2/2: Doppelmoral von Ministern und Polizei angeprangert
"Selbst unsere Herren Innenminister und Finanzminister haben inzwischen davon gehört, da sie zum Teil indirekt von dem Steueraufkommen dieser Häuser und damit vom Schandlohn weiblicher und männlicher Dirnen leben. Durch diese Duldung machen sich nach meiner und maßgeblicherer Juristen Ansicht alle beteiligten Beamten der Kuppelei, mindestens der Beihilfe dazu schuldig. Die Polizei erwidert, daß ihr diese Betriebe angenehm sind, weil sie die öffentliche Prostitution eindämmen (Düsseldorf: 700.000 Einwohner = 40.000 registrierte Dirnen!) und zusammenfassen, ihre Kontrolle erleichtern und die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten verhindern."
Bei diesem Angriff auf die Doppelmoral der Adenauer-Republik beließ es Laserstein. Er stimme dem polizeilichen Argument zwar zu, "weil die Prostitution eine uralte Einrichtung ist, leider eine soziale Notwendigkeit, die man mit Predigten nicht ausrotten kann. Dann aber ändere man schleunigst das Gesetz, weil es unmoralischer ist, ein Strafgesetz zu schaffen und es nicht anzuwenden, und weil es ein die Staatsautorität unterminierender Grundsatz ist, daß der Staat an jedem Verbrechen teilnehmen und daraus Nutzen ziehen darf, weil wo kein Ankläger, bekanntlich auch kein Richter ist! Diesmal bin ich wohl so deutlich geworden, daß kein Mißverständnis möglich und daß der Weg für jedes Disziplinarverfahren (ich meine: gegen die wahren Schuldigen) frei ist!"
Unbequem, daher entlassen
Die Rücknahme des Strafrechts auf dem Gebiet erotischer "Verirrungen", die Ende der 1960er Jahre begann, hat Botho Laserstein nicht mehr miterlebt. Seiner jüdischen Herkunft wegen war der 1901 in Chemnitz geborene Jurist 1934 nach Frankreich emigriert, hatte in einem Kloster versteckt überlebt. Seine Frau und Tochter wurden ermordet. Das Land Nordrhein-Westfalen beschäftigte Laserstein ungern, nachdem er 1951 zurückgekehrt war. Denn seine Ansichten waren nicht nur mitunter etwas inkohärent, sie blieben in diesen restaurativen Jahren vor allem suspekt: Laserstein hatte sich bereits in den 1920ern für die Entkriminalisierung männlicher Homosexualität eingesetzt, im Nachkriegsdeutschland fiel er mit seiner ablehnenden Haltung zur Todesstrafe auf, die wiedereinzuführen ein drängendes Anliegen vor allem christlicher Rechtspolitiker war.
Und dann schrieb der Richter und Staatsanwalt in seiner Exilheimkehrer-Probezeit auch noch vorwitzige Ratgeber.
Rechtspraktische Empfehlungen für den Straftäter, zu dem jeder Bürger einmal werden kann, Forderungen nach rechtspolitischer Liberalisierung auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts, die oben zitierte Forderung, der Staat möge sich an seine eignen Gesetze halten, waren offenbar zu viel des Guten. Das Land Nordrhein-Westfalen entließ den unbequemen Juristen. Am 9. März 1955 nahm sich Laserstein in Düsseldorf das Leben.
Beim Blick in die jüngere juristische Ratgeberliteratur fragt man sich, ob ihr nicht etwas Wagemut gut zu Gesicht stünde. Er wäre heute gewiss weit weniger bedrohlich.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Historischer Ratgeber: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16005 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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