In wenigen Tagen wird es voraussichtlich wieder soweit sein: Die Bundeskanzlerin und die Minister leisten ihren Amtseid. Was es mit solchen politischen Eiden auf sich hat und ob sie justiziabel sein sollten. Von Martin Rath.
Dem amerikanischen Fernseh-Moderator Lawrence O'Donnell (1951–) bereitete es im vergangenen Jahr sichtlich Freude, seinem Präsidenten dessen unschöne Verehrung eidbrüchiger Verschwörer unter die Nase zu reiben.
Im Streit um die Bedeutung von Denkmälern, die gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts für Politiker und Generäle der Südstaaten errichtet worden waren, hatte sich Donald Trump (1947–) gegen deren Beseitigung bzw. Musealisierung ausgesprochen. In der ihm eigenen Mischung aus dräuender Moralität und intellektueller Schärfe – einer Kombination, die unter seinen deutschen Kollegen kaum anzutreffen ist – wies O'Donnell auf den 3. Abschnitt des 14. Zusatzartikels zur US-Verfassung hin.
Nach dieser Vorschrift darf seit 1868 grundsätzlich niemand das Amt des Präsidenten, Vizepräsidenten, Senators oder Abgeordneten bzw. ein anderes Zivil- oder militärisches Amt der USA bekleiden, der – nachdem er einen Eid auf die US-Verfassung geleistet hatte – an einer "insurrection or rebellion" gegen die USA beteiligt war. Die Mehrzahl der umstrittenen Denkmale ist aber just solch eidbrüchigen Verfassungsfeinden gewidmet.
Politischer Eid von seltener Verbindlichkeit
Die juristische Dogmatik unterscheidet zwischen sogenannten promissorischen und assertorischen Eiden. Wird bei Gericht eine Aussage durch Eid bekräftigt, handelt es sich um einen assertorischen Eid, zu Deutsch etwa: eine versichernde, ohne Beweis Gültigkeit zusichernde Erklärung.
Ernst Friesenhahn (1901–1984), zuletzt Staatsrechtslehrer in Bonn und 1951–1963 Richter des Bundesverfassungsgerichts, stellte in seiner Studie zum politischen Eid (Bonn, 1928) fest, dass das 1868 in Kraft getretene amerikanische Amtsverbot für eidbrüchige Rebellen eines der wenigen Beispiele für einen promissorischen Eid gebe, dessen Verletzung rechtlich sanktioniert sei.
Nach Artikel 64 Abs. 2 Grundgesetz (GG) schwören der Bundeskanzler und die Bundesminister bekanntlich – demnächst wieder in der Tagesschau zu sehen – den in Artikel 56 GG vorgesehenen Eid, ihre "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen", ihre "Pflichten gewissenhaft erfüllen" zu wollen "und Gerechtigkeit gegen jedermann" zu üben.
Im deutschnationalen Kommentariat – stets frisch unter allen Artikeln liberaler Online-Medien – sowie im linken Kabarett – stets staubt es aus dem Nachtprogramm von ARD & ZDF – wird mehr als nur gelegentlich insinuiert, dieser Amtseid ließe sich unter die Strafvorschriften der §§ 154–162 Strafgesetzbuch (StGB) subsumieren – jedenfalls könnten oder sollten sie entsprechend ausgelegt oder angepasst werden.
Obwohl es eigentlich selbstevident Irrsinn ist, sich vorzustellen, der promissorische Eid des Kanzlers und der Minister, der statt einer Wahrheits- eine Willensbehauptung beschwört, sei strafprozessual zu greifen – über die Frage, was beispielsweise "Nutzen und Schaden" des deutschen Volkes sein sollen, würde dann etwa das Landgericht Berlin zu befinden haben – scheint es sich in der fußläufigen Öffentlichkeit um eine fixe Idee zu handeln: Was soll ein Schwur schon wert sein, wenn bei seinem Bruch keine Sanktion droht?
Wert des politischen Eids
Anders gefragt: Sollte der politische Eid ernster genommen werden? Kann er es überhaupt?
Mitunter deutet sich Unernst an. In seiner Kommentierung der Artikel 56, 64 GG erfreute sich beispielsweise Roman Herzog (1934–2017) daran, dass die Eidesleistungen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und der -minister dem Staat die sonst selten gewordene Gelegenheit böten, ein wenig zeremonielles Dekor anzulegen.
Die Beobachtung, dass der Staat sich heutzutage selten selbst feiere, warf für Herzog – ein Beispiel für seinen etwas spezifischen Humor – sogar ein Argument für die unklare Regelung ab, ob der Bundespräsident bei seiner Wiederwahl erneut zu vereidigen sei. Herzog fand das so schön, dass man es wiederholen sollte.
Keinen Grund fand er jedoch, der politischen Eidesformel eine normative, eine "konstitutive Bedeutung in dem Sinne" zuzuweisen, "dass sie den ohnehin bestehenden verfassungsrechtlichen Pflichten des Bundespräsidenten und der Kabinettsmitglieder neue, zusätzliche Pflichten hinzufügt" (Maunz-Dürig 5/2008, Herzog Art. 64 Rn. 31).
Den Weg zur Justiziabilität des politischen Eids sah Herzog von der eher pragmatischen Seite verbaut, dass "darüber, was Nutzen und Schaden ist, [...] ja in aller Regel gerade der politische Streit" gehe. Für andere Aspekte der Eidesformel – Wahrung und Verteidigung des Grundgesetzes und der Bundesgesetze – sei im Übrigen der (Verfassungs-)Rechtsweg gegeben, auch insoweit also kein Anlass weit und breit, den Eid normativer aufzufassen.
Martin Rath, Der Amtseid: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27439 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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