Putzen für Juristen: Von Christel Schmidt bis zum Verdienst einer Prostituierten

von Martin Rath

15.09.2013

1984 verglich das OLG Düsseldorf den Verdienst einer Prostituierten mit dem einer Putzfrau. 1994 sorgte eine Putzfrau vor dem EuGH für Furore. 2013 veröffentlicht eine Philosophieprofessorin nun das Buch "Putzen als Passion", das den Blick auch auf die juristische Seite der menschlichen Reinigungs(un)lust lenkt. Martin Rath über Staub in Aktenregalen, klebrige Handtücher in Teeküchen und brennende Mülleimer.

Nach dem Umbau einer Filiale der "Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cronshagen", deren Reinigung in den Händen der seither justizberühmten Christel Schmidt lag, wurden ihre Dienste so nicht mehr benötigt. Eine Versetzung scheiterte, weil die neuen Räumlichkeiten größer als die alten ausfielen.

Der anschließende Kündigungsschutzprozess kam vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH), dessen Entscheidung vom 14. April 1994 (Az. C-392/92) in Juristenkreisen Furore machte, weil – grob gesprochen  – der Tätigkeitsbereich "Putzen einer Sparkassenfiliale" wie ein eigener Betrieb eingestuft wurde, womit das Arbeitsverhältnis der Reinigungskraft auf die inzwischen beauftragte neue Reinigungsfirma überging.

Putzen – ein unbeobachteter Skandal

Damit schien eine Gleichsetzung von Arbeitsplatz und "Betrieb" vollzogen, die jede Fremdvergabe von Dienstleistungen, die bisher unternehmensintern verrichtet wurden, damit bedrohte, das Vertragsverhältnis nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die Fremdfirma übergehen zu lassen. "Outsourcing", diese seit den 1990er-Jahren populäre Betriebswirtschaftsübung, wäre bei konsequenter Umsetzung in ernsthafte juristische Gefahr geraten.

Seither scheinen die 1994 oft noch politisch unkorrekt genannten Putzfrauen ein Stück aus dem Licht der juristischen Fachöffentlichkeit verschwunden zu sein. In ihrem Buch "Putzen als Passion" öffnet Nicole E. Karafyllis, Professorin mit Schwerpunkt Technikphilosophie an der Technischen Universität Braunschweig, nun die Augen für die meist unsichtbare Arbeit der Raumreinigung.

"Sie ordnen und sortieren erst, betrachten dann von allen Seiten und bearbeiten es, um die Lage komplizierter zu machen, als es vorher war." – Dieser Satz, mit dem mancher Mandant die Arbeit seines Anwalts beschreiben könnte, dient Karafyllis  dazu, die Gemeinsamkeit von Putzen und Philosophieren greifbar zu machen. Die Philosophieprofessorin, Nachfolgerin des bekannten Erkenntnistheoretikers Gerhard Vollmer, bekämpft die Idee, Schmutz sei etwas, das endgültig aus der Welt geschafft werden könnte: Er werde bestenfalls Teil einer "Lösung" und verschwinde mit ihr zum Teil, während der putzende Mensch lerne, den meisten Schmutz zu übersehen. Justizpraktiker mögen beim Anblick nicht enden wollender Aktenberge analoge Empfindungen haben.

Warum ist es im öffentlichen Dienst so schmutzig?

Bliebe es bei diesen metaphorischen Vergleichsmöglichkeiten, trüge der putzphilosophische Ansatz nur wenig zur Klarheit bei. Glücklicherweise weist Karafyllis auch auf praktische, ja rechtsrelevante Probleme des Putzens hin.

Juristischen Anfangssemestern wird beispielsweise die Dogmatik des untauglichen Versuchs im Strafrecht gern mit einem inzwischen womöglich selbst untauglichen Beispiel illustriert. Als Beispiel für einen strafrechtlichen Irrtum "über die eigene Täterqualifikation in Folge falscher rechtlicher Interpretation" nennt Katharina Beckemper etwa im StGB-Kommentar von Heintschel-Heinegg (2012) ein Phantom: Es mache sich "die Putzfrau eines Rathauses, die sich irrtümlich für einen Amtsträger hält, nicht für den Versuch eines Amtsdeliktes strafbar".

Dass hier ein Lehrbuch-Geist am Leben erhalten wird, legt jedenfalls die Empörung nahe, die Nicole E. Karafyllis – trotz ihres Professorenstatus bekennende Selbst-Putzerin – ausführlich über den Schmutz in Räumen des öffentlichen Dienstes äußert: Um zu verhindern, dass sich Angestellte und Beamte zu einer rangniederen Tätigkeit angewiesen fühlten, verböte mancher Dienstherr gleich jede eigenhändige Reinigungsarbeit – bisweilen unter dem Vorwand des Unfallschutzes. Der Staub auf den oberen Aktenregalen und die klebrig-braunen Geschirrtücher in den Teeküchen der Republik seien mithin nicht nur als Anlass profanen Ekels zu sehen. Karafyllis behauptet, dass sich das Sauberkeitsverständnis mit der "Professionalisierung" der Dienstleistung von einem dreidimensionalen zu einem zweidimensionalen gewandelt habe: Wo früher tatsächlich Putzfrauen den Gegenstand von allen drei Seiten gereinigt hätten, bliebe heute das schnelle Durchwischen von Oberflächen.

Das Fehlen von Putzfrauen im öffentlichen Dienst ist ein Symptom dieser Entwicklung. Dass sie als Beispiel für "Wahndelikte" im juristischen Schrifttum herumgeistern, mag als Imagination einer sauberen Vergangenheit des öffentlichen Dienstes zu deuten sein.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Putzen für Juristen: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9554 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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