Weltkriegs: Der Pro­zess von Sara­jevo

von Martin Rath

29.06.2014

2/2: So viel Geständnisfreude

Über 160 Seiten verbreiten sich die Angeklagten, es geht oft im zitierten Stil weiter, in einiger Geständnisfreude. Die wesentlichen, zum 100. Jahrestag des Attentats endlos wiederholten Eckdaten bieten sie mehrfach an: In der ersten Runde wird das Fahrzeug des Thronfolgers mit Bomben beworfen. Dilettantisch ausgeführt, der hohe Herr scherzt darüber mit dem Bürgermeister. Die zweite Runde: Eher zufällig kurvt das Auto mit Franz Ferdinand nebst Gattin an dem Kaffeehaus vorbei, in oder bei dem Princip sich aufhält. Der schießt, mit bekanntem Taterfolg.

Die Fragen des Richters und des Anklägers, die zu den äußeren Tatbestandsdaten etwas hinzufügen könnten, beziehen sich auf das Netzwerk der Angeklagten. Beispielsweise gibt einer an, in einem serbischen Betrieb dem Thronfolger begegnet zu sein, dem serbischen Königssohn dieses Mal. Mit Händen zu greifen ist hier die Vorstellung, im Prozess die Verschwörung aus dem Nachbar- und Feindesland belegen zu können. Dabei ging es nur um die joviale Geste: Fürst lässt sich von Arbeitern erklären, was Arbeit so ist.

Wie bei jeder ordentlichen Staatsverschwörung und ihrer juristischen Aufbereitung bleiben viele Aspekte obskur. Beispielsweise konnten die jungen Leute, Dilettanten beim Bombenwerfen, einigermaßen gut schießen, sogar die militärisch ungedienten. Statt nach technischen Details wird oft gefragt, ob die Angeklagten – es sind insgesamt 25 – der Freimaurerei angehörten.

Angesichts ihres jugendlichen Alters, ist das unwahrscheinlich, die Mauerei ist ja eher ein Kostümverein reifer Herren. Möglicherweise überzeichnet hier das publizierte Protokoll: Möglich ist, dass hinter "Professor Pharos" ein Jesuitenpater namens Anton Puntigam (1859-1926) steckt, der als Vertrauter des gemeuchelten Thronfolgers selbst im Saal war. Neben den sozialen Anliegen der Bosniaken hatte der katholische Geistliche zwei Ziele: den Kampf gegen die Selbstbefriedigung und gegen die Freimaurerei. Letzteres scheint im Sonderband des "Archivs für Strafrecht und Strafprozessrecht" als ein unangemessen ziellos angesprochenes Thema auf.

Hochverrat – ein Normungeheuer

Ein wesentlicher Grund, warum finstere Machinationen in der Welt der Verschwörungen allgemein selten von gerichtlichen Verfahren in einer Weise aufgedeckt werden, dass auch noch der letzte Zweifler zufrieden ist, hängt wohl mit der beschränkten Weltwahrnehmung der juristischen Arbeit zusammen: Man braucht ja nicht so viel Tatwissen, um unter die Norm zu subsumieren. Erst recht nicht, wenn die Norm gummiartig weit ist. Das Kreisgericht Sarajevo hatte hier mit der barocken Monstrosität des politischen Strafrechts der cis- und transleithanischen Lande Österreich-Ungarns zu tun. Dieses Normungeheuer muss man einmal gelesen haben:

"Das Verbrechen des Hochverraths begeht, wer etwas unternimmt: a) wodurch Seine k. und k. Apostolische Majestät an Körper, Gesundheit oder Freiheit verletzt oder eine Verhinderung der Ausübung seiner Regierungsrechte bewirkt werden soll, oder b) was auf eine gewaltsame Veränderung der [verfassungsmäßigen Einrichtungen Bosniens und der Herzegowina] oder der Stellung dieses Gebietes zur österreichisch-ungarischen Monarchie, oder der Verfassungen und Staatsgrundgesetze der österreichisch-ungarischen Monarchie, oder des zwischen den Gebieten und Ländern dieser Monarchie bestehenden staatlichen Verbandes, oder der territorialen Verhältnisse dieses Gebietes, in welchem dieses Gesetz Geltung hat, oder der Gebiete und Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie angelegt wäre; es geschehe Solches öffentlich oder im Verborgenen, von einzelnen Personen, oder in Verbindung, durch Anspinnung, Aufforderung, Aneiferung, Verleitung durch Wort, Schrift, Druckwerke oder bildliche Darstellung, Rath oder eine That, mit oder ohne Ergreifung der Waffen, durch mitgetheilte, zu solchen Zwecken leitende Geheimnisse oder Anschläge, durch treulose Aufwieglung, Anwerbung, Ausspähung, Unterstützung oder durch was sonst immer für eine dahin abzielende Handlung, wenn dieselbe auch ohne Erfolg geblieben wäre."

Kerkerhaft statt Würgegalgen

Für die Verwirklichung des Tatbestands, hier in der Version des § 111 des Strafgesetzes für Bosnien und die Herzegowina von 1879 (StG B/H), sah der folgende § 112 StG B/H die Todesstrafe vor. Der Todesschütze und einige jüngere Angeklagte entgingen dem Würgegalgen, weil nach § 90 StG B/H an die Stelle der Todesstrafe lebenslanger Kerker trat, sofern der "Thäter zur Zeit des begangenen Verbrechens das Alter von zwanzig Jahren noch nicht zurückgelegt hat". In der elenden Kerkerhaft erkrankten sie dann fast durchgängig an schwerer Tuberkulose.

Dabei ergibt die Durchsicht straf- und strafprozessrechtlicher Normen des k.u.k. Reiches für die Jahrzehnte vor dem Weltkrieg viel Positives. 1907 waren beispielsweise den Kerkerhäftlingen die Eisen abgenommen worden. An Strafverteidigung war seit 1873 grundsätzlich zu denken.

Ein Bild davon, wie sehr die Militärgerichtsbarkeit die Fortschritte nach 1914 wieder ruinierte, gibt vielleicht die Graphic Novel, gezeichnet nach Motiven aus Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit".

Zitiervorschlag

Martin Rath, Der Beginn des 1. Weltkriegs: . In: Legal Tribune Online, 29.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12380 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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