Am 10. Juli 1866 siegten die Preußen bei Kissingen über die Bayern: eine Station auf dem Weg zum heutigen deutschen Staat. Im Gesetzblatt des Königreichs Bayern finden sich in dieser Zeit vor allem Schuldenmacherei und jede Menge Eigensinn.
Nachdem die preußischen Truppen eine Woche zuvor bei Königgrätz bereits dem österreichischen Heer eine dramatische Niederlage bereitet hatten, bereitete der Sieg über das bayerischen Militär eine territoriale Flurbereinigung vor: Von Kissingen aus marschierten die Preußen auf die Freie Stadt Frankfurt am Main zu, die als Ergebnis des Krieges ihre Eigenstaatlichkeit verlor.
Auch Bayern konnte als Ergebnis des Kriegs die Phantasie einer mächtigen Eigenstaatlichkeit weitgehend an den preußischen Nagel hängen – eigentlich ein Wunder, dass man sich nördlich des Mains nicht viel warmherziger an den 1866er-Sieg über die Bayern erinnert.
Bayerisches Recht: Ehrpusseligkeit und Turnen
In den Regierungs- und Gesetzblättern des Königreichs Bayern, diesen gehaltvollen Lektüren für den Juristen des 19. Jahrhunderts, finden sich seinerzeit vor allem unzählige ehrpusselige Meldungen aus dem süddeutschen Staatsapparat – wer wurde unter Verleihung welches Titels durch die Gnade des Königs in welches Amt befördert? Sieger sehen anders aus.
Regungen, am damaligen Fortschritt teilzunehmen, finden sich aber auch. Im Verordnungsblatt des königlich bayerischen Kriegsministeriums ordnet z.B. drei Jahre vor dem Krieg ein Generallieutenant von Heß auf "Seiner Königlichen Majestät Allerhöchsten Befehl" den Infanteristen "Unterricht im Turnen" an.
Bekanntlich geht das Turnen in Deutschland auf Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) zurück, der die Leibesübungen mit einem paramilitärischen Anspruch und einem etwas talibanesken antifranzösischen Nationalismus verband. Den Folterinstrumenten des neumodischen Turnens, dem Springgraben und dem von Jahn eingeführten Barren, widmete sich die bayerische Militärverwaltung nun in bestem juristischem Verordnungsstil gleich seitenweise. Drei Jahre bevor das Ende der bayerischen Eigenstaatsseeligkeit seinen Anfang nahm, war das natürlich ein bisschen spät – wie der Münchener Schriftsteller Carl Amery (1922–2005) in seinem satirischen Kriegsroman "An den Feuern der Leyermark" meinte: Eigentlich hätten sich die bayerischen Beamten längst mit dem preußischen Siegeszug abgefunden.
Für den Sieg: Vorgezogene Steuerzahlung?
Das "Gesetzblatt für das Königreich Bayern" für die Jahre 1866–1869 zeigt Belege für diese Haltung, weiß man die Details zu lesen.
Mit einem "Gesetz, die Ermächtigung der k. Staatsregierung zur Vornahme von Finanzoperationen betr." ließ sich die Regierung Bayerns 1866 nicht nur zu Lombardgeschäften ermächtigen, also zum Schuldenmachen gegen Hinterlegung von Wertpapieren. Darüber hinaus sollten "unverzinsliche Kassa-Anweisungen" des Königreichs als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptiert werden – im Klartext: für den Krieg wurde die Notenpresse angeworfen.
Schließlich war beabsichtigt, die Abschläge auf direkte Steuern auch für das Folgejahr 1867 bereits vorzeitig zu erheben, aber nur "von denjenigen Steuerpflichtigen, welche zu einer freiwilligen Vorausentrichtung bereit sind". Bis heute äußert sich die bayerische Justiz bekanntlich zurückhaltend, was die steuerliche Leistungswilligkeit ihrer Landeskinder betrifft. Zudem fand die optimistische Norm zur "freiwilligen Vorausentrichtung" viel zu spät Eingang ins Gesetzblatt, um angesichts der ohnehin zerrütteten Finanzen Bayerns noch viel gegen die Preußen ausrichten zu können: nämlich erst am 28. Juni 1866, fast schon gegen Ende des Kriegs.
Schuldenmachen bis zum Wahnsinn – Fiskus Bayern
Wie schlecht es um die Wirtschaftskraft Bayerns stand – bis 1987 sollten die Rechtsnachfolger des Königreichs Preußen im Wege des Länderfinanzausgleichs dem bayerischen Staat unter die Arme greifen müssen – belegt etwa der Ausbau der bayerischen Irrenhäuser.
Im Gesetzblatt vom 30. März 1867 wird für den Bau der fränkischen Kreis-Irrenanstalt in Werneck eine Kreditaufnahme über 220.000 Gulden genehmigt, für deren Tilgung maximal 30 Jahre angesetzt werden. Zwei Jahre später, für den Bau der Kreis-Irrenanstalt in Niederbayern, dürfen es nur noch 165.000 Gulden sein, für deren Tilgung nun gleich 45 Jahre vorgesehen sind, so das entsprechende Gesetz vom 29. März 1869.
Eine der fleißigsten Verrichtungen des bayerischen Gesetzgebers zwischen 1866 und 1869 findet sich im Gesetz-Blatt vom 26. Mai 1868 – wegen der Bedeutung der regionalen Alkoholproduktion erinnert man sich heute gelegentlich noch seines Zusammenhangs mit der Staatsschuld und dem fürstlichen Wahnsinn: In nicht weniger als 105 sehr ausführlichen Vorschriften regelte das "Gesetz über den Malzaufschlag" die steuerliche Belastung der bayerischen Bierproduktion. Ludwig II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc., war wegen seiner Mooshammeresken Bauvorhaben bekanntlich sehr knapp bei Kasse.
Sogar die Steuerlast auf dem bayerischen Nationalgetränk bzw. -nahrungsmittel sollte indes nicht ausreichen: Ohne die Bestechungsgelder, mit denen der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck das bayerische Staatsoberhaupt gefügig machte - quasi eine Frühform des Länderfinanzausgleichs - wäre bekanntlich in Neuschwanstein & Co. mancher Traumschlossstein nicht gesetzt worden.
Martin Rath, Der Deutsche Krieg: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19937 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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