2/2: Wenn Arbeitnehmer freiwillig putzen, ist das heroisch
Wie weit sich der vom Schmutz umgebene Mensch schon vom schlichten Selberputzen entfernt hat, zeigt ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 8. Dezember 2005 (Az. 11 Sa 121/04). Zigarettenkippen im Abfall eines Unternehmens hatten zu einem erheblichen Brandschaden geführt. Das LAG spricht von 111.000 Euro. Einen Anteil von rund 40 Prozent sollte jener Angestellte tragen, der es unternommen hatte, seine Zigarettenreste selbst in die Mülltonne zu bringen.
Fraglich war, inwieweit dieses brandauslösende "Ausleeren des Aschenbechers" nun "auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet und damit betriebsbezogen" war. Beim rein privaten Qualmen und anschließender Kippenbeseitigung hätte man den Raucher unbedenklich in Haftung nehmen können.
Das LAG stellt hingegen fest, dass der Raucher mit der Entsorgung der Zigarettenreste "im Betriebsinteresse handelte", nicht allein, weil sein Büro auch von Kunden des Unternehmens besucht wurde, sondern auch, weil "die Reinigungskraft nicht täglich, sondern nur alle zwei Wochen ins Büro kam".
Wohl unbeabsichtigt schlich sich etwas heroischer Pathos in das Urteil: "Selbst wenn man annimmt, dass es grundsätzlich zu den Aufgaben einer Putzfrau gehört, die Büroaschenbecher zu säubern, ist es jedenfalls nicht völlig untypisch, wenn ein Arbeitnehmer mangels täglicher Leerung und wegen des Kundenverkehrs zwischenzeitlich selbst zur Tat schreitet."
Die Würde der Putzfrau
"Gerade Akademikern bringt Putzen niemand bei, weil das Schulfach Hauswirtschaftslehre am Gymnasium nicht gelehrt wird." Mit dem Satz scheint Karafyllis eine mögliche Erklärung für das wohl ungewollte Pathos der hessischen Richter, will aber ein ganz anderes Fass aufmachen – oder, um im Bild zu bleiben – an einen Müllbeutel sozialer Vorurteile schnuppern.
"Ich muss aufräumen, meine Putzfrau kommt." Dieser Satz zeigt, dass die Beschäftigung einer Putzfrau, gelegentlich auch "Perle" genannt, weniger bis gar nicht der effizienten Reinigung der privaten Räume jener diene, die sich solche Beschäftigungsverhältnisse leisteten. Ginge es den Leuten um Sauberkeit, schritten sie selbst zur Tat.
Wichtig sei hingegen, namentlich in akademischen Kreisen, die Möglichkeit, unter ihresgleichen über die Putzfrau und ihre Qualitäten zu sprechen. Dieses Smalltalkthema diene nicht zuletzt der Abgrenzung des sozialen Status. Die Würde der Putzfrau leide bei solchen Smalltalks bisweilen, die schamlos in Anwesenheit des Personals geführt würden. Das Personal setzt sich allerdings seinerseits mit klarer Kritik etwa an den Hygienemängeln der "Herrschaft" zur Wehr.
Wie geht eine Gesellschaft mit ihren Putzfrauen (m/w) um?
Bis ins 20. Jahrhundert dienten Dienstmädchen in bürgerlichen Haushalten auch der sexuellen Erziehung der Bürgerssöhne. Karafyllis erwähnt aus der Gegenwart die eigens eingerichteten Kämmerchen in den boomenden Neubaugebieten der Golfstaaten, in denen aus Fernost herbeigeschafftes Personal untergebracht wird, aber auch die neuere Literatur zu sexuellen Übergriffen auf Reinigungspersonal in Haushalten hierzulande.
Dass Arbeit im Bereich von Schmutz und Sexualität einem Schweigetabu unterliege, wird in der philosophischen Gesellschaftskritik gelegentlich im bösen Satz zusammengeführt, dass Menschen, die aufs Körperliche „zurückgeworfen“ seien, weniger an der Menschenwürde teilnähmen.
Bei der Berechnung des auszugleichenden Verdienstausfalls einer Prostituierten, die bei einem Verkehrsunglück zu Schaden gekommen war, legte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf Wert auf die Feststellung, dass nicht die realistisch anzunehmenden Einkünfte von 5.000 Mark monatlich anzusetzen seien. Auszugleichen sei vielmehr ein Verdienst, wie er von bildungslos, rein körperlich tätigen Menschen erwirtschaftet werde, damals rund 1.500 Mark monatlich (Urt. v. 12.4.1984, Az. 1 U 120/83). Das OLG nannte mehrfach die Gruppe der Putzfrauen zum Vergleich. Mitunter scheint also etwas von diesem bösen Satz sogar im Recht auf, das sonst doch in seiner Abstraktionsfähigkeit in der Lage ist, noch der befruchteten Eizelle oder dem sterbenden Menschen Würde zu versprechen.
Man hört oft, die Qualität einer Gesellschaft lasse sich an ihrem Umgang mit Minderheiten ablesen. Das ist etwas albern, denn die kleinste denkbare Minderheit nennt sich immer beim Namen: "Ich". Vielleicht ist die Frage besser: Wie geht eine Gesellschaft mit ihren Putzfrauen (m/w) um?
Martin Rath, Putzen für Juristen: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9554 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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